In Großer Zeit, In Großer Zeit. Heimatfront Düren 1914–1918. Hrsg. v. Trägerverein Stadtmuseum Düren e. V. 3 Bde. 2021 Hahne & Schloemer Düren, 978-3-942513-40-1, € 39,95
In 54 Beiträgen, verfasst von 14 Autorinnen und Autoren, stellen diese drei Bände auf insgesamt 1060 Seiten die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs in der Stadt Düren dar. Initiator und Leiter des außergewöhnlichen Projekts ist Bernd Hahne, der in der Dürener Lokalgeschichte als Vorsitzender der Dürener Geschichtswerkstatt, Vorsitzender des Trägervereins Stadtmuseum Düren und Mitinhaber des Hahne & Schloemer Verlags, in dem das Werk erschienen ist, eine Schlüsselrolle einnimmt. Die von ihm koordinierte Autorengruppe, die in sechsjähriger Arbeit das Werk erstellte, bestand im Wesentlichen aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Stadtmuseums. Als sie mit ihrer Arbeit begannen, führt Hahne im Vorwort aus, war die Zeit des Ersten Weltkriegs für die Dürener Lokalgeschichte eine „Terra incognita" – erst der 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs im Jahr 2014 gab den Anstoß zu einer intensiveren Beschäftigung mit dieser Zeit. Eine im April 2014 eröffnete kleine Ausstellung zur „Heimatfront Düren 1914–1918" im Stadtmuseum fand eine „beachtliche Resonanz" (S. 8) und gab offenbar den Impuls zu einer gründlichen historischen Aufarbeitung des Themas, die in das vorliegende Mammutwerk mündete.
Die Beiträge, auf die im Einzelnen nicht näher eingegangen werden kann, basieren auf umfangreichen Recherchen in zahlreichen lokalen, regionalen und überregionalen Archiven und Bibliotheken. Ausgewertet wurden ferner die Dürener Lokalzeitungen der Jahre 1914 bis 1918, gedruckte Quellen wie Adressbücher, Festschriften und Jahresberichte von Vereinen, Schulen, Verwaltungsbehörden und Wirtschaftsunternehmen sowie unveröffentlichte Ego-Dokumente wie Kriegstagebücher und Lebenserinnerungen. Die drei Bände, die durchlaufend paginiert sind, wurden in fünf Großkapitel gegliedert (1. Die Stadt und ihre Milieus; 2. Der Krieg hält Einzug; 3. Alles für den Sieg; 4. Leben mit dem Mangel; 5. Dulce et decorum est...), doch kann dieser Versuch, die Fülle der behandelten Aspekte in eine thematische Ordnung zu bringen, nicht gänzlich überzeugen, denn manche Beiträge fügen sich nicht in die grobe chronologische Reihung, manche hätten auch in anderen Kapiteln platziert werden können, und einige thematisch verwandte Beiträge sind weit voneinander getrennt. Doch das war wohl kaum zu vermeiden bei einem Werk, das derart viele Facetten der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und sozialpsychologischen Entwicklungen in den Blick nimmt. Hervorzuheben ist, dass alle Beiträge sehr quellennah geschrieben sind, häufig werden lange Quellenexzerpte in die Darstellung eingefügt. Darüber hinaus werden zahlreiche ausführliche Quellentexte an den passenden Stellen der Darstellung separat und besonders gekennzeichnet abgedruckt: Zeitungsartikel, Tagebuchauszüge, Aufrufe, behördliche Bekanntmachungen etc. Und schließlich ist das Werk mit hunderten von Abbildungen in hoher Druckqualität illustriert. Überhaupt gebührt dem Redaktionsteam und dem Verlag das Kompliment, das Buch sehr sorgfältig lektoriert, ansprechend gestaltet und drucktechnisch in vorbildlicher Weise produziert zu haben.
Die inhaltlichen Erkenntnisse des Werkes sind naturgemäß äußerst vielfältig und können nicht auf einen Nenner gebracht werden. Beim Rezensenten blieb nach der Lektüre vieler Beiträge der Eindruck haften, dass es im und durch den Krieg in vielen Bereichen eine „Erosion" (S. 183) der bestehenden Verhältnisse und Strukturen gab und dass den Menschen erhebliche Anpassungsleistungen abverlangt wurden („Nur wer sich anpasst, behält Arbeit", S. 293). Gleichwohl zerbrachen in Düren unter dem Druck des Krieges tausende individuelle Existenzen, davon zeugt die beigefügte CD, die umfangreiche Listen der während des Krieges verstorbenen Militär- und Zivilpersonen enthält. Darüber hinaus wurde eine ganze Generation schwer geschädigt. Sarah Höner resümiert dies am Ende ihres Beitrags über Kindheit und Jugend im Ersten Weltkrieg (S. 832–853) sehr eindrücklich: „Der Erste Weltkrieg war die erste Völkerschlacht, in der Kinder umfassend [...] instrumentalisiert wurden [...]. Ob im Schulunterricht, durch Kinderlieder, Kriegsspielzeuge oder vermeintlich harmlose Kinderbücher, ihre gesamte Lebenswelt wurde vom Krieg infiltriert. Das Fehlen der Väter und anderer (guter) Vorbilder, die vielfach nicht vorhandene Erziehung von Kindern und Jugendlichen, allgegenwärtig erlebte Gewalt und deren Verherrlichung, eine daraus resultierende Abstumpfung und Verrohung, das ständige Schüren von Feindbildern sowie die deutlich erhöhte Kinder- und Jugendkriminalitätsrate während und nach dem Ersten Weltkrieg lassen erahnen, warum es den Nationalsozialisten so leicht fiel, Anhänger aus dieser verwahrlosten und verbitterten Generation zu rekrutieren, deren Werte, Ideen und Hoffnungen im Ersten Weltkrieg und auch danach betrogen und vielfach schlicht zerstört wurden" (S. 853). – Fazit: Das dreiteilige Buch ist ein Standardwerk zur Dürener Stadtgeschichte und ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der „Heimatfront" 1914–1918.
By Jürgen Müller
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