Wie man dem sechsseitigen Vorwort dieses imponierenden Kompendiums entnehmen kann, hat es eine längere Vorgeschichte. Als Bonn sich um 1980 entschloss, auf das Jahr 1989 seine 2000-Jahr- feier zu legen, erschienen rechteeitig zu diesem Zeitpunkt zwei einer auf vier Bände angelegten Stadtgeschichte. Zwölf Jahre später, 2001, folgte der dritte nach. Der noch fehlende Band, der sich mit Bonn im Mittelalter und im Zeitalter der Glaubenskämpfe befassen sollte, ließ auf sich warten. In ihm wollte der Autor der jetet vorzustellenden Publikation "das Mittelalter darstellen" (S. 11). Dazu wird es nicht mehr kommen. Dafür nennt er ausdrücklich zwei Gründe: Durch die Kommunale Neuordnung von 1969 ist der heutige Stadtbezirk recht umfangreich geworden. Zur damaligen Stadt Bonn kamen nicht nur die Städte Bad Godesberg, Beuel und die Gemeinde Duisdorf, sondern zudem Ortschaften aus dem ehemaligen Landkreis Bonn sowie dem Siegkreis hinzu. Hätte man sich auf das "alte Bonn" beschränkt, wäre das Gebiet, in dem "schäteungsweise 90% der Bevölkerung" leben, "außer Acht" geblieben. Das Anwachsen Bonns zu einer Stadt von 141 km[
Wie der Titel schon sagt, sind es "Studien" -- typisch dafür die zahlreichen Exkurse -- und damit nur teilweise eine Bonner Kirchengeschichte und nicht etwa eine Geschichte Bonns im Mittelalter. Als zeitliche Begrenzung wird das Jahr der Schlacht von Worringen 1288 angeführt, "in deren Folge der Erzbischof von Köln nur in seiner Eigenschaft als kirchlicher Oberhirte seines Bistums [ ] die Kathedralstadt betreten durfte und nicht mehr als Landesherr", was zur Folge hatte, dass er nach Bonn wechselte und die Stadt damit "in eine neue Phase ihrer Geschichte" eintrat (S. 14). Wieweit dies ebenfalls eine neue Entwicklung der Bonner Stifte, Klöster und Pfarreien einleitete, wird nicht gesagt. Allerdings wird die angeführte Abgrenzung oft genug verständlicherweise überschritten, um historische Zusammenhänge nicht abrupt abzubrechen. Gelegentlich kommt die Veröffentlichung schon der Gegenwart nah, wenn etwa S. 655f. die Wallfahrt nach Lourdes und die Heiligsprechung der Bernadette Soubirous von 1933 erwähnt werden. Letetlich muss man bedauern, dass in der Veröffentlichung nicht mehr ein längerer Zeitraum etwa bis zum Ausgang des Mittelalters berücksichtigt werden konnte. Außerdem fällt auf, dass die lokale Begrenzung nur bedingt eingehalten worden ist.Villip (S. 637-642) gehört zur Gemeinde Wachtberg im Rhein-Sieg-Kreis und Rolandswerth/Nonnenwerth (S. 281-297) zur Stadt Remagen im Kreis Ahrweiler. Freilich gab es in beiden Fällen zahlreiche Verflechtungen mit dem Bonner Raum, sodass diese Grenzüberschreitungen durchaus verständlich erscheinen.
