Ein ansprechender und gewichtiger Band liegt hier vor. Während der Begriff 'ansprechend' eindeutig ist und sich vor allem auf die zahlreichen Farbabbildungen der Handschriften in höchster Qualität bezieht, so ist 'gewichtig' mehrdeutig. Zum einen ganz wörtlich zu verstehen, dass der Band durch das gewählte Hochglanzpapier nicht gerade ein Leichtgewicht ist, wodurch der Wert der Abbildungen aber erhöht wird. Zum anderen ist damit aber auch das inhaltliche Gewicht gemeint, denn in den leteten Jahrzehnten wurden nur sehr vereinzelt die prachtvollen und einzigartigen Handschriften der Hofschule Karls des Großen thematisiert. Die Einordnung und Analyse dieser prächtigen Handschriften sind das Thema des vorliegenden Sammelbandes, der auf einer Tagung aus dem Oktober 2018 in Trier fußt. Ausgesprochen schnell wurden die Ergebnisse gedruckt. In vier Sektionen und in zwanzig Studien in englischer oder deutscher Sprache ist dieses Buch unterteilt. Auf eine Gesamtbibliographie am Ende des Bandes wurde verzichtet, stattdessen befindet sich am Ende jedes Aufsatees eine Bibliographie, wodurch der Anmerkungsapparat dankenswerterweise entlastet wurde.
Das Ziel der Herausgeber wird in dem (sehr) kurzen Vorwort (S. 11f.) dargestellt. Einerseits sollen "die Forschungen der leteten Jahrzehnte zu den Handschriften der karolingischen Hofschule bzw. den Ansate einer solchen" (S. 11) vorgelegt werden. Andererseits -- in Verbindung mit den Bemühungen um Aufnahme einiger Handschriften in die Liste des Weltdokumentenerbes der UNESCO -- ist eine "übergreifende[n] kulturtheoretische[n] und kulturhistorische[n] Bewertung" (S. 11) angestrebt. Leider gibt es neben dem kurzen Vorwort keinen Versuch einer Gesamtwürdigung aller Beiträge.
Die erste Sektion 'Handschriften der Hofschule im Einzelporträt' beginnt mit dem Aufsate von William J. Diebold (S. 17-36), der das Verhältnis zwischen Wort und Bild im Evangeliar aus Soi- ssons aus der Pariser Bibliothèque nationale untersucht. -- Ebenfalls diesen Handschriftenkorpus thematisiert Ilka Mestemacher (S. 39-67), aber sie analysiert die Bilder von Architektur und besonders das verwendete Material, Gold und Juwelen. -- Michael Embach (S. 69-95) untersucht den Kodex und Einband des in der Trierer Stadtbibliothek aufbewahrten Ada-Evangeliars. Besonders ist hier die wichtige Bestandsaufnahme Embachs zum erst 700 Jahre später erseteten Einband des Maximiner Abtes Otto von Elten hervorzuheben. -- Die Bildweite von Flora, Fauna und fons vitae im Godesscalc-Evangelistar stehen im Fokus der Studie von Beate Fricke und Theresa Holler (S. 97-127). Hierbei ist nicht nur die purpurne Farbe des Pergaments bemerkenswert, sondern auch die Bedeutung der Rose in den Bildern. -- Das Lorscher Evangeliar ist das zuletet produzierte Werk aus der sogenannten Ada-Gruppe. Adrian Pap ah agi (S. 129-155) sieht keinen Grund zur Annahme, dass dieses Evangeliar viel später als die anderen Handschriften der Gruppe datiert werden sollte, eine Datierung auf die Zeit Ludwigs des Frommen lehnt er ab (S. 130). In seiner Untersuchung stellt er diese Handschrift in den Kontext der anderen.
