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Christiane Mühlegger-Henhapel

Ursula Renner (Hgg.), Hugo von Hofmannsthal, Alfred Roller, Richard Strauss: „Mit dir keine Oper zu lang...". Briefwechsel. Benevento, München – Salzburg 2021. 464 S., 220 Abb., € 58,–.
In: Arbitrium, Jg. 39 (2021-12-01), Heft 3, S. 359-362
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Christiane Mühlegger-Henhapel / Ursula Renner (Hgg.), Hugo von Hofmannsthal, Alfred Roller, Richard Strauss: „Mit dir keine Oper zu lang...". Briefwechsel. Benevento, München – Salzburg 2021. 464 S., 220 Abb., € 58,– 

Christiane Mühlegger-Henhapel / Ursula Renner (Hgg.), Hugo von Hofmannsthal, Alfred Roller, Richard Strauss: „Mit dir keine Oper zu lang...". Briefwechsel. Benevento, München – Salzburg 2021. 464 S., 220 Abb., € 58,–.

Am 24. Januar 1911, zwei Tage vor der Premiere des Rosenkavalier, schenkte Richard Strauss dem Bühnenbildner Alfred Roller ein Exemplar des gerade erschienenen Klavierauszugs mit der Widmung „Dem genialen Mitschöpfer des Rosencavalier [...] in verehrungsvollster Dankbarkeit und Bewunderung" (S. 112). Studiert man die nun erschienenen Briefwechsel Rollers mit Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, dann erscheint die zunächst vielleicht überraschende Formulierung vom „Mitschöpfer" tatsächlich keineswegs übertrieben, sondern schlicht angemessen. Diese Briefe zeigen, dass die in der Germanistik oft vorherrschende Sicht auf Musiktheater als Text-Musik-Relation viel zu kurz greift. Schon von den Anfängen der Gattung Oper an, nachdrücklich aber seit dem frühen 20. Jahrhundert bildet die szenische Gestaltung einen zentralen Faktor, der auch die Konzeption von Text und Musik beeinflusst. Dafür steht im deutschsprachigen Raum nach 1900 exemplarisch die Figur von Alfred Roller (1864–1935), Maler und Bühnenbildner, Mitbegründer und zeitweilig Präsident der Wiener Secession, Professor und später Direktor der Kunstgewerbeschule Wien. Gustav Mahler holte ihn 1903 an die Wiener Hofoper und realisierte zusammen mit ihm seine wegweisenden Wagner- und Mozart-Aufführungen als theatrale Gesamtkunstwerke. Später wirkte Roller neben der Oper auch am Burgtheater (Shakespeare-Zyklen), begründete mit Max Reinhardt, Strauss und Hofmannsthal die Salzburger Festspiele, schuf dort die erste Ausstattung zu Jedermann, zum Salzburger Großen Welttheater sowie zu Reinhardts Faust-Inszenierungen und stattete zwischen 1911 und 1933 (neben vielem anderen) die meisten großen Premieren von Richard Strauss aus; beim Rosenkavalier wurde seine Ausstattung „stilbildend [...], geradezu sakrosankt für ein dreiviertel Jahrhundert und für fast alle Inszenierungen des Werks in aller Welt".

