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Eberhard der Deutsche: Laborintus, nach dem Text v. Edmond Faral hg., übers. u. komm. v. Justin Vollmann, Basel: Schwabe 2020, 181 S.

Frick, Julia
In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, Jg. 143 (2021-12-01), Heft 4, S. 644-647
Online review

Eberhard der Deutsche: Laborintus, nach dem Text v. Edmond Faral hg., übers. u. komm. v. Justin Vollmann, Basel: Schwabe 2020, 181 S 

Vollmann, Justin Eberhard der Deutsche: Laborintus nach dem Text v. Edmond Faral hg., übers. u. komm. v. Basel Schwabe 2020 1 181

Der wohl in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandene ›Laborintus‹ Eberhards des Deutschen repräsentiert ein bemerkenswertes Zeugnis für die Rezeption der aus dem französischen Sprachraum stammenden Artes poeticae. Nach Galfreds von Vinsauf ›Poetria nova‹ handelt es sich beim ›Laborintus‹ mit 55 erhaltenen Textzeugen um die wohl am weitesten verbreitete der mittellateinischen Poetiken. Damit kommt ihr ein besonderer Status hinsichtlich des Wissens- und Literaturtransfers aus der Romania in den ›deutschen‹ Kulturraum zu, der dokumentiert, dass die lateinisch vermittelten Prinzipien dichterischer Praxis zum literarischen Erfahrungsraum der an der zeitgenössischen Bildungstradition partizipierenden deutschsprachigen Autoren gehörten.

Edmond Faral (1924) hat das reiche Spektrum der Artes poeticae in einer wegweisenden und im Einzelnen noch immer unverzichtbaren Studie erschlossen, die u. a. auch eine Edition des ›Laborintus‹, allerdings auf der Grundlage nur eines Manuskripts enthält. Während jedoch etwa die ›Ars versificatoria‹ des Matthäus von Vendôme oder Galfreds ›Poetria nova‹ größere Aufmerksamkeit der (gerade auch mediävistischen) Forschung auf sich gezogen haben, blieb Eberhards ›Laborintus‹ ohne vergleichbare Resonanz. Deshalb ist die vorliegende Ausgabe, die den lateinischen Text nach Farals Edition bereitstellt und diesem eine deutsche Übersetzung sowie Kommentierung einzelner Textstellen beigibt, ausdrücklich zu begrüßen.

Die ›Einleitung‹ des Bandes (S. 9–23) führt die wesentlichen Informationen zum ›Laborintus‹ vor dem Hintergrund des einschlägigen Forschungsstandes zusammen: Der erste Teil (›Mittelalterliche Poetiken‹ [S. 10–12]) verortet den Text in seinem kulturhistorischen Umfeld; der zweite (›Der ›Laborintus‹: Grundlegende Informationen‹ [S. 13–18]) bietet eine Einführung zu »Autor, Datierung, Titel, Überlieferung, Rezeption sowie Ausgaben und Übersetzungen« (S. 9); der dritte (›Alleinstellungsmerkmale, Interpretation‹ [S. 18–23]) verhandelt Fragen der Bewertung des Textes und perspektiviert mögliche Interpretationsansätze. Dieses Spektrum akzentuiert in geboten bündiger Darstellung v. a. die Bedeutung und Wirkungsgeschichte des ›Laborintus‹, die »[i]nsgesamt noch wenig erforscht« (S. 16) seien. Gerade die Tatsache, dass zwischen 1497 und 1504 vier Drucke des Textes erschienen, verweist auf seine offenbar nachhaltig hohe Relevanz im spätmittelalterlichen Bildungsbetrieb (jedenfalls vor der Etablierung humanistischer Bildungsmaximen). Besonderes Gewicht kommt dem ›Laborintus‹ darüber hinaus aufgrund der spezifischen Einlassung der rhetorisch-poetischen Lehre in eine allegorische Rahmenhandlung zu, die den Text auf mehrere Ebenen hin transparent hält und ihn »kosmologisch, enzyklopädisch und soziologisch kontextualisiert« (S. 23). Ein zentraler Aspekt, der den einigermaßen eigenwilligen, »›labyrinthisch‹ anmutende[n] Aufbau« (S. 9) des Werkes, das zwischen Grammatik, Rhetorik und Poetik vermitteln will und dabei Klagen über die Inferiorität des Lehrerhandwerks breiten Raum lässt (vgl. V. 835–990), als »nicht bloß unterhaltsam, sondern durchaus programmatisch[ ]« (S. 9) durchschaubar macht. Über die in der ›Bibliographie‹ (S. 155–174) zusammengestellte Forschungsliteratur lassen sich zudem die in der Einleitung fokussierten wesentlichen Gesichtspunkte einschlägig vertiefen.