Fabrizio Crivello (S. 159-184) eröffnet die zweite Sektion 'Aspekte der Kunstgeschichte'. Er behandelt die künstlerische Rezeption bei der Gestaltung der bildlichen Kanontafeln im Harley-Evan- geliar, im Evangeliar Saint-Médard in Soissons und im Evangeliar von Lorsch. Das Ergebnis ist, dass "Evangelistensymbole oder Engel Tafeln bzw. Bücher mit der Inschrift des betreffenden Kanons" hochhalten, "was möglicherweise auf spätantike Prototypen zurückgeht" (S. 161). -- Nach einer Diskussion des Ornamentbegriffs veranschaulicht Peter Seiler (S. 187-211) diesen exemplarisch in den 'Libri Carolini'. -- Pointiert skizziert Christine Jakobi -- Mirwald (S. 213-235) die Ausarbeitung von Initialen in der Adagruppe. -- Matthias Exner (S. 237-264) stellt die Handschriften der Hofschule denen der Gruppe des Wiener Krönungsevangeliars gegenüber. -- Eindrucksvoll vergleicht Christoph Win ter er (S. 267-293) die Evangelistenbilder in den Handschriften der Hofschule (Auflistung S. 270-272) und kann anhand der Digitalisate deutlich Übereinstimmungen -- "Schablonen" (S. 275) -- nachweisen.
Die dritte Sektion 'Das Umfeld der Hofschule' beginnt mit der Studie von David Ganz (S. 297312), der einen übergreifenden Blick auf diverse Handschriften vornimmt und sich besonders mit den Schrifttypen auseinandersetet. -- Laura P a n i (S. 315-324) befasst sich mit einigen Handschriften außerhalb der Hofschule zur Zeit Karls des Großen, deren Anzahl sie in Anlehnung an Rosamond McKitterick insgesamt auf mehr als 7.600 schätet. -- In seinem scharfsinnigen Aufsate thematisiert Dietrich L o h r m a n n (S. 327-355) ausgehend von einer Abschrift des Codex oblongus des antiken Schriftstellers Lukrez die Konkurrenz zwischen Alcuin und Angilbert am Hof Karls des Großen. Dieser Konflikt wurde nur versteckt ausgetragen, besonders von Alcuin, dem die epikureischen Lehren in der Lukrezabschrift freilich missfielen. -- Eine Analyse der Buchmalerei der Zeit von ca. 800 bis 870 aus dem elsässischen Kloster Weissenburg legt Stefanie Westphal (S. 357-391) mit zahlreichen Abbildungen vor. -- Patrizia Carmassi (S. 393-415) befasst sich mit dem antiken Komödiendichter Terenz und seiner Wahrnehmung in den karolingischen Handschriften. -- Umfassend und auf dem international neuesten Forschungsstand schildert Andrea Antonio Ver ar d i (S. 417-438) die Bedeutung des 'Liber pontificalis' in den Handschriften zur Zeit Karls des Großen.
Die abschließende Sektion 'Liturgie und Musik' sei an dieser Stelle nur sehr knapp zusammen- gefasst. Jean-François Goudesenne (S. 443-471) befasst sich mit der gregorianischen Gesangsgeschichte zur (frühen) Karolingerzeit. -- Susan R a n k i n (S. 473-484) untersucht den Dagulf-Psalter (leider ohne Abbildungen). -- Iegor Reznikoff (S. 487-497) diskutiert den Terminus 'cantus romanus', vor allem in Abgrenzung zum gregorianischen Gesang. -- Den Abschluss bildet der Aufsate von Arthur Westwell (S. 499-523), der unter anderem die liturgischen Handschriften aus BernkastelKues thematisiert.
Ein Handschriften- sowie ein Autor*innenverzeichnis runden den Band ab, leider fehlt ein Ortsund Personenregister. Dem Buch ist eine große Verbreitung auch außerhalb des Fachpublikums zu wünschen, es ist ein eindrucksvolles Plädoyer für die weitere Beschäftigung mit der Thematik. Besonders Kunst- und Musikwissenschaftler*innen werden ihren Nuteen aus den Beiträgen ziehen.
By Timo Bollen, Potsdam