Dirk Schumann, Forschen im „Zeitalter der Extreme". Akademien und andere Forschungseinrichtungen im Nationalsozialismus und nach 1945. 2020 Wallstein-Verlag GmbH Göttingen, 978-3-8353-3562-2, € 36,–
Der von Dirk Schumann unter Mitwirkung von Désirée Schauz herausgegebene Band behandelt – so der etwas unpräzise Untertitel – die Geschichte der „Akademien und anderer Forschungseinrichtungen im Nationalsozialismus und nach 1945". Er versammelt die überarbeiteten Beiträge einer Ringvorlesung, die die Universität Göttingen und die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen im Wintersemester 2017/18 gemeinsam veranstalteten, und ist dem 2018 verstorbenen Reinhard Rürup gewidmet, einem der besten Kenner der (NS-)Geschichte der deutschen Forschungseinrichtungen.
Einleitend erläutert Schumann, welche der zahlreichen außeruniversitären Einrichtungen im Fokus stehen, nämlich „insbesondere die traditionellen und die seit 1933 neu eingerichteten Akademien" (S. 8). Tatsächlich gerieten die altehrwürdigen Akademien spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts gegenüber der nun sich etablierenden außeruniversitären Großforschung in die Defensive, ein Trend, der sich in der NS-Zeit verstärkte, als neu gegründete, zum Teil eng mit dem Regime verflochtene Wissenschaftseinrichtungen hinzukamen und sich als äußerst gewichtige Konkurrenten um Ressourcen, Einfluss und Macht erwiesen. Zwei Beiträge mit übergreifendem Charakter führen in die Thematik ein: Mitchell Ash nimmt die langfristigen Entwicklungslinien der außeruniversitären Forschung bzw. ihrer Einrichtungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts in den Blick und Reinhard Rürup gibt einen profunden Überblick über die Vertreibung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus den Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen seit 1933. Die folgenden fünf Aufsätze untersuchen einzelne Institutionen der außeruniversitären Forschung: Rüdiger Hachtmann behandelt die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Sören Flachowsky den Reichsforschungsrat und das Reichsamt für Wirtschaftsbau, Eva Schumann die Akademie für Deutsches Recht, Norbert Schappacher die NS-Akademien der Wissenschaften, wobei die Göttinger NS-Akademie im Zentrum steht, und Florian Schmaltz die 1936 gegründete Deutsche Akademie der Luftfahrtforschung. Sechs weitere Aufsätze gehen konzeptionell eher personenzentriert vor: Désirée Schauz untersucht das Selbstverständnis der Göttinger Akademiemitglieder im Nationalsozialismus, Katja Geisenhainer das Wirken des Völkerkundlers und Hochschullehrers Hans Plischke in seiner Göttingen Zeit (1928–1972) und Wolfgang Schieder die Biografie des Nobelpreisträgers und Biochemikers Adolf Butenandt (1903–1995). Frank Rexroth fragt, den Historiker Hermann Heimpel ins Zentrum stellend, „inwieweit die Forschung auch nach 1945 ungeachtet aller Transformationen den Prägungen der 1930er und 1940er Jahre unterworfen blieb" (S. 297), und Carola Sachse am Beispiel des in Auschwitz tätigen SS-Arztes Mengele und der Zwillingsforschung, wie (außeruniversitär betriebene) Wissenschaft im Nationalsozialismus nach Kriegsende (nicht nur) in der Max-Planck-Gesellschaft klassifiziert wurde, wie sich ein „Erinnerungssyndrom" (S. 349) verfestigte.
Die 13 Autorinnen und Autoren des Sammelbandes sind in ihrem Feld ausgewiesene Experten, die mit ihrem jeweiligen Beitrag die Ergebnisse langjähriger Forschungsarbeit vorstellen. Insgesamt repräsentiert der Band daher zugleich auch den inzwischen erreichten Konsens der neueren Wissenschaftsgeschichte, nämlich das große Ausmaß der Kooperation der (außeruniversitären) Forschung mit dem NS-Regime sowie nicht zuletzt, dass die außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen zwischen 1933 und 1945 keineswegs lediglich politikferne Grundlagenforschung betrieben – auch wenn dies nach Kriegsende schnell zu ihrem zentralen Argument avancierte, sich von Teilhabe und Schuld zu entlasten.
By Karin Orth
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