Eva Bachmann, Die Macht auf dem Gipfel. Alpentourismus und Monarchie 1760–1910. 2020 Böhlau (Köln) Köln, 978-3-205-21121-1, € 40,–
Von der Selbstfindung in vermeintlich ursprünglicher Natur bis zur jodelnden Sennerin: Die Assoziationen mit dem Alpentourismus sind vielfältig. Wie die Beschäftigung mit dessen Gegenwart bietet auch die mit seiner Geschichte zahlreiche Anknüpfungspunkte – ökologische, ökonomische, soziale, kulturelle. Schon gestresste Großstädter des Industrialisierungszeitalters priesen die Flucht in die Berge, womit sich deren abgelegenen Landstrichen neue Entwicklungs- und seiner Bevölkerung neue Sozialisationsmöglichkeiten eröffneten. Umgekehrt waren schon im 19. Jahrhundert auch die Warnungen vor Überfremdung, Kulturverlust und ökologischen Folgen nicht zu überhören.
Die Anknüpfungspunkte, die die Alpentourismusgeschichte bietet, sind mithin vielfältig und sie sind nur eines der Forschungsfelder, in das sich die aus einem SNF-Projekt an der Universität Luzern hervorgegangene Dissertation von Eva Bachmann selbst verortet; die der Alpen- und der Monarchieforschung sind die weiteren. Ihr Gegenstand sind die Reisen der britischen und italienischen Monarchinnen und Monarchen in die Schweizer und italienischen Alpen zwischen 1760 und 1910 (da George III. sich allerdings lediglich innerhalb eines eng umgrenzten Raums in England bewegte, beginnt die eigentliche Untersuchung, anders als es der Titel suggeriert, erst mit einer Reise von 1814). Das Erkenntnisinteresse zielt darauf, inwiefern diese Reisen „gesamtgesellschaftliche Veränderungen von kulturellen Präferenzen und Lebensstilen" widerspiegeln. Gegliedert ist der Band nach der Einleitung in ein Kapitel über den Alpentourismus in der Schweiz und in Italien (Kap. 2), gefolgt von den zentralen Teilen über die Reisen britischer (
Etwas überraschend ist, dass in den Hauptkapiteln (
Die Alpenreisen selbst führten die Briten überwiegend in die Schweiz, während sich die Savoyer öfter und vorrangig innerhalb der eigenen Landesgrenzen bewegten. Während nur bei ihnen die alpine Jagd zentrale Funktion hatte, ging es allen Dynastinnen und Dynasten bei ihren Reisen in die als idyllisch wahrgenommenen Berge um einen „regenerative[n] Eskapismus", der vor allem den höfischen Etiketten galt. Leider erfährt man wenig darüber, wie streng diese im Angesicht der Berge waren, ob also der Aufenthalt der Monarchinnen und Monarchen tatsächlich so einfach war, wie es in den zitierten Zeitungen dargestellt wurde. Dies hätte zum einen den Vergleich mit anderen Erholungsdestinationen erlaubt (die Autorin verweist auf Balmoral, Osborne und Montecristo), zum anderen Aufschlüsse darüber, ob Nahbarkeit und Bescheidenheit nicht nur Teile einer royalen Selbststilisierung waren, der es darum ging, nach dem Verlust monarchischer Selbstverständlichkeit der Bevölkerung neue Identifikationsangebote zu machen. Ob Vittorio Emanuele II. bei seinen Jagden tatsächlich „ohne Standesschranken" auskam und sich von der Bevölkerung duzen ließ (S. 255), müsste jedenfalls geklärt und gegebenenfalls auf Intention wie Rezeption hinterfragt werden, um an kulturgeschichtliche Monarchieforschungen in der Tradition von David Cannadine, Monika Wienfort, Johannes Paulmann oder Martin Kirsch anzuschließen.
Dass dies zu selten geschieht, ist umso bedauerlicher, als die Studie zahlreiche Aspekte beinhaltet, die für ganz unterschiedliche Forschungsrichtungen relevant sind. Das reicht von der Frage, welche infrastrukturellen Auswirkungen die königlichen Besuche zeitigten, über jene, ob das königliche Lob der Natur eine unmittelbare Folge von Industrialisierung und Urbanisierung war, bis hin zu jener, welche Bedeutung gerade diese Reisen für die Verortung einer sich wandelnden Monarchie hatten. Leider werden solche Themen jedoch allenfalls angerissen, so dass die Bewertung und analytische Verortung den Lesern überlassen bleibt. Eine intensivere Rezeption der Forschungsdiskussion hätte hier sicherlich zahlreiche wichtige Anregungen geben können. Jenseits der Erkenntnis, dass es nicht erst die Monarchenreisen waren, die den breiten Tourismus in die Alpen beförderten, bleibt der/die Leser/-in daher etwas ratlos zurück, inwiefern „die aufkommenden Alpenreisen der europäischen Monarchinnen und Monarchen gesamtgesellschaftliche Veränderungen von kulturellen Präferenzen und Lebensstilen" reflektierten.
By Jörg Zedler
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