Die 'Studien' bestehen aus zwei Hauptteilen: 'Die Klöster und Stifte in Bonn' und 'Die Pfarreien und ihre Kirchen in Bonn'. Der erste Teil (S. 19-442) gliedert sich in 15 Kapitel mit jeweiligen Untertiteln. Am umfangreichsten wird das Cassiusstift, gefolgt von dem Kanonissenstift Vilich und der Dietkirche dargestellt. Wie umfassend die Darstellung der jeweiligen Geschichte ist, sei am Beispiel des Cassiusstifts dargelegt: Sie beginnt mit der Frühgeschichte (Die 'basilica sanctorum Cassii et Flo- rentii'). Es folgen Ausführungen über das Hospital, den frühen Kirchen- und Stiftsbau, die 'Passio Ge- reonis und die hl. Helena' sowie über den salischen Kirchenbau mit einem Exkurs über die Kirche als Großbaustelle. Es schließen sich die Geschichte des Stifts St. Cassius im 12. und 13. Jahrhundert an, bei der Propst Gerhard von Are im Mittelpunkt steht und hier eigentlich eine erschöpfende Biografie erfährt. Es wird aber auch auf den Stiftsbesite, die Pfründen, die staufische Kirche, die Stiftsgebäude, die Kanonikerhäuser, die Immunität, Obödienzen und die Vogtei eingegangen, um nur die wichtigsten Unterkapitel zu nennen. Hinzu kommen nicht eigens so genannte Exkurse über den Mülheimer Hof mit einer genauen Auswertung des 'Codex Gropper', den das Stadtarchiv 1992 erworben hat, und die Erschließung des Testaments des Scholasters an St. Cassius, Johannes Bunnekovere, aus dem Jahr 1296. Eher unerwartet schließt der erste Hauptteil mit einer Übersicht der Besiteungen auswärtiger Klöster und Stifte in Bonn, die auf 31 Seiten anwächst. Bei den danach folgenden vier Exkursen ist der über Nahrung, Kleidung und Alltag im Kloster (S. 404-417) besonders lesenswert. Damit berührt der Verfasser Sachgebiete, die oft genug in einschlägigen Monografien vernachlässigt worden sind.
Auch der zweite Hauptteil, der sich mit den Pfarreien und ihren Kirchen beschäftigt (S. 443-674), enthält eine ansehnliche Fülle an Gesichtspunkten mehr, als man zunächst erwarten sollte. Herausgegriffen seien nur die Abhandlung über die Synode von Bonn 942/43, den Münstereifeler Pfarrstreit, die Ministerialität, den 'Liber valoris', das 'Kathedratikum', über die Ausstattung der Pfarrkirchen am Beispiel Villip und das Unterkapitel über die Religiosität.
Das Buch ist eine wahre Fundgrube. Das gilt auch für die zahlreichen Fußnoten (3.163), die vieles Neue, Anregungen zu weiterer Beschäftigung mit einer bestimmten Sache, kritische Anmerkungen zu anderen Publikationen, Richtigstellungen und manchmal Unerwartetes bieten. Hie und da sind sie zu kleineren Exkursen oder Lexikonartikeln (etwa Anm. 639f., 700) geworden. Gelegentlich fragt man sich, ob nicht des Guten zu viel getan worden ist (etwa Anm. 43, 458, 523, 546, 2325). Schade, dass die Fußnoten nicht im Orts- und Personenregister erfasst sind. Ferner hätte man sich zusätelich bei der Fülle des Materials in den Fußnoten ein Sachregister gewünscht. Bei dem Ortsregister fehlen auch genauere Zuordnungen der genannten Gemarkungen, Siedlungen und Orte. Wer weiß etwa, dass Bierstadt ein Ortsteil von Wiesbaden ist? Wer weiß sofort, wo Kaltenbach, der Mülheimer Hof oder die Abtei Montfaucon liegen? Im Register vermisst man zudem die im Haupttext genannten Autoren (etwa D. Höroldt, W. Janssen, H. Stehkämper). Hilfreich wären Abbildungen und Karten gewesen, zumal ausführlich auf Ausgrabungen und die Baugeschichte der Stifte und Klöster eingegangen wird. All dies kann die große Leistung dieses Bandes nicht schmälern, auch nicht einige wenige Wiederholungen. Hervorzuheben bleibt noch, dass die Publikation fast keine Druckfehler und kaum Inkonsequenzen im Register aufweist und somit gut redigiert wurde. Immer ist die Publikation dem neuesten Stand. Der jüngste Literaturhinweis datiert auf 2018. Von der großen Belesenheit des Autors zeugt ein Quellen- und Literaturverzeichnis von 43 Seiten.
Fazit: ein beeindruckendes, materialreiches und inspirierendes Buch. Jedem, der sich mit der mittelalterlichen rheinischen Kirchengeschichte, insbesondere der der Stifte und Klöster, zukünftig beschäftigt, sei ein Blick in dieses Kompendium von knapp 800 Seiten empfohlen.
By Wolfgang Löhr, Mönchengladbach