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Volker Neumann, Volkswille. Das demokratische Prinzip in der Staatsrechtslehre vom Vormärz bis heute. Tübingen, Mohr Siebeck 2020.

Kraus, Hans-Christof
In: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-10-01), Heft 2, S. 446-448
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Volker Neumann, Volkswille. Das demokratische Prinzip in der Staatsrechtslehre vom Vormärz bis heute. Tübingen, Mohr Siebeck 2020 

Volker Neumann, Volkswille. Das demokratische Prinzip in der Staatsrechtslehre vom Vormärz bis heute. 2020 Mohr Siebeck GmbH & Co.KG Tübingen, 978-3-16-159658-2, € 69,-

Bei der neuen Monographie eines Emeritus der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität handelt es sich (was aus dem Titel nicht ohne Weiteres ersichtlich ist) um eine mehr juristisch-systematische als um eine historische Darstellung. Die Geschichte dient dem Verfasser bestenfalls als eine Art Hilfswissenschaft, die hier und da herangezogen wird, um eigene Thesen und Interpretationen zu untermauern. Gefragt wird nach den Positionen, die von den deutschsprachigen Staatsrechtslehrern seit 1815 zum „demokratischen Prinzip" und den damit verbundenen Konzepten wie etwa Volkssouveränität, Repräsentation, Wahlrecht, Parteienstaat und Parteienverbot eingenommen wurden und werden. Immerhin teilt Neumann mit einem der Großen seiner Zunft, Ernst Forsthoff, die Überzeugung, dass auch inzwischen historische gewordene Texte der Rechtswissenschaft etwas für die Erkenntnis des heute gültigen Rechts leisten könne – jedenfalls dann, wenn sie sorgfältig interpretiert und eingehend auf ihren theoretischen Gehalt hin untersucht werden. Genau dies ist das Anliegen der Arbeit, die in sieben größeren Kapiteln die Entwicklung juristischer Analysen des demokratischen Prinzips untersuchen, dabei jeweils an ein Rahmenthema (bzw. an eine Epoche) gebunden.

Der Verfasser beginnt mit einem kurzen Kapitel über die Schweiz und deren direktdemokratische Tradition, bevor er sich dem Deutschen Bund und dem Kaiserreich zuwendet. Im Jahrhundert zwischen Wiener Kongress und Ende des Ersten Weltkriegs (1815–1918) stand der Kampf um Demokratie durchaus nicht im Vordergrund der Debatten; der Streit um eine angemessene Definition der konstitutionellen Monarchie und deren spezifische Art der Machtteilung zwischen Krone und Volk dominierte lange Zeit. Der Positivismus der Jahrhundertwende kommt bei Neumann weniger gut weg als Außenseiter wie etwa Otto von Gierke und Hugo Preuß. Im Kapitel über die Weimarer Republik dominieren natürlich Hans Kelsen, Carl Schmitt, Richard Thoma und Gerhard Leibholz. Der Abschnitt über den NS-Staat gipfelt in der These, das Ende der Weimarer Demokratie sei wesentlich durch eine „auf die Spitze getriebene Entformalisierung von Wahlen und Abstimmungen" (S. 221) bewirkt worden. Das naturgemäß umfangreichste Kapitel ist anschließend der Bundesrepublik und deren Grundgesetz gewidmet, das Neumann als besonders „wehrhaftes Repräsentativsystem" (S. 223) charakterisiert. Neben vielen aufschlussreichen Bemerkungen und Beobachtungen, von denen sich auch die historische Forschung inspirieren lassen kann, stehen allerdings ebenfalls immer wieder Aussagen, die wenig überzeugen – so etwa die mehrfach und mit besonderer Vehemenz vertretene These, das Bonner Grundgesetz von 1949 sei nicht etwa vor dem Hintergrund der inneren Probleme der Weimarer Republik und deren Endkrise konzipiert, sondern ausschließlich „durch zeitgenössische Erfahrungen veranlasst" (S. 379) worden, vornehmlich durch die Berliner Blockade und durch die sowjetische Bedrohung Westdeutschlands im gerade beginnenden Kalten Krieg. Das ist wohl doch etwas allzu einseitig gesehen.

Über manche Passagen hinweg ist das Buch durchaus amüsant zu lesen, denn Neumann ist ein Freund deutlicher Aussprache und der Übergang von der Kollegenkritik zur Kollegenschelte gestaltet sich bei ihm nicht selten fließend. Bedenkenswert bleiben seine Einwände gegen die spezifisch deutsche Tendenz einer „massiven Einzäunung" (S. 424) der 1949 gegründeten zweiten deutschen Demokratie; die allseits gepriesene „Wehrhaftigkeit" des demokratischen Staates versieht er mit dem einen oder anderen Fragezeichen. Schließlich wendet er sich auch gegen eine bei uns noch immer vorhandene Überschätzung des reinen Repräsentativsystems, indem er – nach eigener Aussage übrigens in Übereinstimmung mit der Mehrheit der heutigen deutschen Staatsrechtslehrer – für eine plebiszitäre Erweiterung des Grundgesetzes plädiert, für eine „gemischte Demokratie" (S. 439) also, denn es sei, so seine Schlussthese, von größter Wichtigkeit, „dass in Demokratien im Unterschied zu Repräsentativsystemen nicht die Volksvertretung, sondern das Volk selbst die letzte Entscheidung treffen kann, wenn es diese Entscheidung treffen will" (S. 443).

By Hans-Christof Kraus

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Titel:
Volker Neumann, Volkswille. Das demokratische Prinzip in der Staatsrechtslehre vom Vormärz bis heute. Tübingen, Mohr Siebeck 2020.
Autor/in / Beteiligte Person: Kraus, Hans-Christof
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-10-01), Heft 2, S. 446-448
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2021-1301
Schlagwort:
  • VOLKSWILLE: Das demokratische Prinzip in der Staatsrechtslehre vom Vormarz bis heute (Book)
  • NEUMANN, Volker
  • DEMOCRACY
  • CONSTITUTIONALISM
  • NONFICTION
  • Subjects: VOLKSWILLE: Das demokratische Prinzip in der Staatsrechtslehre vom Vormarz bis heute (Book) NEUMANN, Volker DEMOCRACY CONSTITUTIONALISM NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Universität Passau, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Passau,, 94032, Germany.

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