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Wolfgang Benz, Protest und Menschlichkeit. Die Widerstandsgruppe „Onkel Emil" im Nationalsozialismus. Stuttgart, Reclam 2020.

Raim, Edith
In: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-10-01), Heft 2, S. 556-558
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Wolfgang Benz, Protest und Menschlichkeit. Die Widerstandsgruppe „Onkel Emil" im Nationalsozialismus. Stuttgart, Reclam 2020 

Wolfgang Benz, Protest und Menschlichkeit. Die Widerstandsgruppe „Onkel Emil" im Nationalsozialismus. 2020 Philipp Reclam jun. Verlag Stuttgart, 978-3-15-011258-8, € 22,–

Lediglich einige tausend Deutsche waren nachweislich im Widerstand gegen die NS-Diktatur. Nach 1945 fanden insbesondere die „Weiße Rose" und der Aufstand der Militärs öffentliche Aufmerksamkeit, dienten doch ihr Denken und Handeln als moralische Rechtfertigung und Beweis, dass nicht alle Deutschen dem Nationalsozialismus vollständig verfallen waren. So stand der deutsche Widerstand trotz seiner quantitativ marginalen Rolle früh im Fokus der Geschichtswissenschaft. Die Schwierigkeiten der Erforschung waren allerdings groß. Die Illegalität während des NS-Regimes führte entweder zum weitgehenden Verzicht auf schriftliche Kommunikation oder aber zur Vernichtung schriftlicher Zeugnisse aus Furcht vor Entdeckung.

Die Berliner Widerstandsgruppe „Onkel Emil" war ein rund 20 Frauen und Männer umfassender Freundeskreis um die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich und den Dirigenten Leo Borchard. Ihre zentrale Motivation war nicht ideologischer oder politischer Art, sondern im besten Sinne altruistisch und menschlich, einem bürgerlichen, liberalen und demokratischen Wertekanon verpflichtet. Am Anfang stand die Freundschaft für verfolgte Menschen, aus der sich Widerstand entwickelte, wie Ruth Andreas-Friedrich in ihrem 1947 publizierten Tagebuch „Der Schattenmann" zeigt. Wolfgang Benz entschlüsselt die Pseudonyme, skizziert die Lebensläufe der Beteiligten und korrigiert sensibel einige Auslassungen in der Darstellung Andreas-Friedrichs.

Die Einführungskapitel geben einen knappen Überblick über die Verfolgung der deutschen Juden im Dritten Reich, die Probleme der Emigration und die Schwierigkeiten von Berliner Juden, die dank Helfern in der Illegalität zu überleben versuchten. Die Gruppe „Onkel Emil" – der Name leitet sich vom Spitznamen des Arztes Walter Seitz ab, der nach einer Denunziation im Untergrund lebte – entstand unter dem Eindruck des Novemberpogroms 1938. Vielleicht prädestinierte der unkonventionelle Lebensstil der wichtigsten Protagonisten, die nicht selten in freien Berufen tätig waren, für eine oppositionelle Haltung und eine Abwehr gegen die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten, wenngleich – das geht aus Texten der Journalistin Andreas-Friedrich hervor – eine scheinbare Anpassung an das Regime zur Tarnung vonnöten war. Die Gruppe „Onkel Emil" gewährte untergetauchten Juden und Nicht-Juden Unterschlupf, fälschte Ausweise und Bescheinigungen, um so an Lebensmittelkarten und Bezugsausweise zu kommen, entfernte heimlich Hakenkreuzfahnen, brachte Graffiti des Widerstands an und beging Sabotageakte in Berlin. Die Biografien der Mitglieder zeigen die Vernetzung mit anderen Widerstandsgruppen, etwa dem Nationalkomitee Freies Deutschland, dem Kreisauer Kreis oder der Roten Kapelle.

Hervorzuheben ist, dass das Buch nicht mit dem Jahr 1945 endet, sondern die Nachkriegsgeschichte einbezieht, die einen weiteren Spannungsbogen eröffnet und sowohl die Geschichte des Textes „Der Schattenmann" als auch das späte Gedenken an die stillen Helfer thematisiert. So zerfiel die Clique zwar nach dem Untergang des NS-Regimes, und Leo Borchard, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, starb schon im August 1945 bei einer Schießerei an der britisch-amerikanischen Sektorengrenze. Seine Partnerin Ruth Andreas-Friedrich versuchte, sich die Deutungshoheit über die „Gruppe Emil", ihre Mitglieder und Tätigkeit zu sichern, manchmal sogar um den Preis der historischen Wahrheit. Dieses Verhalten ähnelt dem der Nachlassverwalterin der „Weißen Rose", Inge Aicher-Scholl. Während einige Mitglieder der Gruppe in Justiz, Medizin und den Künsten Karriere machten, schrieb die Journalistin weiter Gebrauchstexte für Frauenzeitschriften. Ein Anfang der 1960er initiierter Versuch der Ehrung durch den Senat Berlin blieb ohne Erfolg. Erst die israelische Gedenkstätte Yad Vashem verhalf 2002 Ruth Andreas-Friedrich zur verdienten Anerkennung.

Die Arbeit basiert im wesentlichen auf der Auswertung der einschlägigen Literatur, wobei leider das 2019 erschienene Buch von Richard N. Lutjens jr, „Submerged on the Surface", fehlt. Das Werk ist gut lesbar geschrieben, ansprechend illustriert und wird bei einer interessierten Öffentlichkeit ebenso wie der Wissenschaft Anklang finden.

By Edith Raim

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Titel:
Wolfgang Benz, Protest und Menschlichkeit. Die Widerstandsgruppe „Onkel Emil" im Nationalsozialismus. Stuttgart, Reclam 2020.
Autor/in / Beteiligte Person: Raim, Edith
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-10-01), Heft 2, S. 556-558
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2021-1364
Schlagwort:
  • PROTEST und Menschlichkeit: Die Widerstandsgruppe: 'Onkel Emil' im Nationalsozialismus (Book)
  • BENZ, Wolfgang
  • PUBLIC demonstrations
  • NATIONAL socialism
  • NONFICTION
  • Subjects: PROTEST und Menschlichkeit: Die Widerstandsgruppe: 'Onkel Emil' im Nationalsozialismus (Book) BENZ, Wolfgang PUBLIC demonstrations NATIONAL socialism NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Landsberg am Lech, Germany.

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