Der lateinische Text des ›Laborintus‹ ist mit einer kleinteiligeren Abschnittsgliederung versehen, als sie Farals Ausgabe bietet; zusammen mit den der Übersetzung jeweils beigefügten Überschriften sorgt diese für eine übersichtliche Orientierung und bildet die Struktur des Werkes unmittelbar ab. Die Umsetzung von Eberhards komprimierter, durch ihre gesuchte Bildlichkeit oftmals nicht minder umständlicher Ausdrucksweise ins Deutsche erfolgt zielsprachenorientiert bei zugleich größtmöglicher Nähe zum Wortlaut des Originals. Sie ist durch einen kenntnisreichen Zugriff auf die Feinheiten der lateinischen Syntax und Stilistik gekennzeichnet, um deren Nachvollzug sich der deutsche Text im Rahmen des Möglichen bemüht. Diese Tendenz kommt ganz markant im Abschnitt zum Autorenkatalog zum Tragen (Kap. 19, V. 599–684), worin sich zahlreiche (mal mehr, mal weniger) subtile Wortspiele mit den Namen der klassisch-antiken und mittelalterlichen auctores finden, z. B. catus [...] Cato (›der gewitzte [catus] Cato‹ [V. 603]), [n]on juvenis [...] Juvenalis (›der nicht jugendliche [iuvenis] [...] Juvenal‹ [V. 625]) und, besonders eingängig: Lucet Alexander Lucani luce (›Es leuchtet [lucet] Alexander durch das Licht [luce] Lukans‹ [V. 637]). In der Übersetzung werden die jeweils den Autorennamen beigegebenen lateinischen Homonyme in eckigen Klammern geboten, damit sich der spielerische Umgang mit den Größen der Bildungsgeschichte – durch eine gleichsam bilinguale Lektüre – ermessen lässt. Freilich nimmt der dezidiert wörtliche Transfer gerade im Hinblick auf die bisweilen spezielle Metaphorik des ›Laborintus‹ eine gewisse terminologische Unschärfe bewusst in Kauf, die zwar den charakteristischen Tenor des lateinischen Textes abbildet, deren Präzisierung jedoch an manch einer Stelle bereits in der Übersetzung zugunsten eines konkreteren Textverständnisses hätte erfolgen können.

Zu diesen und vielen weiteren Fragen eröffnet der ausgewogene ›Kommentar‹ (S. 109–154) mit z. T. umfangreicheren Einträgen weiterführende Reflexionen, indem er – über die zu erwartende Erklärung von Realien und inhaltlichen Parametern hinaus – die Metaphorik des Textes begrifflich fasst, übersetzungspraktische Entscheidungen diskutiert, Abweichungen der Interpunktion von Farals Ausgabe minutiös begründet und mit Verweisen auf intertextuelle Bezüge den gelehrten Denkraum rekonstruiert, dem der Text entstammt. Überdies sind in drei ›Register[n]‹ (S. 175–181) die Autoren von Eberhards Bezugstexten, literarische und andere Namen sowie Referenzen auf Bibelstellen erschlossen.

