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Udi Greenberg, Weimarer Erfahrungen. Deutsche Emigranten in Amerika und die transatlantische Nachkriegsordnung. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2018.

Dülffer, Jost
In: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 831-834
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Udi Greenberg, Weimarer Erfahrungen. Deutsche Emigranten in Amerika und die transatlantische Nachkriegsordnung. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2018 

Udi Greenberg, Weimarer Erfahrungen. Deutsche Emigranten in Amerika und die transatlantische Nachkriegsordnung. 2018 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 978-3-525-37058-2, € 55,–

Dass die deutsche Emigration in die USA während der NS-Zeit von Bedeutung war, ist seit langem bekannt, doch differenzieren in den letzten Jahren wichtige Arbeiten diese Erkenntnis. Udi Greenberg beleuchtet fünf Biografien, die je für bestimmte Milieus stehen: Das sind Carl J. Friedrich, der in der Weimarer Republik im protestantischen Umfeld sozialisiert wurde, Ernst Fraenkel, der als Vertreter der Arbeiterbewegung vor 1933 angeführt wird, dann der dem „konservativen Katholizismus" zuzurechnende Waldemar Gurian, Karl Loewenstein als liberaler Demokrat und schließlich Hans J. Morgenthau als Theoretiker der internationalen Politik. Diese Fallstudien sind aus Quellen, zumeist Nachlässen, gearbeitet und decken die frühe Entwicklung in den zwanziger Jahren, das Wirken in den USA während des Krieges und dann die Rückkehr aller (außer Morgenthaus) nach dem Krieg nach Deutschland ab. Im Prinzip handelt es sich hier um intellektuellengeschichtliche Untersuchungen, aber Greenberg befasst sich auch eingehend mit dem öffentlichen Auftreten und der Wirkung seiner Protagonisten in sehr unterschiedlichen Kontexten.

Während des deutschen Kaiserreichs habe es keine Demokratietheorie gegeben, danach aber eine Fülle von theoretischen Ansätzen. Die fünf Männer hätten in der Emigration an Einfluss gewonnen und zwar mit ihren demokratischen, dann auch vor allem antikommunistischen Ansichten und hätten nach dem Krieg in Deutschland den Aufbau von Demokratie aus diesem Geist gestaltet. Morgenthau fällt aus dem Rahmen, da er, in Heidelberg sozialisiert, als Begründer einer rein machtpolitischen Theorie internationaler Politik gilt („Realismus"), der bemerkenswerterweise dann später aber gegen den Vietnamkrieg auftrat. Der Verfasser erklärt diese Wandlung vom Hardliner zum Kritiker damit, dass sich Morgenthau schon früh mit Völkerbund und Demokratie beschäftigt, sich von Hugo Preuß wie Carl Schmitt abgesetzt und letztlich psychoanalytisch gedacht habe.

Die Biographien der weiteren Protagonisten (im deutschen Text jeweils ermüdend mit Namen aufgezählt, in der Originalfassung – unter dem stark übertriebenen Buchtitel „Weimar Century" – die „German émigrés") bringen manches neue Detail, setzen wichtige neue Akzente. Dass Gurian nach 1945 auch wieder in Westdeutschland tätig war, war bislang unbekannt. Die zeitweilige Nähe einiger der Autoren zu Carl Schmitt wird gut herausgearbeitet. Bei Ernst Fraenkel erscheint jedoch der Wandel vom eher rätedemokratisch argumentierenden jüngeren Wissenschaftler („kollektive Demokratie") zum Verfechter der parlamentarischen Demokratie als eine allzu geglättete Erzählung. In Bezug auf Morgenthau (wie Friedrich) wird die Vernetzung im US-politischen Establishment viel klarer als bislang herausgearbeitet.

Das Leben der Protagonisten Greenbergs wird in drei Phasen (Weimar – US-Exil – Aufbau in Westdeutschland) dargestellt. Zahlreiche andere Studien etwa von Mary Nolan oder Daniel Ellwood haben längst ein transatlantisches Netzwerk des Austausches herausgearbeitet, das auch andere Staaten Westeuropas, voran die Besatzungsmächte Frankreich und Großbritannien, umfasste. Bei Greenwood lesen wir jedoch nur von der amerikanischen Besetzung Westdeutschlands und deren Ende. Diese Netzwerke waren dann gerade nicht von einer Richtung geleitet, sondern beeinflussten sich gegenseitig.

