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Heike Bungert, Die Indianer. Eine Geschichte der indigenen Nationen in den USA. München, Beck 2020.

Lindner, Markus H.
In: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 720-721
Online review

Heike Bungert, Die Indianer. Eine Geschichte der indigenen Nationen in den USA. München, Beck 2020 

Heike Bungert, Die Indianer. Eine Geschichte der indigenen Nationen in den USA. 2020 C. H. Beck München, 978-3-406-75836-2, € 16,95

In der allgemeinen Geschichtsschreibung der USA werden die indigenen Völker und Akteure meist übersehen. So ist es das große Verdienst von Heike Bungerts Buch zu zeigen, „dass Indianer keine passiven Opfer der Euroamerikaner oder Objekte" (S. 7 f.), sondern aktiver Teil der Geschichte waren und sind. Mit der kaum zu ändernden Tatsache, dass ein Zeitraum von über 500 Jahren, den die Publikation abdeckt, nur beispielhaft und zum Teil sehr oberflächlich behandelt werden kann, geht die Autorin offen um. Dass sie dabei bewusst Hawaii und Alaska auslässt, „da die beiden Gebiete erst nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der USA wurden" (S. 11), ist zumindest im Fall Alaskas unverständlich, da die Publikation nicht mit dem 2. Weltkrieg endet, Alaska seit 1867 im ‚Besitz' der USA war, und es im Gegensatz zu Hawaii enge kulturelle Verbindungen zu den Kernstaaten gibt.

Bungert definiert als ihre Ziele, anhand von Beispielen einen Überblick über die „gesamte indianische Geschichte" zu geben, die „aktive Rolle indianischer Gruppen" aufzuzeigen, auf Frauen und ihre gesellschaftliche Rolle zu achten und die „gegenseitige Perzeption und insbesondere das jeweilige euroamerikanische Indianerbild" einzubeziehen, um die Indianerpolitik der USA darzustellen (S. 8 f.). Die meisten Ziele erreicht sie in ihren 13 chronologischen Kapiteln, deren Titel jeweils einen thematischen Schwerpunkt dieser Epoche ausweisen. Durch das tief gestaffelte Register lassen sich viele der Themen auch leicht über die gesamte Geschichte hinweg verfolgen.

Dass Kapitel 2 als „Kultur, Sprache und Lebensweise vor Ankunft der Euroamerikaner (1400–1513)" bezeichnet wird, ist aus ethnologischer Sicht durchaus problematisch, da keiner der drei Aspekte plötzlich verschwand und die Rekonstruktion dieses vorkolonialen Zustandes auf Quellen aus der Kolonialzeit beruht. Es ist aber wichtig, um die kulturellen Hintergründe zu verstehen, die in der Folge keine große Rolle mehr spielen. Berücksichtigt man das, ist das Kapitel ebenso gelungen, wie das gesamte Buch, in der der Autorin es gelingt, die vielen einzelnen Fäden der „indianischen Geschichte" zusammenzuführen. In der Realität entstand diese Einheitlichkeit erst langsam ab dem späten 19. Jahrhundert und ist bis heute von politischen und rechtlichen Entwicklungen geprägt, die im letzten Kapitel bis in die Gegenwart nachvollzogen werden.

Es bleiben jedoch ein paar Schwächen, die bei der Lektüre berücksichtigt werden müssen. Dazu zählt insbesondere die in sich nicht schlüssige Terminologie. Hier ergeben sich mehrere Probleme. So schreibt Bungert beispielsweise: „[...] herrschte in den USA lange der Begriff ‚Native Americans' vor. Viele Indigene bevorzugen jedoch mittlerweile ‚American Indians'" (S. 9). Tatsächlich verhält es sich in Bezug auf die amerikanische Begrifflichkeit genau umgekehrt: Aus „Indian" wurde „American Indian". Erst ab den 1960er Jahren verbreitete sich „Native American". Welcher Begriff heute benutzt wird, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Als zentraler Rechtsbegriff bleibt „American Indian" jedoch unverzichtbar. Auch die deutsche Terminologie müsste besser diskutiert werden. So erscheint es manchmal beliebig, ob von „Indianern" oder „Indigenen" gesprochen wird, obwohl im Einzelfall durchaus differenziert werden müsste. Auch andere Begriffe sind unsauber eingesetzt. So schreibt Heike Bungert von „momentan 565 von der US-amerikanischen Regierung anerkannte[n] Gruppen" (S. 10). An anderer Stelle werden diese als „Stammesgruppen" bezeichnet (z. B. S. 233). Tatsächlich handelt es sich um politische Einheiten, deren Sonderrechte darauf beruhen, dass sie keine undifferenzierten „Gruppen" sind, sondern einen rechtlichen Status als federally recognized tribes – also Stämme! – haben. Der Begriff kann in diesem Zusammenhang nicht einfach ersetzt werden.

Da die Autorin ihr Buch „auf der Höhe der Forschung" (S. 7) sieht, hätte ich es auch begrüßt, wenn sie das indianische Geschichtsverständnis nicht etwas lapidar in einem Absatz abgehandelt (S. 12 f.) und den existierenden indigenen Perspektiven mehr Raum gegeben hätte. So bleibt die Darstellung geprägt von einer europäisch-amerikanischen Sicht auf das Thema.

Trotz der Kritik ist Heike Bungerts gut geschriebenes Buch eine hervorragende Ergänzung zu sonstigen Überblickswerken zur US-Geschichte, in denen die indigenen Akteure meist zu kurz kommen. Für Leserinnen und Leser, die sich aus historischer Perspektive über Indianer informieren möchten, bietet die vorliegende Monografie zweifellos einen sehr guten, breiten und anregenden Einstieg.

By Markus H. Lindner

Reported by Author

Titel:
Heike Bungert, Die Indianer. Eine Geschichte der indigenen Nationen in den USA. München, Beck 2020.
Autor/in / Beteiligte Person: Lindner, Markus H.
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 720-721
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2021-1379
Schlagwort:
  • EINE Geschichte der indigenen Nationen in den USA (Book)
  • BUNGERT, Heike
  • NATIVE Americans
  • NONFICTION
  • UNITED States
  • Subjects: EINE Geschichte der indigenen Nationen in den USA (Book) BUNGERT, Heike NATIVE Americans NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Heike Bungert, The Indians. A History of the Indigenous Nations in the United States. Munchen, Beck 2020.
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Geographic Terms: UNITED States
  • Author Affiliations: 1 = Goethe-Universität, Institut für Ethnologie, Frankfurt am Main,, 60323, Germany.
  • Full Text Word Count: 687

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