Die zweisprachige Ausgabe bietet das nötige Instrumentarium für eine Lektüre des ›Laborintus‹, die einerseits den Einstieg in das »arbeitsreiche Labyrinth« (S. 14) der mittellateinischen Poetik erleichtert, andererseits aber die vielschichtige Deutungsdimension des Textes in Grundzügen erfahrbar macht. Damit dürfte die Ausgabe – so ist zu hoffen – das Interesse der Forschung auf das »[a]n den mitteleuropäischen Artistenfakultäten [...] um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert [...] neben der ›Poetria nova‹ wichtigste Lehrbuch der Rhetorik« (S. 16) lenken und für die bildungsgeschichtliche Interdependenz zwischen historischer Poetik und spätmittelalterlicher, gerade auch volkssprachiger Dichtungspraxis sensibilisieren.

Footnotes 1 Vgl. exemplarisch Geert H. M. Claassens [u. a.] (Hgg.): Germania Litteraria Mediaevalis Fancigena. Handbuch der deutschen und niederländischen mittelalterlichen literarischen Sprache, Formen, Motive, Stoffe und Werke französischer Herkunft (1000–1300), 7 Bde., Berlin [u. a.] 2010–2015. 2 Es handelt sich um den von Jean de Herent geschriebenen Codex aus dem Jahr 1349, heute Paris, Bibliothèque nationale, lat. 18570 (vgl. Les Arts Poétiques du XII e et du XII e siècle, hg. von Edmond Faral, Paris 1924, S. 39). 3 Vgl. dazu Franz Josef Worstbrock: Eberhard der Deutsche (Everardus Alemannus, Teutonicus), in: 2 VL, Bd. 2, 1980, Sp. 273–276. 4 »Die Übersetzung selbst ist darum bemüht, die manchmal sperrige Metaphorik des lateinischen Originals nicht unnötig zu glätten« (S. 9 f.). So steht bspw. die Wendung ›mit der Ungleichheit der Füße durchpflügen‹ (perares imparitate pedum [V. 8]) für den sachlichen Ausdruck »in elegischen Distichen behandeln« (S. 10). Eine ›Glättung‹ wäre indes, neben der genannten, u. a. auch an folgenden Stellen erwägenswert: Die Mutter liest ›mit der vorderen Kammer ihres Kopfes‹ (cella capitis anteriore [V. 42]); ›Kodex [...], den die Philosophie in ihrem Schoß gehämmert hat‹ (codex [...] Quem cudit gremio Philosophia suo [V. 55 f.]); ›Kasus ohne Ruderer‹ (sine remige casus [V. 339]); ›Nomen gehen eine Liebesverbindung mit Nomen ein‹ (Nomina nominibus se concubina maritant [V. 735]); ››geverselige‹ Pest‹ (versiculosa lues [V. 962]). – In Kap. 3 (›Der Traum der Mutter‹ [V. 41–72]) scheint m. E. die Unbestimmtheit der Pronomina hinsichtlich des Genus bewusst gesetzt, um den Übergang von der lesenden Mutter zum (ungeborenen) mit ihr und durch sie lesenden Knaben gleichsam prozesshaft zu inszenieren. Auch wenn der mehrmalige Subjektwechsel in der Übersetzung irritierend wirkt, spiegelt er die Intention und innere Logik des lat. Textes treffend wider.

By Julia Frick

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Titel:
Eberhard der Deutsche: Laborintus, nach dem Text v. Edmond Faral hg., übers. u. komm. v. Justin Vollmann, Basel: Schwabe 2020, 181 S.
Autor/in / Beteiligte Person: Frick, Julia
Link:
Zeitschrift: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, Jg. 143 (2021-12-01), Heft 4, S. 644-647
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0005-8076 (print)
DOI: 10.1515/bgsl-2021-0048
Schlagwort:
  • SYNTAX (Grammar)
  • MANUSCRIPTS
  • INTENTION
  • Subjects: SYNTAX (Grammar) MANUSCRIPTS INTENTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: English
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Universität Zürich, Deutsches Seminar, Schönberggasse 9, 8001 Zürich, Schweiz

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