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Chris Jones / Conor Kostick / Klaus Oschema (Eds.), Making the Medieval Relevant. How Medieval Studies Contribute to Improving our Understanding of the Present. (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Beihefte, Bd. 6.) Berlin/Boston, De Gruyter 2020

Kortüm, Hans-Henning
In: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 762-764
Online review

Chris Jones / Conor Kostick / Klaus Oschema (Eds.), Making the Medieval Relevant. How Medieval Studies Contribute to Improving our Understanding of the Present. (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Beihefte, Bd. 6.) Berlin/Boston, De Gruyter 2020 

Chris Jones, Making the Medieval Relevant. How Medieval Studies Contribute to Improving our Understanding of the Present. Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Beihefte, Bd. 6. 2020 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston, 978-3-11-054530-2,

Sammelbände stellen per se immer eine Herausforderung für Rezensionen dar. Allzu oft werden ganz unterschiedliche Themen abgehandelt, die nur mühsam unter eine übergeordnete Fragestellung gezwungen werden. Auch die hier zu besprechende Aufsatzsammlung kann als Beleg dafür dienen. Der (sehr weite) Bogen reicht von der Einbeziehung naturwissenschaftlich gestützter Datenerhebung (Stalagmitenforschung) für spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Überflutungsereignisse am Beispiel der Reichsstadt Nürnberg (Tobias Kluge und Maximilian Schuh), über Vulkanausbrüche einst und jetzt und damit möglicherweise verbundene Chancen für Geoengineering (Conor Kostick und Francis Ludlow), die Einforderung genwissenschaftlicher Kompetenz für Mediävistinnen und Mediävisten (Jörg Feuchter), die Nutzung mittelalterlicher Medizin zur Bekämpfung aktueller mikrobiotischer Resistenzen (Freya Harrison und Erin Connelly), die Analyse kolonialistisch-rassistisch geprägter Vorurteile in Aotearoa/Neuseeland, die durch Rekurs auf das europäische Mittelalter besser überwindbar erscheinen (Chris Jones und Madi Williams), die historische Schärfung moderner, sprich touristisch geprägter Venedigbilder bei heutigen Besuchern der Lagunenstadt (Laura Grazia Di Stefano), die Problematisierung aktueller Wissenschaftsexpertise durch einen Rückvergleich mit der spätmittelalterlichen Hofastrologie (Klaus Oschema) bis zur noch immer vorhandenen Relevanz der Reliquienverehrung im modernen Irland (Niamh Wycherley). Etwas aus dem Rahmen fallen lediglich zwei Aufsätze über die moderne Mittelalterforschung in Irland (Elva Johnston) bzw. die unterschiedliche Bezeichnung von Muslimen durch die Christen der iberischen Halbinsel (Hélène Sirantoine). Schließlich geht es noch um die Möglichkeiten historischer Resilienzforschung anhand archäologischer Befunde im spätmittelalterlichen Southampton (Ben Nervis). Gerade dieser Beitrag verdeutlicht einmal mehr die von den Herausgebern in ihrem Einleitungsessay dankenswerterweise, wenngleich auch ein wenig verschämt, angesprochene Problematik moderner kulturwissenschaftlich geprägter historischer Spezialforschung: Ihre ausgesprochene Neigung zur einer nur noch wenigen Insidern zugänglichen Theoriebildung mitsamt dazugehörender fachsprachlicher Terminologie. So dürfte auch der Kreis derjenigen, die mit der in diesem Aufsatz in Anschlag gebrachten sogenannten Asssemblage-Theorie von Manuel DeLanda vertraut sind, der seinerseits wiederum auf den Arbeiten von Gilles Deleuze und Felix Guattari aufbaut, zumal unter Normalmediävistinnen und Mediävisten, dann doch eher (noch?) überschaubar sein. Für Nichteingeweihte stellt deshalb der angeführte Aufsatz von Ben Nervis eine ausgesprochene intellektuelle Herausforderung dar, die bestanden zu haben sich der Rezensent nicht anmaßen möchte. Hervorheben möchte er aber den traditionell, d. h. strukturgeschichtlich argumentierenden Beitrag des französischen Mediävisten Julien Demade. Dieser beschreibt und erklärt mit dankenswerter Klarheit den gesellschaftlichen Funktionsverlust nicht nur der mittelalterlichen Geschichte. Der unübersehbare Attraktivitätsschwund von Geschichte für die sozialen und wirtschaftlichen Eliten des Westens spiegelt sich in der Nachfrageverschiebung innerhalb des universitären Bildungsangebotes wider. Die classes dominantes lassen ihren Nachwuchs im Unterschied noch zum 19. und frühen 20. Jahrhundert jetzt verstärkt die so genannten Mintfächer studieren, während die einst auch von den gesellschaftlichen Eliten präferierten klassischen Fächern vor allem von denjenigen nachgefragt werden, die eine Anstellung im Bildungssektor suchen. Dem quantitativen Anstieg der Studierendenzahl in diesen Fächern korrespondiert ein entsprechend „social quality lowering": Die Absolventen studieren diese Fächer „because of the immediate job prospects".

