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Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. (Campus Historische Studien, Bd. 7.) Frankfurt am Main, Campus 2019.

Pfeilschifter, Rene
In: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 742-744
Online review

Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. (Campus Historische Studien, Bd. 7.) Frankfurt am Main, Campus 2019 

Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Campus Historische Studien, Bd. 7. 2019 Campus Verlag GmbH Frankfurt am Main, 978-3-593-50952-5, € 49,–

Die erste Auflage dieses Buches wurde 1992 gemischt aufgenommen. Es war die überarbeitete Habilitationsschrift eines Außenseiters, der die Quellen oft anders auslegte und gewichtete, der Anregungen aus den Sozialwissenschaften nicht nur aufnahm, sondern ins Zentrum seiner Arbeit stellte, der mit recht klaren Worten in Anspruch nahm, die bekannteste und interessanteste Institution der römischen Antike neu zu erklären: das Kaisertum. „Diese Arbeit versucht, das Feld der Politik in der römischen Monarchie neu zu erschließen – unter Zuhilfenahme von Semiologie, Kommunikationstheorie, Herrschaftssoziologie und Politischer Anthropologie" (aus der Selbstanzeige des Verfassers, HZ 253, 1991, 384, lesenswert noch heute wegen der Wucht der Zusammenfassung).

Der Erschließungsversuch sah folgendermaßen aus: Den seinerzeit noch dominierenden, auf Mommsen zurückgehenden Ansatz, den Prinzipat mit juristischen Kategorien zu erfassen, wischte Flaig beiseite. Einer Legitimität, die als unverlierbar oder von einer autoritativen Instanz verliehen gedacht war, setzte er die Akzeptanz entgegen. Der Begriff meint die verlierbare Unterstützung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Das Kaisertum der ersten beiden Jahrhunderte verstand Flaig insgesamt als Akzeptanzsystem. Der Princeps hing einzig davon ab, dass es ihm gelang, sich die Unterstützung der maßgeblichen soziopolitischen Gruppen im Reich zu erhalten. Es handelte sich dabei um das Militär, die Aristokratie und um das Volk, genauer, da der Kaiser die meiste Zeit in Rom residierte: um Prätorianer, Senatoren und stadtrömische Plebs. Um das flüchtige Gut der Akzeptanz musste sich der Princeps immer von neuem bemühen. Diese Anstrengung drückte sich mehr in einem den Status der Gruppen affirmierenden Habitus aus als in objektivierbaren Regierungsleistungen. Kennzeichnend für das politische System waren daher eine permanente rituelle, gestische und verbale Interaktion und Kommunikation zwischen Herrscher und Akzeptanzgruppen. Versagte der Kaiser dabei, drohte ihm die Usurpation. Ein neuer Herrscher erhob sich, der ebenso legitim und illegitim war wie der alte, solange er sich nur durchsetzte, das heißt: seinerseits Akzeptanz errang.

Das hatte noch niemand geschrieben. Zwar hatte Mommsen selbst weit deutlicher die Problematik einer staatsrechtlichen Konzeptionierung gesehen als manche seiner Nachfolger, und Wissenschaftler wie Anton von Premerstein, Ronald Syme und Dieter Timpe hatten durchaus neue Wege gewiesen. Kurz nach 1992 erschienen auch weitere Arbeiten zum Prinzipat, die ähnliche Anliegen vertraten. Flaigs Buch ragt aber heraus, durch sein konsequentes Ausgehen von Methode und Theorie, durch die Originalität, Durchdachtheit und Entschiedenheit seines Entwurfs, durch den nachdrücklich herausgestellten Bruch mit der Tradition. „Den Kaiser herausfordern" ist eine der größten Leistungen der Althistorie im 20. Jahrhundert.

Die neue politische Kulturgeschichte war damals im Kommen begriffen, und so fand das Buch auch Anerkennung. Und ähnlich wie bei Christian Meiers „Res publica amissa" stieg sein Ansehen im Laufe der Zeit gewaltig. Die Auflage wurde bald ausverkauft, zehn Jahre nach der Veröffentlichung war der Besitz eines (im Antiquariat gar nicht oder nur zu Höchstpreisen zu erstehenden) Exemplars im althistorischen Mittelbau ein Objekt des Neids. Viele Prinzipatsforscher nahmen Flaigs Ansatz auf, die These vom Akzeptanzsystem dominiert heute das Feld, und es wurden sogar Habilitationsschriften vorgelegt, die das Konzept für andere Epochen adaptierten.

