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Annemone Christians, Das Private vor Gericht. Verhandlungen des Eigenen in der nationalsozialistischen Rechtspraxis. (Das Private im Nationalsozialismus, Bd. 2.) Göttingen, Wallstein 2020.

Czeguhn, Ignacio
In: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 837-839
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Annemone Christians, Das Private vor Gericht. Verhandlungen des Eigenen in der nationalsozialistischen Rechtspraxis. (Das Private im Nationalsozialismus, Bd. 2.) Göttingen, Wallstein 2020 

Annemone Christians, Das Private vor Gericht. Verhandlungen des Eigenen in der nationalsozialistischen Rechtspraxis. Das Private im Nationalsozialismus, Bd. 2. 2020 Wallstein-Verlag GmbH Göttingen, 978-3-8353-3688-9, € 29,–

Die in der Reihe „Das Private im Nationalsozialismus" erschienene Monografie der stellvertretenden Direktorin des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln Annemone Christians widmet sich der Frage, wie das NS-Regime mit Privatheit und Selbstbestimmung umging. Untersucht wird dies von der Autorin anhand der Themen „Nützlich oder zerrüttet? Ehe und Familie", „Schutz ohne Garantie: Privateigentum, Besitz, Wohnung" und „Meinung als Heimtücke: Angriffe auf Gedankensphäre und lokale Privatheit". Am Beginn stehen einleitend zwei Kapitel über „Privatheit und Recht im totalen Staat" sowie „Das Private verhandeln: Juristische Verfahrensregeln im NS-Staat".

Das Verhandeln des Privaten vor Gericht eröffnet im Rechtsverfahren die Möglichkeit, Privatangelegenheiten anhand juristischer Ermittlungen offenzulegen. Hierum geht es der Autorin, die aus rechtshistorischer Perspektive die nationalsozialistische Beeinflussung der privaten Lebensführung zum Thema ihrer Arbeit gemacht hat. Dabei prallen die von den Nationalsozialisten propagierte „Volksgemeinschaft" und das Private des Individuums aufeinander. Anhand der drei erwähnten Themenbereiche nähert sich die Verfasserin der Grundfrage des nationalsozialistischen Leitbildes vom Privatrecht. Nach einer einleitenden Betrachtung des Verfahrensrechts, in der die Autorin festhält, dass im Zivilprozessrecht die Verhandlungsmaxime zur Disposition gestellt wurde und die Beteiligung der Staatsanwälte einen grundlegenden Eingriff in die zivilrechtliche Verfahrensordnung darstellte, gerät zunächst das 1938 reformierten Ehe- und Scheidungsrecht in den Fokus. Hier konstatiert die Verfasserin, dass das Zerrüttungsprinzip gegenüber dem Verschuldensprinzip Vorrang erhielt. Dabei verstand der NS-Gesetzgeber die „sittliche Pflichtgemeinschaft lediglich als strahlendes Ideal und nicht als praktikable Schablone" (S. 118). Als Ergebnisse werden festgehalten, dass überwiegend bei Scheidungen der Mann seinen Willen durchsetzen konnte, auch weil das NS-staatliche Interesse zumeist damit in Einklang stand (S. 161). Die nationalsozialistischen Unterhaltsregelungen führten zumeist darüber hinaus zu einer strukturellen Benachteiligung geschiedener Frauen.

Sodann tritt das Sachen- und Schuldrecht in den Fokus. Hier steht das Verhältnis zwischen bürgerlich-rechtlicher Bestandswahrung einerseits und „volksgemeinschaftlicher" Verpflichtung andererseits im Fokus. Betrachtet werden das Eigentum, das Zwangsvollstreckungsrecht und die Reform des Mietrechts. Die Ergebnisse der Autorin halten fest, dass die NS-Eigentumstheorie die Verfügungsrechte beschränkte. In der Praxis der Zwangsvollstreckung führte dies dazu, dass die Schutzwürdigkeit des Schuldners immer stärker gewichtet wurde, und zwar immer dann, wenn eine gerechtfertigte Bedürftigkeit angenommen wurde (S. 202 ff.). Der Reform des Mietrechts schließlich lag sorgenfreies Wohnen und Leben als Ziel der NS-Politik zugrunde (S. 212). Die vertrauensvolle „Hausgemeinschaft" und die „sittliche" Haushaltsführung wurden zu Maßstäben in der Mietrechtspraxis. Schließlich widmet sich die Untersuchung der Verfolgung „staatsfeindlicher Äußerungen", dem „Heimtückegesetz" und der Ahndung des heimischen Schwarzhörens. Mit diesem „Instrumentarium" wurden die Volksgenossen zu Überwachten, das Heimische, Private zum überwachten Raum. Keine Privatsphäre wurde mehr geduldet, rechtlichen Schutz genoss in der Spruchpraxis höchstens vereinzelt eine persönliche „Vertrauenssphäre" zwischen Eheleuten oder engsten Verwandten (S. 269).

Der Autorin ist ein eindrucksvolles Werk gelungen, das rechtshistorisch wertvoll und gesellschaftshistorisch einer Frage nachspürt, die bisher nicht Gegenstand der Forschung gewesen ist. Dies tut sie in bemerkenswerter Weise auch anhand der Untersuchung richterlicher Praxis und unter Einbeziehung des damalig geltenden Verfahrensrechts.

By Ignacio Czeguhn

Reported by Author

Titel:
Annemone Christians, Das Private vor Gericht. Verhandlungen des Eigenen in der nationalsozialistischen Rechtspraxis. (Das Private im Nationalsozialismus, Bd. 2.) Göttingen, Wallstein 2020.
Autor/in / Beteiligte Person: Czeguhn, Ignacio
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 313 (2021-11-01), Heft 3, S. 837-839
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2021-1441
Schlagwort:
  • DAS Private vor Gericht. Verhandlungen des Eigenen in der nationalsozialistischen Rechtspraxis (Book)
  • CHRISTIANS, Annemone
  • NATIONAL socialism
  • JUSTICE administration
  • NONFICTION
  • Subjects: DAS Private vor Gericht. Verhandlungen des Eigenen in der nationalsozialistischen Rechtspraxis (Book) CHRISTIANS, Annemone NATIONAL socialism JUSTICE administration NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Annemone Christians, The private in court. Negotiations of the own in the National Socialist legal practice. (The private in National Socialism, Vol. 2.) Göttingen, Wallstein 2020.
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Freie Universität Berlin, Berlin,, 14195, Germany.
  • Full Text Word Count: 522

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