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Der Wert des Heiligen.

Nix, Maximilian
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 85 (2021), S. 278-279
Online review

Der Wert des Heiligen  ANDREAS BIHRER, MIRIAM CZOCK, UTA KLEINE (HG.): Der Wert des Heiligen. Spirituelle, materielle und ökonomische Verflechtungen (Beiträge zur Hagiographie 23), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, 234 S. ISBN: 978-3-515-12680-9.

Materielles und Spirituelles scheinen nur auf den ersten Blick strikt voneinander zu trennen zu sein. Die Verflechtungen der vermeintlichen Gegensätee im Mittelalter näher zu beleuchten, war das Hauptanliegen einer 2018 abgehaltenen Tagung, deren Beiträge im anzuzeigenden Band erschienen sind. Herausgekommen ist dabei eine Sammlung verschiedener Fallstudien, die nicht zuletet aufgrund ihrer Diversität äußerst anregend sind.

Dem Band vorangestellt ist eine thematische Einleitung (S. 11-22), die -- wenngleich sie keine verbindlichen thematischen oder definitorischen Vorgaben setet -- sowohl die Problemlage schärft, die jenes Fehlen von Vorgaben rechtfertigt, und durch einen Überblick über die Beiträge deutlich macht, dass in den Fallstudien eine Hoffnung liegt, dieser Problemlage beizukommen. Die Beiträge selbst sind in vier Abschnitte gegliedert, denen je ein kurzer Essay als Impuls vorangestellt ist.

Uta Kleine (S. 31-61) erforscht die Zusammenhänge von Wirtschafts- und Heilsdiskursen aus hagiologischer Perspektive. Sie macht deutlich, dass im christlichen Verständnis materielle und symbolische Dimensionen verquickt sind und sich gegenseitig bedingen. Ausgehend vom Sprachbild des 'thesaurus' im Neuen Testament entwickelt Kleine eine konzise Geschichte der Bedeutung des Schatees und hält fest, dass mit der Metapher symbolische und mediale Vermittlungsprozesse theologischer Sachverhalte einhergehen.

Philip Zimmermann (S. 63-84) postuliert, dass sich Heiligkeit in der Merowingerzeit durch Armenfürsorge und persönliche Armut etablieren lässt. Dies entfaltet er anhand der Viten Radegun- des von Poitiers und Martins von Tours aus der Feder des Venantius Fortunatus, die er mit Vorlagen (Martinsvita) bzw. späteren Ergänzungen (Radegundevita) vergleicht. Dabei kann er zeigen, dass die Perspektivierung selbstgewählter Armut und die Sorge um Bedürftige nicht nur der Markierung vorbildlicher Christen dienen, sondern als Konstituenzien heiliger Wirkmacht fungieren.

Stefan Esders (S. 91-104) untersucht die Vorausseteungen und begünstigenden Faktoren der Praktik, Vermögen an den heiligen Schutepatron einer Kirche übertragen zu können. Durch die Bestimmung, dass Kirchengut unveräußerlich zu sein habe, sei der Patron seit dem 5. Jahrhundert zunehmend als juristische Person 'avant la lettre' angesehen worden, der sowohl das Kirchengut als auch mit der Kirche verbundene Personengruppen zu schüteen hatte. Esders resümiert, dass in einer Zeit, in der Geschäfte personenbezogen verstanden wurden, die Vorstellung, dem Heiligen selbst Besite übertragen zu haben, die Unveräußerlichkeit von Kirchenvermögen erst verständlich machte.

Vor dem Hintergrund mangelnder Begriffsschärfe fragt Franziska Quaas (S. 105-132) nach verschiedenen Bedeutungen des Marktes in Spätantike und Frühmittelalter. Mittels einer korpuslinguistischen Analyse sucht sie innerhalb einer enormen Bandbreite von Texten nach dem Begriff 'Markt' und damit verbundenen Wörtern. In den verschiedenen Texten zeige sich eine Vielzahl von Verwendungen, die wiederum belegten, dass der Begriff des Marktes bisweilen auch metaphorisch benutet wurde und bspw. der Darstellung komplexer theologischer Sachverhalte diente.

