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Claudius Claudianus, Politische Gedichte. Bd. 1: Carmina Maiora. Herausg. und übersetzt von Philipp Weiß und Claudia Wiener. (Sammlung Tusculum.) Berlin/Boston, De Gruyter 2020.

Müller, Gernot Michael
In: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 748-751
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Claudius Claudianus, Politische Gedichte. Bd. 1: Carmina Maiora. Herausg. und übersetzt von Philipp Weiß und Claudia Wiener. (Sammlung Tusculum.) Berlin/Boston, De Gruyter 2020 

Claudius Claudianus, Politische Gedichte. Bd. 1: Carmina Maiora. Herausg. und übersetzt von Philipp Weiß und Claudia Wiener. Sammlung Tusculum. 2020 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston, 978-3-11-060750-5, € 79,95

Mit seinen zwischen 395 und 404 n. Chr. entstandenen politischen Gedichten hat Claudian einen innovativen Gattungshybrid im Spannungsfeld von Epik und Panegyrik geschaffen, dem bekanntlich eine beachtliche Wirkungsgeschichte beschieden war. Dieser haben erst die Veränderungen in der ästhetischen Beurteilung antiker Literatur im Laufe des 18. Jahrhunderts ein Ende gesetzt. In deren Folge sind Claudians politische Dichtungen trotz ihrer Edition in den MGH durch Theodor Birt (Claudius Claudianus: Carmina, hrsg. von Theodor Birt. Berlin 1892, ND 1961 [Monumenta Germaniae Historica. Scriptores, Auctores antiqui, Vol. 10]) fast vollständig aus dem Blick geraten, bis mit der bahnbrechenden Monographie von Alan Cameron Anfang der 1970er Jahre eine signifikante Intensivierung der Forschungstätigkeit zu Claudians politischen Dichtungen zu verzeichnen ist (Alan Cameron, Claudian. Poetry and Propaganda at the Court of Honorius. Oxford 1970). Dessen ungeachtet weist deren Erforschung weiterhin beträchtliche Defizite auf, die gerade den Bereich ihrer grundlegenden wissenschaftlichen Aufarbeitung betreffen. So fehlen zu zahlreichen von ihnen immer noch eingehende Kommentare wie bislang eine moderne deutsche Übersetzung nicht existiert, die für deren breite Rezeption angesichts ihrer durchaus komplexen Syntax und Stilistik nicht nur wegen der abnehmenden altsprachlichen Kenntnisse auch in der einschlägigen akademischen Community ein vorrangiges Desiderat darstellt. (Auf die praktisch nicht mehr zur Kenntnis genommene Übersetzung von Georg von Wedekind, erschienen 1868 in Darmstadt, sei hier nur verwiesen.)

Dieses Desiderat wurde nun von Philipp Weiß und Claudia Wiener behoben, indem sie in der Tusculum-Reihe des de Gruyter-Verlags eine deutsche Übersetzung aller politischen Gedichte Claudians einschließlich ihrer Praefationes zusammen mit einführenden Kapiteln, knappen Erläuterungen und Indices vorgelegt haben. Den Auftakt des Bandes macht eine ausführliche Einleitung (S. 7–36), die auf der Höhe des aktuellen Forschungsstands den ereignishistorischen Hintergrund zwischen 395 und dem Beginn des 5. Jahrhunderts n. Chr., die politische Situation im römischen Reich, die Poetik der Gedichte, Claudians Bildungshintergrund und Selbstverständnis, seine Position und die Funktion seiner Dichtung im spannungsreichen Gefüge zwischen Kaiserhof, Stilicho und römischem Senat, die Strategien, die einschneidenden Umwälzungen und Erschütterungen im Entstehungszeitraum der Gedichte zu deuten und zu verarbeiten, sowie die Regularien panegyrischer Rhetorik, ihre politische Wirkweise und die Rezitationskontexte der Gedichte mit ihren spezifischen Rezeptionsmechanismen darlegt. Den Abschluss der Einleitung bilden eine sich an den Ergebnissen von Siegmar Döpps Untersuchung orientierende Zeittafel (Siegmar Döpp, Zeitgeschichte in Dichtungen Claudians. Wiesbaden 1980 [Hermes Einzelschriften, Bd. 43]), die die Entstehungsdaten der Gedichte mit den wichtigsten zeitgeschichtlichen Ereignissen und personellen Entwicklungen an der politischen Spitze des Reichs synchronisieren (S. 37 ff.), und ein Überblick über die komplexe Überlieferungs- und Editionsgeschichte der politischen Dichtungen Claudians, an deren Ende Weiß und Wiener ihre nachvollziehbare Entscheidung begründen, beim lateinischen Text J. B. Halls Edition von 1985 zu folgen, und ihre wenigen, allesamt bedenkenswerten Abweichungen von dieser dokumentieren (S. 40–46).

