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Remko Leemhuis, „Ich muß deshalb dringend von jeder zusätzlichen Aktion für Israel abraten." Das Auswärtige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979. (Schriftenreihe der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bd. 52.) Münster, Lit 2020

Blasius, Rainer A.
In: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-08-01), Heft 1, S. 285-287
Online review

Remko Leemhuis, „Ich muß deshalb dringend von jeder zusätzlichen Aktion für Israel abraten." Das Auswärtige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979. (Schriftenreihe der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bd. 52.) Münster, Lit 2020 

Remko Leemhuis, „Ich muß deshalb dringend von jeder zusätzlichen Aktion für Israel abraten." Das Auswärtige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979. Schriftenreihe der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bd. 52. 2020 LIT-Verlag Münster, 978-3-643-14563-5, € 44,90

Alles andere als schmeichelhaft ist der Eindruck, den der Politikwissenschaftler Remko Leemhuis beim Quellenstudium für seine Studie zur Israelpolitik des Auswärtigen Amts (AA) von 1967 bis 1979 gewonnen hat. Aus den Akten spreche „zuweilen ein kaum verhohlener (sekundärer) Antisemitismus"; im Kontext der Zahlungen von „Entschädigungen" tauche „mehr als einmal die Vorstellung auf, dass ‚die Juden' den Holocaust zu ihrer Bereicherung instrumentalisieren. Ebenso erscheint immer wieder das Ideologem der mächtigen ‚jüdischen Lobby', die die amerikanische Politik kontrolliert." Ein solcher „Antisemitismus der Beamten" speiste sich laut Leemhuis aus zwei Aspekten der „Erinnerungsabwehr": „Denn nicht nur stellte Israel in vielen Fällen die Erinnerung an die persönliche Verstrickung in den NS-Staat und seine Verbrechen dar. Vielmehr erinnerte der jüdische Staat auch an die Einbindung und Beteiligung des Amtes in die ‚Endlösung der Judenfrage'."

Treffen diese Aspekte wirklich zu? Eigentlich nicht, denn das Bonner AA hatte doch im Anschluss an Verteidigungsstrategien im „Wilhelmstraßenprozess" 1948/49 von 1951 an erfolgreich das Selbstbild vom „Hort des Widerstandes" gegen den Nationalsozialismus propagiert, das erst in den achtziger Jahren von der Forschung allmählich demontiert und 2010 mit dem Bericht der AA-Historikerkommission „Das Amt und die Vergangenheit" publikumswirksam demoliert werden sollte. Und hinsichtlich der „persönlichen Verstrickung" ist Leemhuis selbst im „Nahostreferat", das im Zentrum seiner Untersuchung steht, wohl nicht fündig geworden; insgesamt 31 Personen werden in einer Anmerkung namentlich aufgeführt. Da der Autor jedoch „keinen gruppenbiografischen Ansatz" verfolgen will, bleiben die Nahostfachleute ziemlich konturlos; nur eine Person war demnach bereits vor 1945 im Auswärtigen Dienst. Statt also konkret zu werden, behilft sich Leemhuis mit der These des israelischen Historikers Yeshayahu A. Jelinek „über antisemitische und israelfeindliche Tendenzen im Amt". Von besonderem Interesse sei nun, ob die von Jelinek „festgestellten Ressentiments nur das Merkmal der ‚Arabisten' waren oder ob sie im Amt auch in anderen Abteilungen und Referaten zu finden waren. Letztlich zielt die Arbeit auch darauf, das tradierte und weithin unhinterfragte Bild von der Bundesrepublik als einem – gerade wenn es um die Sicherheit Israels ging – zuverlässigen Partner mit Blick auf das Auswärtige Amt einer neuen Bewertung zu unterziehen." Hierfür nimmt der Autor Überlegungen zum „Groupthink" von Irving Janis auf und versteht darunter einen Prozess, „der sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass der Wunsch nach einem Konsens innerhalb einer Gruppe das Erkunden von alternativen Konzepten und Überlegungen ausschließt." Gruppendenken verstärke sich in Krisen, da jedes Gruppenmitglied die Unterstützung und Bestätigung der anderen benötige.

Mit dem Sechstagekrieg vom Juni 1967, als sich das „jahrzehntelang siegesgewisse Versprechen des Arabischen Nationalismus, die ‚Juden ins Meer zu treiben' und den jüdischen Staat zu vernichten", als „hohle Propaganda entpuppt" habe, setzt die Studie ein. Der israelische Sieg habe die westdeutsche Politik vor vollkommen neue Probleme gestellt: durch Landgewinne des jüdischen Staates, die „Herrschaft Israels über rund 1,3 Millionen Palästinenser" sowie die Annektierung des Ostteils von Jerusalem und dessen Bestimmung zur unteilbaren Hauptstadt Israels. In der Wahrnehmung der Diplomaten am Rhein waren die arabischen Staaten, die im Frühjahr 1965 nach Bekanntwerden der geheimen westdeutschen Waffenhilfe für den jüdischen Staat und als Reaktion auf den Botschafteraustausch zwischen der Bundesrepublik und Israel fast alle ihre Beziehungen zu Bonn abgebrochen (aber die DDR nicht anerkannt) hatten, in der Folgezeit „einer politischen Lösung des Konfliktes zugeneigt", nicht aber Israel.

