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Zwischen Heilsgeschichte und politischer Propaganda.

Drews, Wolfram
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 85 (2021), S. 275-276
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Zwischen Heilsgeschichte und politischer Propaganda  KATHARINA GAHBLER: Zwischen Heilsgeschichte und politischer Propaganda. Darstellungsweisen und Darstellungsmuster von Sarazenen aus der Zeit Ottos I. (Historische Studien 514), Husum: Matthiesen 2019, 414 S. ISBN: 978-3-7868-1514-3.

Die auf einer Bonner Dissertation beruhende Monographie behandelt anhand dreier Autoren die Instrumentalisierung der Wahrnehmung und Darstellung von Muslimen in der Ottonenzeit. Eingangs problematisiert die Verfasserin die verwendete Begrifflichkeit, was vor allem damit zu tun hat, dass die Religion des Islams in keiner Quelle adressiert wird; zeitgenössische Muslime werden also nicht als Bekenner einer monotheistischen Religion aufgefasst, sondern pauschal als 'Ungläubi- ge' bezeichnet, ohne dass die Art ihrer Religion oder Religiosität in den Blick gerät. Die ottonischen Autoren verwenden eine Begrifflichkeit, die noch aus vorislamischer Zeit stammt und maßgeblich vom Sprachgebrauch der Kirchenväter, namentlich des Hieronymus, geprägt ist. Somit erscheinen die 'Sarazenen' auch im 10. Jahrhundert immer noch undifferenziert als vermeintlich Ungläubige, die vornehmlich als Kontrastfolie zur Profilierung christlicher Helden dienen. Es handelt sich durchweg um literarische Strategien des othering vor dem Hintergrund eines Deutungshorizontes, der sich an einer heilsgeschichtlich ausgerichteten, christlichen und imperialen Weltordnung orientiert.

Die Kanonisse Hrotsvit von Gandersheim bedient sich dabei zusätelich auch hagiographischer Topoi, um den aus dem nordspanischen Galizien stammenden Fürstensohn Pelagius als heiligmäßigen Bekenner und Märtyrer zu charakterisieren, der den Avancen des umayyadischen Kalifen von Côrdoba widersteht. Der Kalif 'Abd ar-Rahmän erscheint daher als teuflischer Verführer, dessen 'so- domitische' Laster Ausdruck von Gottesferne sind; sein Gegner Pelagius hingegen verkörpert die typischen christlichen Ideale von Keuschheit, Jungfräulichkeit und Standhaftigkeit.

Als zweites Fallbeispiel dient die Gesandtschaftsreise des späteren Abtes Johannes von Gorze an den Hof von Côrdoba in den 950er Jahren. Sorgfältig erörtert die Verfasserin das quellenkritische Problem, dass die Quelle nur in einer einzigen Handschrift vorliegt, in der der Text mitten in der Darstellung der zweiten Audienz des Gesandten beim Kalifen abbricht. Unklar ist, ob die Vita jemals vollendet wurde, denn es handelt sich um einen heterogenen Text, dessen Autor, Johannes von St. Arnulf, auf unterschiedliche Vorlagen zurückgriff, die offenbar keiner einheitlichen Redaktion unterzogen wurden. Wie bei Hrotsvit von Gandersheim steht auch hier ein im Grunde hagiographi- sches Anliegen im Vordergrund: Dem Autor geht es darum, den ottonischen Gesandten vor Kritik in Schute zu nehmen, seine Mission habe zu lange gedauert und womöglich nicht den erwarteten Erfolg gezeitigt. Um solchen Vorwürfen zu begegnen, wird Johannes von Gorze als Bekenner gezeichnet, der allen Versuchungen widersteht, die auf verschiedenen Wegen an ihn herangetragen werden, darunter durch mozarabische (also christliche) und jüdische Vermittler, aber auch durch den Kalifen selbst, als dieser den Gesandten nach einer langen Zeit des Wartens endlich empfängt. Nach Darstellung des Autors 'überwindet' der Gesandte die teuflischen Verführungskünste des 'sarazenischen' Herrschers, der sich auf diese Weise unter Einwirkung des Johannes gleichsam vom üblen Tyrannen zum guten König wandelt, also eine 'Bekehrung' durchmacht. Das eigentliche religiöse Bekenntnis des Kalifen bleibt dabei aber, wie schon bei Hrotsvit, völlig außen vor.

