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Axel Schildt, Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Göttingen, Wallstein 2020.

Frei, Norbert
In: Historische Zeitschrift, Jg. 312 (2021-06-01), Heft 3, S. 857-859
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Axel Schildt, Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Göttingen, Wallstein 2020 

Axel Schildt, Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. 2020 Wallstein-Verlag GmbH Göttingen, 978-3-8353-3774-9, € 46,–

Wie sehr hätte man es Axel Schildt gewünscht, dass er die breite, begeisterte Aufnahme seines Opus magnum noch erlebt hätte! Das beeindruckende Werk, an dem er bis kurz vor seinem Tod am 5. April 2019 mit der ihm eigenen fröhlichen Leidenschaft und Disziplin arbeitete und das er gleichwohl unvollendet aus der Hand legen musste, hat bereits wenige Wochen nach Erscheinen eine dritte Auflage erreicht. So ist die Frucht jahrelanger Archivforschungen nun auf dem besten Weg, zu einem Klassiker der deutschen Intellektuellengeschichtsschreibung zu werden, und zwar auch ohne das geplante vierte Hauptkapitel über die Zeit nach „68". Dass man diesen Teil, mit dem der Verfasser seine Darstellung bis an die Schwelle zur „Berliner Republik" führen wollte, gerne noch gelesen hätte (trotz der dann sicherlich 1200 statt der jetzt 900 Seiten), haben schon einige Rezensentinnen und Rezensenten konstatiert. Ich kann dem nur zustimmen – auch wenn es vielleicht gar kein Nachteil ist, dass das Buch im Moment der einsetzenden intellektuellen Zeitgenossenschaft seines Autors und vor dessen eigener Wirkungszeit endet.

Schildts Begriff der „Medien-Intellektuellen" wirkt auf den ersten Blick wie eine Einschränkung. Doch diesem Eindruck begegnet er mit einer triftigen Definition in der Einleitung, die darüber hinaus verdeutlicht, dass eine moderne Intellectual History nicht darauf verzichten kann, die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Texten, Sendungen, Vorträgen und Büchern einzubeziehen. Danach führt uns der Autor sogleich in die kompliziert begrenzte Freiheit des besetzten Deutschlands, in der man zuhauf sich wieder(er)findenden Intellektuellen der 1920er und 1930er Jahre begegnet – und über die selbstbewusste Geschäftigkeit staunt, mit der die meisten sich bemühen, in der neuen Gegenwart anzukommen. Die rasch sich eröffnende Vielfalt der Möglichkeiten in Presse und Rundfunk, der „Zeitschriftenfrühling", die „Ordnung der Verlagslandschaft": All das, hier nicht zum ersten Mal beschrieben, aber zu einem dichten Panorama verarbeitet und mittels neu aus den Quellen geschöpfter Details zur Anschauung gebracht, verdankte sich wohl auch dem Umstand, dass gleich vier Besatzungsmächte um eine am Ende überschaubare Truppe politisch und geistig flexibler „Diskursproduzenten" konkurrierten.

Auf die in den Texten seiner Protagonisten eher mitschwingenden als explizierten Deutungen der eigenen Vergangenheit legt Axel Schildt besonderes Gewicht. Auf diese Weise entstehen aufschlussreiche, nicht selten süffige Miniaturen; so etwa, wenn der kaum je um eine Sottise verlegene ehemalige Weltbühne-Autor Kurt Hiller, noch von London aus, den einstigen Kopf der Tat, Hans Zehrer, als „Klosettgewächs" charakterisiert; oder wenn der noch immer gläubige Nationalsozialist Kurt Ziesel in den späten Fünfzigern seinen Feldzug gegen das publizistische Establishment eröffnet und ein Heer von Anpassern an die Demokratie ausmacht (zum Beispiel bei der Frankfurter Allgemeinen Karl Korn, bei der Süddeutschen Zeitung W. E. Süskind und Werner Friedmann). Die schwindenden Hoffnungen der Rechtskonservativen in der Ära Adenauer, die Schildt besonders in Gestalt des sich notorisch überschätzenden, ein wenig vielleicht auch überschätzten Armin Mohler nachzeichnet, symbolisiert die Geschichte von Christ und Welt, deren Binnenverhältnisse bis weit in die 1960er Jahre im Blick gehalten werden.

Das dritte Hauptkapitel über die Rolle der Intellektuellen in der „Transformation der ‚langen 60er Jahre'" und in der sich entfaltenden „Fernsehgesellschaft" vermochte der Autor, wie die Herausgeber Gabriele Kandzora und Detlef Siegfried im Nachwort erläutern, nicht mehr vollständig auszuarbeiten. So korrespondiert ein eingängiges Unterkapitel über die entstehende „Suhrkamp Culture" mit dem zeitlich früheren Abschnitt über die von Ernesto Grassi herausgegebene „rowohlts deutsche enzyklopädie", ohne dass aber der in den beiden ersten Hauptkapiteln auf den (Liberal-)Konservativen liegende darstellerische Schwerpunkt gänzlich zur Linken verlagert würde. Die das Kapitel beschließenden, höchst lesenswerten Überlegungen zu „1968 als Intellektuellengeschichte" – pointiert unter dem Motto „Fetisch Revolution" und mit überraschenden Details exemplifiziert an F. C. Delius – sind Fragment geblieben.

Axel Schildts letztes Buch ist ein Exempel, in vielerlei Hinsicht aber auch eine Summe seiner fulminanten Produktivität. Sein frappierender Detailreichtum macht es für alle, denen die Geschichte der alten Bundesrepublik in ihren politischen Dimensionen vor Augen steht, nicht nur zu einer einzigartigen ideengeschichtlichen Fundgrube, sondern geradezu zu einem Schlüssel für die Beantwortung der Frage, wie wir wurden, was wir (immer noch?) sind.

By Norbert Frei

Reported by Author

Titel:
Axel Schildt, Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Göttingen, Wallstein 2020.
Autor/in / Beteiligte Person: Frei, Norbert
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 312 (2021-06-01), Heft 3, S. 857-859
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2021-1214
Schlagwort:
  • MEDIEN-Intellektuelle in der Bundesrepublik (Book)
  • SCHILDT, Axel
  • INTELLECTUALS
  • MASS media
  • NONFICTION
  • Subjects: MEDIEN-Intellektuelle in der Bundesrepublik (Book) SCHILDT, Axel INTELLECTUALS MASS media NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Friedrich-Schiller-Universität Jena, Historisches Institut, Jena,, 07743, Germany.

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