Hart ins Gericht geht Leemhuis bei der Israelpolitik des AA mit der engherzigen Hinhaltetaktik bei der finanziellen „Entschädigung" von nationalsozialistischem Unrecht, mit dem rigide abgelehnten Rüstungsexport einschließlich des „Austauschs von militärwissenschaftlichen Forschungsergebnissen" zwischen dem westdeutschen und dem israelischen Verteidigungsministerium sowie schließlich mit den Bemühungen zur Verhinderung von Anschlägen in der Bundesrepublik (insbesondere nach dem Attentat auf die israelische Olympiamannschaft Anfang September 1972 in München), die sogar finanzielle Anreize für die Palästinenser beinhalteten. Immerhin räumt Leemhuis ein, dass die Bundesrepublik bei dem Versuch eines Stillhalteabkommens „nicht alleine" gestanden habe: ähnliche Vereinbarungen schlossen „Spanien, Italien und Griechenland mit den Terroristen." Und in dem ausführlichen Kapitel über „Das Auswärtige Amt, Europa und die Nahostpolitik" stellt der Autor heraus, dass „Bonn ab Ende der 1960er Jahre seine Politik in immer stärkerem Maße mit den anderen Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abstimmen und koordinieren musste", nachdem Israel am 4. Oktober 1966 einen Antrag auf Assoziierung gestellt hatte. Allerdings habe „die Wiederaufnahme der Beziehungen zu den arabischen Staaten für die Diplomaten Priorität" besessen. Mit dem Präferenzabkommen zwischen der EWG und Israel vom 29. Juni 1970 sei die Bundesrepublik auf die französische Position eingeschwenkt, wobei es dem AA nach dem Eindruck von Leemhuis nicht um das „wirtschaftliche Wohlergehen" Israels gegangen sei. Der Autor zeichnet dann die „europäischen Positionsbestimmungen im Nahen Osten" bis zum Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten vom März 1979 nach, und zwar ohne gleich wieder jegliche Form von Kritik am jüdischen Staat und dessen Politik als primären oder sekundären Antisemitismus zu etikettieren.

In der Schlussbetrachtung meint Leemhuis, die Bonner Diplomaten hätten sich zwar verbal wiederholt zu einer Politik der „Ausgewogenheit" im Nahen Osten bekannt, jedoch vor allem darauf geachtet, einerseits die „arabischen Despotien" aus Sorge um die Versorgung mit Erdöl in der Öffentlichkeit nicht zu kritisieren, andererseits in Krisen „die Politik des jüdischen Staates öffentlich anzuprangern." Es könne keine Rede davon sein, dass die Bundesrepublik bis 1979 „ein besonders enger und verlässlicher Freund des jüdischen Staates war." Eine „unkritische Nähe zu den arabischen Staaten" und eine starke Gruppenidentität samt „Glaube an die eigene moralische Überlegenheit" hätten die Entscheidungsprozesse und Empfehlungen des „Nahostreferats" bestimmt, die „stillschweigend vom gesamten Personal des AA ohne Fragen und Kritik akzeptiert" worden seien. Die beschriebenen „Phänomene und Dynamiken" beim Gruppendenken seien indes „kein Spezifikum des diplomatischen Dienstes in der Bundesrepublik" gewesen; ähnliches habe die Forschung beispielsweise für das Washingtoner State Departement festgestellt, wo Antisemitismus „gerade in Arbeitseinheiten, die sich mit dem Nahen Osten befassten, in der Vergangenheit ein Problem" dargestellt hätten. Im allzu generalisierenden Resümee heißt es mit indirektem Lob für die Bundeskanzler und Bundesverteidigungsminister, die zu Israel „Beziehungen unter Umgehung des AA" gepflegt hätten: „Nahezu jedes Zugeständnis, jede freundschaftliche Geste und jeder Akt der Solidarität für den jüdischen Staat musste nicht selten gegen den erheblichen Widerstand der Diplomaten im Auswärtigen Amt durchgesetzt werden. Hätte sich das Amt mit seiner Linie durchgesetzt, wären die Beziehungen zu Israel heute andere und gewiss weniger freundschaftliche."

By Rainer A. Blasius

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Titel:
Remko Leemhuis, „Ich muß deshalb dringend von jeder zusätzlichen Aktion für Israel abraten." Das Auswärtige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979. (Schriftenreihe der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bd. 52.) Münster, Lit 2020
Autor/in / Beteiligte Person: Blasius, Rainer A.
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-08-01), Heft 1, S. 285-287
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2021-1289
Schlagwort:
  • ICH muss deshalb dringend von jeder zusatzlichen Aktion fur Israel abraten: Das Auswartige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979 (Book)
  • LEEMHUIS, Remko
  • INTERNATIONAL relations
  • NATIONAL socialism
  • NONFICTION
  • ISRAEL
  • Subjects: ICH muss deshalb dringend von jeder zusatzlichen Aktion fur Israel abraten: Das Auswartige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979 (Book) LEEMHUIS, Remko INTERNATIONAL relations NATIONAL socialism NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Geographic Terms: ISRAEL
  • Author Affiliations: 1 = München, Germany.
  • Full Text Word Count: 1089

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