Peter Zeller, Basileis und Goden. Gesellschaftliche Ordnung im früharchaischen Griechenland und der isländischen Freistaatzeit. Studien zur Alten Geschichte, Bd. 27. 2020 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 978-3-946317-56-2, € 80,–
In seiner Tübinger Dissertation kritisiert Peter Zeller die häufig evolutionären Zugriffe auf die griechische Früharchaik (750–600) und macht demgegenüber plausibel, dass wegen seiner narrativen Quellenzeugnisse das freistaatzeitliche Island (ca. 930–1263/4 n. Chr.) alternative Sichtweisen auf zentrale Fragen der Archaikforschung zulasse – etwa, auf welchen Kapitalien die Vorrangstellung von Akteuren und Gruppen in früharchaischen Siedlungsgemeinschaften basierte; in welchem Verhältnis die Elite zum „Rest der Gemeinschaft" gestanden habe; und wie sich die gesellschaftliche Entwicklung im früharchaischen Griechenland konzeptualisieren lasse, ohne eine starre Trennung zwischen „Adel" und „Volk" vorauszusetzen (S. 17 f.).
Die Einleitung legt anregend den Zusammenhang von theoretischem Rahmen und erzählerischer Perspektive eines solchen Vergleichs dar. Im anschließenden Kapitel (S. 43–82) begründet Zeller, weshalb sich gerade die isländische Freistaatzeit als alternativer „Sehepunkt" – ein für ihn wesentliches Konzept – auf die griechische Archaik eigne. Er stellt dann die Forschungsgeschichte und reiche Quellenlage zur Freistaatzeit vor, stützt sich im Weiteren dann aber doch vornehmlich auf die sogenannten Gegenwartssagas, besonders die Isländersagas. Allerdings, so der Verfasser, seien letztere ein Konstrukt des 13. und 14. Jahrhunderts, anonym und ohne absolute oder auch nur relative Chronologie tradiert, womit sie die Islandforschung auf ähnliche Weise herausforderten wie die in literarischer Form überlieferten Zeugnisse der griechischen Archaik den Althistoriker.
Es folgt ein historischer Überblick, der die Entwicklung der Godentümer nachzeichnet, kleinräumiger, territorial wie personal definierter Einflussbereiche, die von den Goden kontrolliert wurden. Diese sind in Zellers Arbeit das wesentliche konzeptuelle Verbindungsglied zu den basileis der homerischen und hesiodeischen Epen: Beider prominente Stellung habe auf Merkmalen ihrer persönlichen, nicht einer institutionellen Macht beruht; nicht auf geburtsständischen Merkmalen, sondern auf einem von Zeller dargelegten Geflecht von Kapitalien (S. 65).
Im eher knappen methodischen Herzstück des Buches (S. 75–82) führt Zeller seine Betrachtung der Freistaatzeit zusammen, um sie als alternativen Sehepunkt für die Archaik zu etablieren: Wir beobachten „konkurrierende Regelsysteme mit hohem Formalisierungsgrad"; Vorrangstellung der maßgeblichen Akteure durch unterschiedliche Kapitalien und letztlich die Akzeptanz von Gefolgsleuten; dies alles in einem Spannungsgefüge von Gemeinschaftsbezug und Konkurrenz; mit einem in sich heterogenen Publikum als dritter Instanz (nach G. Simmel); eine damit einhergehende soziale Mobilität, welche eine Unterscheidung zwischen vermeintlich starren sozialen Gruppen unplausibel mache. Im dritten Teil des Buches (S. 83–152) skizziert Zeller schließlich mit gedanklicher wie sprachlicher Klarheit eine moderne, methodisch-theoretisch reflektierte Geschichte sozialer Dynamiken in der Früharchaik; er betont das Spannungsfeld von persönlicher und institutioneller Macht und deren Rolle bei der historischen Entwicklung. Einem kurzen Fazit (S. 153–158) folgen ausführliche Register (S. 159–214).
Peter Zeller bietet ein gut begründetes Plädoyer für den historischen Vergleich und eine so anregende wie elegante Darstellung institutioneller Entwicklung im frühen Griechenland; nennt aber früh auch Grenzen eines Vergleiches mit Island (S. 20 f.): 1.) Die komplexe Überlieferungssituation der Isländersagas erschwere deren Auswertung erheblich. 2.) Die erheblichen Überlieferungslücken zur Früharchaik könnten nur zu mehr oder weniger plausiblen Analogien führen. 3.) Das mittelalterliche Island eigne sich lediglich für die frühe Archaik zum Vergleich. 4.) Da beide Gesellschaften traditionellerweise als big man society beschrieben werden, sei es möglich, dass ihnen gemeinsam scheinende Züge auf dieses gemeinsame analytische Instrumentarium zurückgingen.
Das Buch liefert der Archaikforschung wichtige Impulse. Allerdings bieten der geringe Umfang der Studie von nur 150 tatsächlich argumentierenden Seiten – sehr gerne hätte der Rezensent mehr gelesen! – und die nur wenigen Passagen, welche beide Gesellschaften ausdrücklich gemeinsam in den Blick nehmen, keinen ausführlichen Vergleich, sondern eher eine fundierte Anregung an die Leser, den ihnen gewiesenen Weg selbstständig weiterzugehen. Denn dass dieser Vergleich so empirisch lohnend wie methodisch gerechtfertigt ist, zeigt Zeller deutlich.
By Gunnar Seelentag
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