Rollers Einfluss als Bühnen- und Kostümbildner war enorm, doch in den Briefwechseln wird erstmals deutlich, dass sich seine Tätigkeit nicht etwa auf eine bühnentechnische Visualisierung abgeschlossener ‚Werke' beschränkte, sondern bei neuen Stücken maßgeblich bereits in die Konzeptionsphase von Texten und Partituren hineinreichte, also in das gewissermaßen noch flüssige Stadium der Werkgenese. Immer wieder suchen sowohl Hofmannsthal wie auch Strauss Rollers Rat, und zwar noch in der Phase der jeweiligen Werkkonzeption vor jeder endgültigen Fixierung. So bittet Hofmannsthal etwa am 6. Dezember 1909 Roller um „einige ausgiebige Zusammenkünfte, besonders vor allem darum weil meine Ausführung der Souper- und Scandalscene in III vielfach davon abhängen wird, wie sich die mir vorschwebende Decoration in Ihrem Kopf präcisiert, realisiert und etwa modificiert" (S. 67; gemeint ist der III. Akt des Rosenkavalier). Anfang 1918 verhilft Roller durch eine genaue Darlegung alter Färbe-Methoden Hofmannsthal zum nötigen Hintergrundwissen für Erzählung und Libretto der Frau ohne Schatten (S. 179ff.), wodurch laut Hofmannsthal sein Vorhaben „einen ganz anderen Kern" erhalten habe (S. 182). Beispiele für Rollers Einfluss finden sich in den Briefen auf Schritt und Tritt, obwohl dieser sich stets bescheiden als bloßen „Theaterarbeiter" (S. 12) verstand – was ihn freilich nicht davon abhielt, bei aller Bewunderung für Strauss diesem auch mitunter gehörig die Leviten zu lesen, wenn Roller seine Vorstellung vom Theater als Gesamtkunstwerk verletzt sah: „Ihr Interesse gehört ja doch vor allem der Musik. Aber auch an einer Oper ist diese nur eines der Elemente, wenn auch das vornehmste. Es gehört noch viel anderes dazu, damit das Zauberkastel ‚Theater' entsteht." Die aktuelle Situation der Wiener Oper unter dem Direktorat Strauss/Schalk bezeichnet Roller dabei als „ächzenden und knarrenden ‚Betrieb', aber ein künstlerisches Theater kann man das nicht mehr nennen" (alle Zitate S. 306, Hervorhebungen im Original). Und Strauss akzeptierte die Kritik; nicht ohne Grund bezeichnete er Roller in einem späten Nachruf von 1942 als „Verkörperung des künstlerischen Gewissens" des Theaters (S. 360).

Es ist das Verdienst der vorliegenden Edition, diese wertvollen Dokumente mit kundigen Kommentaren zugänglich und damit ein Spannungsfeld sichtbar gemacht zu haben, das in den philologischen Disziplinen bislang noch weitgehend unbeachtet geblieben ist. Der Band regt dazu an, grundsätzliche methodische Fragen über die Rollenverteilung im modernen Musiktheater neu zu durchdenken. Zwar waren einige der Briefe schon bekannt und ediert, etwa in der Kritischen Ausgabe der Werke Hofmannsthals, aber dort gewissermaßen als Beiwerk zu einer werkfixierten Sicht auf den Librettotext. Die meisten Briefe sind bisher unveröffentlicht, und in der kompakten Zusammenstellung ist die Edition neu. Klug war vor allem der Grundgedanke, nicht separate, adressatenbezogene Briefwechsel herauszugeben, sondern das theatrale Dreieck von Textdichter, Komponist und Ausstatter in ihrer wechselnden Kommunikation deutlich zu machen.

Die Ausgabe umfasst 205 chronologisch angeordnete Dokumente, überwiegend von der Hand Rollers, Hofmannsthals und Straussens, gelegentlich erweitert durch Korrespondenzen mit anderen Adressaten (etwa Mileva Roller, Gerty von Hofmannsthal, Pauline Strauss oder Franz Schalk), wenn diese in direktem Zusammenhang mit den anderen Briefen stehen. Dabei sucht die Edition einen Kompromiss zwischen philologischen Ansprüchen und Benutzerfreundlichkeit. Während Orthographie und Interpunktion den Vorlagen folgen, sind andere Aspekte editorisch unbefriedigend, da nicht eindeutig wiedergegeben: Unterstreichungen werden vereinheitlicht (kein Unterschied zwischen einfachen oder doppelten Unterstreichungen bzw. sonstigen Hervorhebungen in den Originalen); Korrekturen und gestrichene Wörter sind nicht vermerkt; die Position von Skizzen in den Originalen wird nur ungenau angegeben, die Skizzen selbst werden nicht wiedergegeben, sondern allenfalls verbal umschrieben.