An dritter Stelle behandelt die Verfasserin drei Werke des Liudprand von Cremona. Nur in der 'Antadoposis' werden 'Sarazenen' genauer behandelt, während sie in der 'Historia Ottonis' und in der 'Legatio', die die (zweite) Gesandtschaftsreise Liudprands an den byzantinischen Hof schildert, nur am Rande angesprochen werden. Auch hier werden 'Sarazenen' nur als Feinde thematisiert, ihre Religion spielt keine Rolle. Im Vordergrund steht die Instrumentalisierung des Feindbildes für Ziele der ottonischen Herrschaftspropaganda, namentlich hinsichtlich der vielfältigen Konflikte in Italien. Bemerkenswert ist, dass der Kalif von Côrdoba bei Liudprand gerade nicht als Sarazene bezeichnet wird, womöglich um dessen christlichen Gesandten Reccemund, der als Adressat der 'Antapodosis' genannt wird, nicht durch unnötige Polemik zu desavouieren.

Das letetgenannte Beispiel zeigt, dass Autoren des 10. Jahrhunderts ihre Wortwahl hinsichtlich zeitgenössischer Muslime sehr wohl zu steuern wussten. Die Autorin begründet sorgfältig, warum sie sich der Begrifflichkeit der Quellensprache bedient und in ihrer Studie durchweg nicht von Muslimen spricht. Dennoch zeigt das Beispiel Liudprands, dass 'Sarazene' eben kein vollkommen wertneutraler Begriff ist. Im Lichte postkolonialer Ansätee wäre zu fragen, ob die Forschung sich auch weiterhin an quellensprachlichen Befunden orientieren sollte, und sei es mit der gebotenen terminologischen Reflexion (vgl. S. 232 und 339f.).

Die Studie zeichnet sich durchweg durch ein hohes Reflexionsniveau und klare Argumentation aus. Nur wenige kleinere Versehen könnten korrigiert werden: Bei seiner ersten Gesandtschaftsreise traf Liudprand nicht auf Kaiser Konstantin IV. (so S. 254), sondern auf Konstantin VII. Porphyrogen- netos. Der arabische Name des Kalifen Härün (al-Rasid) ist das genaue Äquivalent zum hebräischen Aaron (analog zu Müsä und Mose bzw. Sulaymän und Salomo); insofern handelt es sich bei der Darstellung der karolingischen Quellen nicht um eine "Anpassung" (so S. 276 Anm. 144), sondern um eine genaue Überseteung. Wenn also karolingischen Autoren bewusst war, dass der abbasidische Kalif (bzw. der rex Persarum) einen letetlich biblischen Namen trug, wäre zu fragen, unter welchen Bedingungen 'sarazenische' Herrscher als Vertreter eines biblisch informierten (modern gesprochen: abrahamitischen) Glaubens in den Blick geraten konnten. Die Studie von Katharina Gahbler hat auch für solche Fragestellungen bekanntes Material neu erschlossen und regt zu weiteren Fragen an, die die Autorin selbst am Schluss ihrer Analyse umreißt.

By Wolfram Drews, Münster

Titel:
Zwischen Heilsgeschichte und politischer Propaganda.
Autor/in / Beteiligte Person: Drews, Wolfram
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 85 (2021), S. 275-276
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • ZWISCHEN Heilsgeschichte und politischer Propaganda: Darstellungsweisen und Deutungsmuster von Sarazenen aus der Zeit Ottos I (Book)
  • GAHBLER, Katharina
  • PROPAGANDA
  • OTTO I, Holy Roman Emperor, 912-973
  • NONFICTION
  • Subjects: ZWISCHEN Heilsgeschichte und politischer Propaganda: Darstellungsweisen und Deutungsmuster von Sarazenen aus der Zeit Ottos I (Book) GAHBLER, Katharina PROPAGANDA OTTO I, Holy Roman Emperor, 912-973 NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 835

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