Trotz der inzwischen verstrichenen dreißig Jahre polarisiert das Buch freilich auch heute noch. Das hat, neben der stets gebotenen sachlichen Auseinandersetzung, viel mit seiner Präsentation zu tun. Der Verfasser formulierte apodiktisch, manchmal geradezu aufreizend, und er urteilte über andere Ansichten in einer Weise, die nicht selten als abkanzelnd wahrgenommen wurde. Flaig bezeichnet in der vorliegenden zweiten Auflage die Kritik daran als „berechtigt. Jene polemische Härte erklärt sich aus der wissenschaftlichen Konstellation zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts" (S. 14).

Doch auch in den jetzt neugeschriebenen Partien findet sich manch kompromisslose Bemerkung. Die Härte hat eben nicht nur mit der Situation vor dreißig Jahren, sondern auch mit der Person des Verfassers zu tun. Egon Flaig ist ein entschiedener Sucher nach der Wahrheit, und bei dieser Suche kennt er weder Partei noch Rang. Wer Flaig einmal kennengelernt hat, weiß um seine persönliche Liebenswürdigkeit, seine Freude an der Geselligkeit, seine Neugier auf andere Menschen und Sichtweisen. So ist er auch bereit, sobald die Diskussion der Sache gilt, abweichende Vorstellungen ohne Ansehen der Person in Betracht zu ziehen und anzunehmen, wenn sie ihm nur plausibel scheinen; genauso aber temperiert er seine Meinung nicht, wenn sie das nicht tun. Flaig argumentiert ohne Zurückhaltung, mit Herzblut.

Gerade wegen des Ringens um die Wahrheit konnte das hier angezeigte Buch nicht einfach als Wiederabdruck mit ein paar Korrekturen und Zusätzen erscheinen. Mit einer Publikation ist für Flaig die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand nicht vorbei. Er kehrt, auch darin Christian Meier nicht unähnlich, gern zu ihm zurück, verfeinert und präzisiert seine Positionen, gelegentlich korrigiert er sie. So handelt es sich um eine neue, vollständig durchgearbeitete Fassung. Die alte Gliederung ist im wesentlichen beibehalten – „[d]ie kardinalen Thesen haben die Kritiken und Diskussionen des vergangenen Vierteljahrhunderts bestanden" (S. 14) –, aber es sind Abschnitte dazugekommen, andere weggefallen, die Argumentation ist im Lichte der Forschung und eigenen Nachdenkens erneuert. Ganz neu geschrieben ist das erste Kapitel zur Akzeptanzmonarchie. Flaig plädiert darin, gegen Luhmanns Systemtheorie, für die Anwendung des Begriffes Staat auf die Antike, er warnt vor einer Überschätzung des Konzepts des „Aushandelns" und plädiert energisch für das historische Vergleichen. All das ist sehr erwägenswert, und zumindest der Rezensent ist überzeugt.

So liegt ein ungeheuer einflussreiches Buch erneut vor, erfreulicherweise im selben, einer kritischen Historie besonders aufgeschlossenen Verlag. Interessenten kann ich nur empfehlen: kaufen (oder ausleihen), lesen, nachdenken, diskutieren.

By Rene Pfeilschifter

Reported by Author

Titel:
Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. (Campus Historische Studien, Bd. 7.) Frankfurt am Main, Campus 2019.
Autor/in / Beteiligte Person: Pfeilschifter, Rene
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 742-744
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2021-1391
Schlagwort:
  • DEN Kaiser herausfordern: Die Usurpation im Romischen Reich (Book)
  • FLAIG, Egon
  • ROMAN Empire, 30 B.C.-A.D. 476
  • EMPERORS
  • NONFICTION
  • Subjects: DEN Kaiser herausfordern: Die Usurpation im Romischen Reich (Book) FLAIG, Egon ROMAN Empire, 30 B.C.-A.D. 476 EMPERORS NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Egon Flaig, Challenge the Emperor. The usurpation in the Roman Empire. 2nd, updated and expanded edition. (Campus Historical Studies, Vol. 7.) Frankfurt am Main, Campus 2019.
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Institut für Geschichte, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Würzburg,, 97070, Germany.
  • Full Text Word Count: 931

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