Der vorbildlichen Erschließung der Gedichte ist damit nicht genug. So ist jedem eine kurze Einleitung vorangestellt, in der Inhalt und Argumentationsstruktur skizziert, der historische Hintergrund, auf den es Bezug nimmt, angedeutet, seine Struktur im Spannungsfeld von panegyrischer Topik und epischer Szenenbildung herausgearbeitet und abschließend eine Gliederung gegeben wird. Ergänzt wird diese Erklärung durch einen knappen, aber nichtsdestoweniger erhellenden Stellenkommentar, der auf den historisch-politischen Kontext, auf Rahmen und Anlass der Gedichte, intra- und intertextuelle Bezüge sowie auf Probleme der Textgestalt eingeht (S. 701–821), und einen hilfreichen Index historischer und mythologischer Personen- und Ortsnamen (S. 829–934). Der einführende und erläuternde Rahmen um die Übersetzung der politischen Gedichte Claudians ist ein vorbildliches Beispiel seiner Art, das einen soliden Überblick über alle relevanten Aspekte bietet, wie er bislang kaum vorliegt. (Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang allerdings der profunde Handbuchartikel von Peter Lebrecht Schmidt, Claudius Claudianus, in: Jean-Denis Berger, Jacques Fontaine, Peter Lebrecht Schmidt [Hrsg.], Die Literatur im Zeitalter des Theodosius (374–430 n. Chr.). Erster Teil: Fachprosa, Dichtung, Kunstprosa, München 2020 [Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, Bd. 6,1], S. 286–332, hier S. 330 ff.)

Die deutsche Übersetzung der politischen Gedichte ist grundsätzlich korrekt ausgeführt. Sie bewegt sich nahe am lateinischen Text, was für dessen Rezeption häufig eine Hilfestellung darstellt, allerdings ebenso oft zu sprachlich und stilistisch fragwürdigen Ergebnissen führt. Eine Rezeption der Gedichte allein über die deutsche Übersetzung ist daher ein hin und wieder mühevolles Unterfangen. Zwar eröffnet die Übersetzung zumal antiker Texte immer eine Spannbreite von Möglichkeiten, und Claudians epische Bildersprache und Stilistik ist nicht gerade leicht in ein zeitgemäßes Deutsch zu übertragen. Dennoch wären für die deutsche Übersetzung an zahlreichen Stellen eine stärkere Zielsprachenorientierung und letztlich etwas mehr Augenmerk auf einen stilistisch ansprechenden Text angezeigt gewesen. Es ist zu hoffen, dass bei der geplanten Übersetzung von Claudians „De raptu Proserpinae" und seinen „carmina minora" diesen Aspekten mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies wäre auch deswegen wünschenswert, weil, wie bereits angedeutet, für die Rezeption lateinischer Werke auch in einschlägigen wissenschaftlichen Kreisen Übersetzungen in Zukunft immer wichtiger werden dürften, sodass das Hauptaugenmerk heutzutage unbedingt auf deren leichte Rezipierbarkeit und weniger auf die unmittelbare Nachvollziehbarkeit des lateinischen Textes gelegt werden sollte.

Nichtsdestoweniger gebührt dem Band Anerkennung. Die schiere Textmenge, die Claudians „carmina maiora"bilden, übersetzt sich nicht nebenbei und somit ist es durchaus verdienstvoll, wenn ein Team von zwei Personen neben den normalen akademischen Pflichten ein solches Unternehmen überhaupt in Angriff nimmt und in angemessener Frist realisiert. Somit bleibt als Gesamteindruck der hohe Wert einer modernen deutschen Übersetzung der „carmina maiora" festzuhalten, die zusammen mit der einführenden Erschließung ein hervorragendes Hilfsmittel für die deutschsprachige Claudianforschung wie für die Spätantikeforschung insgesamt bereitstellt und diese zweifelsohne befördern wird.

By Gernot Michael Müller

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Titel:
Claudius Claudianus, Politische Gedichte. Bd. 1: Carmina Maiora. Herausg. und übersetzt von Philipp Weiß und Claudia Wiener. (Sammlung Tusculum.) Berlin/Boston, De Gruyter 2020.
Autor/in / Beteiligte Person: Müller, Gernot Michael
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 748-751
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2021-1394
Schlagwort:
  • POLITISCHE Gedichte (Book)
  • CLAUDIANUS, Claudius
  • WEIB, Philipp
  • WIENER, Claudia
  • POETRY (Literary form)
  • NONFICTION
  • Subjects: POLITISCHE Gedichte (Book) CLAUDIANUS, Claudius WEIB, Philipp WIENER, Claudia POETRY (Literary form) NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Claudius Claudianus, Political Poems. Vol. 1: Carmina Maiora. Ed. and translated by Philipp Weiß and Claudia Wiener. (Tusculum Collection.) Berlin / Boston, De Gruyter 2020.
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Rheinische Friedrich Wilhelms-Universität Bonn, Bonn,, 53113, Germany.
  • Full Text Word Count: 942

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