Enno Bünz, Bischof Thilo von Trotha (1466–1514). Merseburg und seine Nachbarbistümer im Kontext des ausgehenden Mittelalters. Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Bd. 64. 2020 Leipziger Universitätsverlag Leipzig, 978-3-96023-349-7, € 80,–
Wer war Thilo von Trotha? Wer war dieser aus einem regionalen Adelsgeschlecht stammende mitteldeutsche Kirchenfürst, dessen Name unmittelbar mit der bis heute präsenten Merseburger Rabensage verbunden ist? Aus Anlass seines 500. Todestags wurde der langjährige Merseburger Bischof 2014 mit einer Sonderausstellung geehrt, die vielfältige Spuren seines weitreichenden Wirkens als geistlicher Oberhirte, weltlicher Landesherr und örtlicher Bauherr zusammenführte. Ergänzend zum umfangreichen Ausstellungskatalog ist nun ein instruktiver Sammelband mit insgesamt 18 Beiträgen erschienen, der aus einer zeitgleich im Oktober 2014 abgehaltenen Merseburger Tagung hervorgegangen ist und vor allem das bischöfliche Handeln Thilos von Trotha in spiritualibus ebenso wie in temporalibus historisch zu kontextualisieren sucht.
In diesem Sinne widmen sich Rainald Becker und Enno Bünz zunächst in zwei grundlegenden Studien den Reichsbischöfen des 15. Jahrhunderts im Allgemeinen und den mitteldeutschen Bistümern im Besonderen. Das spätmittelalterliche Merseburg gehörte zu den wenigen Diözesen des mitteldeutschen Raumes, die im Unterschied zu benachbarten mindermächtigen Bistümern über weiter reichende landesherrliche Rechte verfügten und „einen durchaus respektablen Stiftsstaat vorweisen" konnten (Rainald Becker, S. 25). Noch in der Wormser Reichsmatrikel von 1521 ist das Hochstift Merseburg entsprechend verzeichnet. Die verfassungsrechtlichen Relikte der tradierten Reichsstandschaft wusste Thilo von Trotha mit den zeitgenössischen Mitteln höfischer Herrschaftssymbolik geschickt zu pflegen. Gleichwohl ist für das mitteldeutsche Bistum eine „faktische Mediatisierung unter wettinische[r] Schutzherrschaft" zu konstatieren (Christoph Volkmar, S. 170), die der politischen Eigenständigkeit des Merseburger Bischofs immer wieder Grenzen setzte.
Vor dem Hintergrund dieses dynamischen bischöflichen Handlungsrahmens gewähren die einzelnen Beiträge bemerkenswerte Einblicke in das soziale und intellektuelle, politische und seelsorgerliche Profil Thilos von Trotha. So konnte Claudia Märtl auf der Grundlage Sieneser Quellenfunde eindrücklich zeigen, dass der spätere Merseburger Bischof nicht nur bereits in jungen Jahren in ein mitteldeutsches Klerikernetz eingebunden war, sondern sich während seines kirchenrechtlichen Studiums in Italien auch humanistischen Bildungsinteressen geöffnet hatte. Durch die biographische Studie Kurt Ander-manns zu Hans von Dratt, einem höchst erfolgreich in kurpfälzische Dienste gewechselten jüngeren Bruder, wird darüber hinaus das familiäre Umfeld Thilos von Trotha näher ausgeleuchtet. Im Rahmen fein differenzierender Untersuchungen betrachten Uwe Schirmer und Christoph Volkmar die komplexe herrschaftspolitische Gemengelage im Schatten der wettinischen Landesherrschaft vor und nach der Leipziger Teilung von 1485, während Markus Cottin das breit gefächerte Spektrum wirtschafts-politischer Maßnahmen auf der Grundlage profunder Quellenanalysen nachzeichnet. Fiskalische Interessen prägten auch die kirchlichen Handlungsfelder des Merseburger Bischofs, dessen Alltag als geistlicher Ordinarius jedoch „weit mehr als bisher wahrgenommen von den Hirtenpflichten eines Seelsorgers bestimmt" war (Peter Wiegand, S. 320).
Mit den nachfolgenden Beiträgen zum Merseburger Dombau am Beginn des 16. Jahrhunderts richtet sich der Blick abschließend auf die Rolle Thilos von Trotha als engagierter Auftraggeber repräsentativer Baumaßnahmen. Die beiden Studien von Peter Ramm „zum Dombau des Bischofs Thilo von Trotha" und – gemeinsam mit Markus Cottin – über „das Dombaurechnungs-fragment aus dem Rechnungsjahr 1512/13" haben indes die Aufmerksamkeit der Rezensentin in besonderer Weise getestet, sind die betreffenden Ausführungen doch durch eine Reihe wechsel-seitiger inhaltlicher Überschneidungen eng miteinander verbunden. Ein umfangreiches, sorgfältig gearbeitetes Personen- und Ortsregister rundet den gelungenen Sammelband ab.
By Gabriele Annas
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