Der weitgehende Funktionsverlust von Geschichte im Sinne einer gesellschaftlich erforderlichen „Legitimationswissenschaft" (Peter Schöttler) ist im Fall der Mittelalterlichen Geschichte naturgemäß mit am größten. Damit wächst aber auch der Zwang für die Mediävistik, sich als „Wissenschaft" rechtfertigen zu müssen, um nicht endgültig beim gesellschaftlichen Verteilungskampf um knappe Ressourcen zu unterliegen. Der vorliegende Sammelband ist, so gesehen, ein Spiegelbild für die herausfordernde Situation, in der sich insbesondere die Wissenschaften vom Mittelalter befinden, und ein Versuch, ihr durch einen Relevanznachweis zu begegnen. Sympathischerweise beurteilen die Herausgeber die Chancen dafür selbst eher skeptisch. Und ob die hier eingeschlagene Defensivstrategie zielführend sein kann, muss bezweifelt werden. Denn letztlich zeugt sie vor allem von einem stark angeschlagenen Selbstbewusstsein geisteswissenschaftlicher Forschung. Denn im Unterschied zu den Humanities nötigt die Moderne die Sciences im Allgemeinen nicht zum Nachweis ihrer gesellschaftlichen Relevanz. Sollten sich die Humanities aber auf einen solchen Nachweis einlassen, dann können sie als ideographisch argumentierenden Wissenschaften den rational und nomothetisch arbeitenden Fächern immer nur unterliegen.

By Hans-Henning Kortüm

Reported by Author

Titel:
Chris Jones / Conor Kostick / Klaus Oschema (Eds.), Making the Medieval Relevant. How Medieval Studies Contribute to Improving our Understanding of the Present. (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Beihefte, Bd. 6.) Berlin/Boston, De Gruyter 2020
Autor/in / Beteiligte Person: Kortüm, Hans-Henning
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 762-764
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2021-1400
Schlagwort:
  • MAKING the Medieval Relevant: How Medieval Studies Contribute to Improving Our Understanding of the Present (Book)
  • JONES, Chris
  • KOSTICK, Conor
  • OSCHEMA, Klaus
  • MEDIEVAL studies
  • NONFICTION
  • Subjects: MAKING the Medieval Relevant: How Medieval Studies Contribute to Improving Our Understanding of the Present (Book) JONES, Chris KOSTICK, Conor OSCHEMA, Klaus MEDIEVAL studies NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Chris Jones / Conor Kostick / Klaus Oschema (Eds.), Making the Medieval Relevant. How Medieval Studies Contribute to Improving our Understanding of the Present. (The Middle Ages. Perspectives of Medieval Research, Supplements, Vol. 6.) Berlin / Boston, De Gruyter 2020.
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Universität Regensburg, Regensburg,, 93053, Germany.
  • Full Text Word Count: 688

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