Problematischer erscheinen andere Dinge. Der Autor scheint überzeugt zu sein, dass politische Theoretiker die Demokratie erst in Weimar, dann in Nachkriegsdeutschland durchsetzten. Das scheint mir ein Kurzschluss aus deren öffentlichem Auftreten zu sein. So ist es bei allen Verdiensten Fraenkels wenig plausibel, dass er („der bekannteste sozialdemokratische Intellektuelle") die SPD nach Godesberg 1959 maßgeblich vom stramm neutralistischen und marxistischen Kurs weggeführt habe. Das gilt auch für die Rolle der anderen „émigrés" in den USA wie in Nachkriegsdeutschland. Hier wird aus Briefen und vielfältigen Kontakten zu US-Politikern allzu schnell auf einen vermeintlich bedeutenden oder gar entscheidenden politischen Einfluss geschlussfolgert. Dies liegt auch an der manchmal recht kurzschlüssigen Darstellung des Umfeldes Weimars, der USA oder der US-Besatzungszone. Das führt zu problematischen Additionen z. B. zum Weimarer Liberalismus, wenn Stresemann, Clemens Delbrück („Vizekanzler" unter Bethmann Hollweg und in Weimar ein ziemlich radikaler DNVP-Mann) und Carl Schmitt als Vertreter liberaler Irrwege gegen Völkerbund etc. von Morgenthau abgehoben werden (S. 212). Greenwood arbeitet jedoch gut die – z. T. autoritäre – Begrenztheit seiner Autoren heraus; erst danach hätten sich seit den 1960er Jahren ganz andere Vorstellungen von Demokratie durchgesetzt.

Zudem mangelt es an einer umfassenden Einbettung der Protagonisten in ihre jeweiligen Umfelder und Netzwerke. Sie standen zumeist in sehr viel breiteren und teilweise bereits gut erforschten Netzwerken in ganz (West-)Europa sowie auch in den anderen Besatzungszonen Deutschlands. Das entgeht dem Autor in seinen Darstellungen, da er von Westdeutschland allein von der Zeit nach der US-Besatzung spricht, damit also vorrangig die Zeit nach 1949 meint. Er erwähnt durchaus, dass etliche Emigranten unter den Regierungsämtern auch im Office for Strategic Studies, also dem Geheimdienst, arbeiteten. Der Kreis gerade der Emigranten aus den USA, die nach Westdeutschland zurückkehrten, war aber nach Zahl und Ansatz wesentlich umfangreicher.

Die Konzentration auf fünf Emigrantenbiografien bringt für die hier in Frage stehenden Zusammenhänge wichtige neue Erkenntnisse, führt aber zu wenig überzeugenden Würdigungen ihrer je spezifischen Einflüsse. Greenberg etwa ist von einer schwer nachvollziehbaren Kritik am Antikommunismus in Weimar, in den USA und in Westdeutschland geprägt, welche jeweils als Ausdruck seines begrenzten Demokratieadenkens begriffen werden – die Gründe dafür (so bestreitbar sie auch sein mögen) werden mit leichter Hand beiseite gewischt und eher als Strukturdefizite begriffen; vor allem bleibt die Realgeschichte der kommunistischen Parteien und sowjetischen Herrschaft weitgehend ausgeblendet. Dennoch stellt diese Studie eine überaus anregende Fortführung bisheriger Forschungen zum Thema Exil dar, die noch längst nicht am Ende sind.

By Jost Dülffer

Reported by Author

Titel:
Udi Greenberg, Weimarer Erfahrungen. Deutsche Emigranten in Amerika und die transatlantische Nachkriegsordnung. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2018.
Autor/in / Beteiligte Person: Dülffer, Jost
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 831-834
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2021-1438
Schlagwort:
  • WEIMARER Erfahrungen. Deutsche Emigranten in Amerika und die transatlantische Nachkriegsordnung (Book)
  • GREENBERG, Udi
  • IMMIGRANTS
  • GERMAN history
  • NONFICTION
  • Subjects: WEIMARER Erfahrungen. Deutsche Emigranten in Amerika und die transatlantische Nachkriegsordnung (Book) GREENBERG, Udi IMMIGRANTS GERMAN history NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Udi Greenberg, Weimar Experience. German emigrants in America and the transatlantic post-war order. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2018.
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Universität zu Köln, Historisches Institut, Neuere Geschichte, Köln,, 50923, Germany.
  • Full Text Word Count: 887

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