Joachim Berger, Mit Gott, für Vaterland und Menschheit? Eine europäische Geschichte des freimaurerischen Internationalismus (1845–1935). Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 259. 2020 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 978-3-525-56485-1, € 90,–
Dieses umfangreiche Werk beschäftigt sich mit der Dialektik zwischen dem freimaurerischen utopischen Anspruch des Baus am „Tempel der Menschlichkeit" und der Vermenschlichung der Gesellschaft durch Überbrückung aller Konflikte, Gegensätze und der realen Wirklichkeit. Der Autor untersucht vor allem die „Mechanismen" und „Konfliktfelder" „grenzüberschreitender Interaktion und Kooperation" der Bruderkette (S. 8). Nach einer instruktiven Einleitung, in der der Autor auch auf die Strukturelemente und Ideologeme (Initiatorischer Bund – Weltbruderkette – Inklusion und Exklusion – Verschwiegenheit – Weltverbesserung – Heterogenität und Vielfalt) des freimaurerischen Internationalismus hinweist, wird die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit in drei Hauptkapiteln angestrebt.
Im methodischen Aufbau geht es um das Spannungsverhältnis der nationalen Positionierungen und den internationalen Beziehungen sowie transnationalen Aktivitäten. Dabei stehen vor allem die Rückwirkungen dieser Bestrebungen auf die „nationalen Akteure" im Fokus der vorliegenden Darstellung. Das erste Hauptkapitel umfasst die „Mechanismen der internationalen freimaurerischen Beziehungen" auf der Basis der spezifischen Interessen der fünf Dachverbände in England, Frankreich, Italien und Deutschland. Diese verbanden sich in komplexen Austausch- und Abgrenzungsbeziehungen. Im zweiten Hauptkapitel geht es um die Fokussierung der transnationalen Bewegungen und Organisationen und um deren „Konjunkturen und Gegenentwürfe" (S. 19). Das dritte Hauptkapitel zeigt auf, wie auf der Grundlage wichtiger Streitthemen und Konfliktmuster „konfligierende Positionen im freimaurerischen Internationalismus handlungsleitend mobilisiert werden und wie sich Begründungsstrukturen und Konstellationen über die Jahrzehnte verändern" (S. 20). Diese wichtigen Aspekte analysiert der Autor in mehreren Schritten und mit fließenden Übergängen (Mission der Freimaurerei, Außenarbeit, Innenarbeit, Fürsorge und Herrschaft). Dabei handelt es sich um konfliktbeladene „Grenzräume". Im Zusammenhang mit den „Grenzräumen" steht eine neue Interpretation der „Basic Principles" aus dem Jahre 1929, die von der englischen Großloge verabschiedet wurden. Das Buch endet mit einer Darstellung der „Proberäume und Reflexionsmodi globaler Governance", die der masonische Internationalismus ermöglichte.
Der Universalismus spielte auch nach 1945 als Ideal in der Freimaurerei eine wichtige Rolle, wie verschiedene Organisationsversuche der Großloge zeigen. Der Verfasser dieses gut recherchierten Werkes schließt eine masonische Forschungslücke, auch wenn das Quellenmaterial nur z. T. archivalisch erfasst werden konnte, wie der Autor selbst betont. Die damit verbundenen Schwierigkeiten werden von ihm bereits in der Einleitung beschrieben (S. 18). Auch die wichtigste Literatur zu diesem komplexen Thema wurde gut eingearbeitet, auch wenn einige neuere Forschungen zur Freimaurerei nicht verwendet wurden (vor allem zu den ideengeschichtlichen Grundlagen und zur Wirkungsgeschichte der Freimaurerei).
By Helmut Reinalter
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