Auf den so edierten und mit einem einheitlichen Kopf versehenen Text eines Dokumentes folgen jeweils Angaben zur Überlieferung, Hinweise auf eventuelle Abbildungen im Band sowie lemmatisierte Erläuterungen. Diese kommentierenden Erläuterungen sind im Allgemeinen kundig und verlässlich. Ein Irrtum liegt auf Seite 282 vor: Wenn Strauss bei Überlegungen zum Wiener Opernspielplan eine „Wiederaufnahme von Luise, die ich sehr liebe" erwägt (S. 281), so ist damit nicht Verdis Luisa Miller gemeint, wie der Kommentar behauptet, sondern Gustave Charpentiers Louise – eine heute aus dem Repertoire verschwundene Oper, die jedoch Mahler in seiner Wiener Amtszeit am häufigsten überhaupt dirigiert hatte und die auch StraussVgl. Walter Werbeck (Hg.), Richard Strauss Handbuch. Stuttgart 2014, S. 513. sehr schätzte. Bei größeren zeitlichen Lücken – nicht alle Briefe sind erhalten geblieben, vieles wurde wohl auch mündlich besprochen – finden sich auch kurze überleitende Texte der Herausgeberinnen. Der Band ist zudem geradezu opulent bebildert: 220 farbige Abbildungen präsentieren Faksimiles, Fotos, Bühnenbilder, Skizzen und Entwürfe, die mit den Themen der Dokumente zusammenhängen.Gelegentlich gehen hier die internen Verweise etwas durcheinander: Abb. 137 bezieht sich auf Brief 139, nicht wie angegeben auf Brief 138.

Flankiert wird die Edition durch eine Einleitung (S. 7–21) und einen umfangreichen Anhang (S. 363–464), der neben editorischem Bericht und Bilddokumentation auch eine biographische Chronik der drei Hauptfiguren von 1864 bis 1959, eine umfassende Bibliographie zu Roller, weitere Literaturhinweise sowie ein Register enthält.

Das Buch bietet eine Fülle von direkten Einblicken in die zeitgenössische Theater- und Opernpraxis und deren Rahmenbedingungen, aber auch in einzelne Werke; darüber hinaus finden sich auch immer wieder grundsätzliche Erwägungen, etwa wenn Hofmannsthal über die Frage der Wirklichkeitsnähe von Dichtung nachdenkt (S. 187). Den Herausgeberinnen ist damit ein solider und anregender Band gelungen, der sich über die rein akademische Sphäre hinaus auch an Musik-, Theater- und Literatur-Liebhaber richtet. Unverständlich ist allein die Wahl des verstümmelten Titels. Es handelt sich dabei um ein gekürztes und verändertes Zitat aus einem Brief von Strauss an Roller (vgl. S. 88), doch wird durch die Entstellungen nicht mehr erkennbar, dass Strauss hier auf den II. Akt des Rosenkavalier anspielt: Aus dem Librettotext des Walzer-‚Liedls' des Ochs von Lerchenau „[...] mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang!" macht Strauss im Brief „Mit dir, mit dir keine Oper zu lang!" – im Buchtitel wird daraus ein armseliges „Mit dir keine Oper zu lang...". Die Ausgabe wurde vom Theatermuseum Wien unterstützt, wo ein großer Teil der Originalbriefe und der Abbildungsvorlagen im Nachlass von Roller liegt. Dass der aufwendig gestaltete und schön gemachte Band in einem Verlag erscheint, der zum Imperium eines österreichischen Brauseherstellers gehört, lässt auf die Einsicht hoffen, dass Sponsorengelder auch sinnvoller und nachhaltiger investiert werden können als in bedeutungslose Sportspektakel.

Footnotes 1 Entsprechend wurde der längst kanonisch gewordene Briefwechsel zwischen Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss rezipiert: Oper als Produkt von Textdichter und Komponist (Willi Schuh [Hg.], Richard Strauss – Hugo von Hofmannsthal. Briefwechsel. München 5 1990). 2 Zur Biographie vgl. Manfred Wagner, Alfred Roller in seiner Zeit. Salzburg – Wien 1996, sowie die Bibliographie im vorliegenden Band, S. 427–435. 3 Jens Malte Fischer, Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. München 2010, S. 514.

By Jörg Krämer

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Titel:
Christiane Mühlegger-Henhapel
Verantwortlichkeitsangabe: Ursula Renner (Hgg.), Hugo von Hofmannsthal, Alfred Roller, Richard Strauss: „Mit dir keine Oper zu lang...". Briefwechsel. Benevento, München – Salzburg 2021. 464 S., 220 Abb., € 58,–.
Autor/in / Beteiligte Person: Krämer, Jörg
Link:
Zeitschrift: Arbitrium, Jg. 39 (2021-12-01), Heft 3, S. 359-362
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0723-2977 (print)
DOI: 10.1515/arb-2021-0085
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Universität Erlangen-Nürnberg, Department Germanistik und Komparatistik, Bismarckstraße 1, D-91054 Erlangen, Germany

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