Valerie Hansen, Das Jahr 1000. Als die Globalisierung begann. 2020 C. H. Beck München, 978-3-406-75530-9, € 28,–
Valerie Hansen ist eine prominente Sinologin, die an der Yale University lehrt und sich mit Arbeiten zu religions- und sozialgeschichtlichen Facetten der chinesischen Geschichte vor allem der Song-Zeit (10.–13. Jahrhundert) einen Namen gemacht hat. In ihrem Buch „Open Empire" von 2000 untersuchte sie die Außenbeziehungen Chinas und die Einflüsse, die indische Buddhisten und die nördlichen Nomadenvölker auf China ausübten. Über China hinaus blickte Valerie Hansen in ihrem erfolgreichen Buch „The Silk Road" von 2012, das die komplexe Handelswelt Zentralasiens zum Thema hatte. In ihrem neuen Werk erzählt sie nun eine den gesamten Globus umfassende Geschichte. Der Blick der Autorin hat sich im Laufe der Jahre geweitet und ihre Erzählweise ist zugleich immer zugänglicher geworden. Das neue Buch wurde für ein globales Publikum ohne große Vorkenntnisse geschrieben.
Die These der Autorin entspricht dem aktuellen Hype um das globale Mittelalter: „Das Jahr 1000 markierte den Beginn der Globalisierung. Damals entstanden Handelsstraßen in der ganzen Welt, auf denen Waren, Technologien, Religionen und Menschen zirkulierten. Die daraus resultierenden Veränderungen waren so tiefgreifend, dass sie auch die einfachen Leute in Mitleidenschaft zogen" (S. 12). In acht Kapiteln führt die Autorin die Leser/-innen von West nach Ost durch die Welt um das Jahr 1000 – mit Ausflügen in das spätere Mittelalter sowie vielen Hinweisen auf aktuelle Forschungen. Den Anfang machen die Fahrten der Wikinger an die nordamerikanische Küste sowie die indigenen Gesellschaften Amerikas (Amerindianer, Inuit, Maya, Azteken). Das Kapitel zu Europa widmet sich vor allem den Handelsreisen der Waräger durch Osteuropa bis nach Konstantinopel und Bagdad. Im Falle von Afrika konzentriert sich die Autorin auf den Gold- und Sklavenhandel mit Europa und dem Nahen Osten. Zentralasien, Südostasien und China sind die Themen der folgenden Kapitel. In allen Kontinenten meint die Autorin, eine zunehmende Verflechtung der Handels- und Kommunikationsbeziehungen sowie Integrationsprozesse durch die Ausbreitung der großen Religionen zu erkennen. Diese Beobachtungen sind sicher richtig. Da für die Jahrzehnte um das Jahr 1000 jedoch eine Quantifizierung dieser Prozesse nicht möglich ist, scheint mir die oben genannte These, dass die Veränderungen „die einfachen Leute in Mitleidenschaft zogen", jedoch unbeweisbar (und auch eher unwahrscheinlich). Damit zusammen hängt die Frage, ob man diese Veränderungen tatsächlich als Beginn der Globalisierung bezeichnen sollte. Ist jede Zunahme von Kontakt schon Globalisierung? Könnte man die Globalisierung nicht auch früher oder später beginnen lassen? Und was erklärt der Begriff dann eigentlich?
By Thomas Ertl
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