Cordelia Hess (S. 139-152) entwickelt in ihrem Aufsate ein alternatives Bewertungsraster, um den 'Erfolg' von Heiligen zu messen. Sie warnt davor, den Erfolg allein über die Dauer des Kultes und die Produktion von Schriftlichkeit zu bestimmen. Unter Adaption ethnologischer Forschungen unterscheidet sie zwischen imagistischen und doktrinalen Kulten (niedrige bzw. hochfrequente Kult- ritualität; hohe bzw. niedrige emotionale Mobilisierung; oral vermittelt bzw. text- und lehrbasiert) und kann anhand skandinavischer Beispiele (hlg. Sunniva, Elin von Sköde, Magnhild von Fulltof- ta) zeigen, wie der Versuch, imagistische Kultanfänge in doktrinale Bahnen zu lenken, zu massiver Kultveränderung führte. Hess erklärt damit, warum mit dem Beginn von Schriftlichkeit nicht automatisch eine Erfolgssteigerung einherging, sondern bisweilen Heiligenkulte kurz darauf abebbten.

In seinem Aufsate zeichnet Volker Leppin (S. 153-165) jene spätmittelalterlichen Spannungen nach, die im Zusammenhang mit dem Ablass stehen. Unter Verweis auf eine große Zahl von Beispielen aus ganz Europa zeigt er, dass die Ablasskritik ein vielfältiges, paneuropäisches Phänomen war, das sich in der Reformation zu institutionalisieren begann. Anhand dreier zentraler Konfliktfelder (Laien vs. Kleriker, zentrale vs. dezentrale Kirchenleitung, äußerliche vs. innerliche Frömmigkeit) demonstriert er, dass die Ablasskritik nicht zuletet aus einst dogmatisch vertretbaren Positionen spätmittelalterlicher Ablasstheologie erwuchs, was den Ablass zu einem Phänomen werden ließ, das dauerhaft umstritten war.

Gia Toussaints Studie (S. 173-187) geht der Frage nach, wie und wodurch sich die Heiligkeit von Handschriften steigern ließ. Sie argumentiert, dass die Heilswirksamkeit eines Buches zwar durch den Inhalt bestimmt war, die Heilssteigerung jedoch kontextgebunden ist. Anhand dreier Bücher (dem Gebetbuch der hlg. Margarete (von Schottland), dem Evangeliar Augustinus' von Canterbury sowie dem Evangeliarfragment, das Karl IV. als Autographen des Evangelisten Markus ansah), deren 'Erleidens-', Herkunfts- oder Gebrauchskontexte sie nachzeichnet, kann sie zeigen, dass es vor allem diese Kontexte sind, die zur Akkumulation von Heilswirksamkeit führen.

Stefan Laube (S. 189-206) demonstriert beispielhaft an den Reliquiensammlungen Friedrichs des Weisen und Kardinal Albrechts von Brandenburg, wie vielschichtig der Wert von Reliquien zu bemessen ist. Mittels einer Adaption von Bourdieus Kapitaltheorie kann er fünf sich überlagernde und im Austausch miteinander verzahnte Kategorien bilden (ökonomisches, politisches, spirituelles und mirakulöses Kapital) und darlegen, dass der Wert von Reliquien multidimensional zu fassen ist.

Den Beiträgen nachgestellt findet sich eine Nachlese der Ergebnisse. Ludolf Kuchenbuch (S. 209-220) denkt kritisch über die versammelten Ergebnisse nach und gibt Impulse, wie dem Tagungsgegenstand in Zukunft näherzukommen sei. Die hier demonstrierte Offenheit, der konstruktiven Kritik und wissenschaftlichen Reflexion Plate einzuräumen, ist beachtenswert und wäre vielleicht auch an weiteren Stellen gewinnbringend gewesen. Die Beiträge zeigen eine gewisse gedankliche Verflochtenheit; wenngleich nicht immer (im engen Sinne) inhaltlich-thematischer Natur. Doch ist es meist dem Leser überlassen, die Erträge und Gedanken der Verfasser aufeinander zu beziehen. Gerne hätte man nach der Lektüre die Möglichkeit gehabt, die Diskussion nachzuvollziehen, die sich an die Vorträge angeschlossen hat, und die Verfasser miteinander ins Gespräch kommen zu hören. Zugegeben, die gewünschte Nachvollziehbarkeit der Diskussion oder die gegenseitige Bezugnahme der Beiträge übertrifft sicherlich das Maß der zu erwartenden Aufarbeitung im Rahmen einer Publikation, doch hätten diese Verflechtungen den Wert des Bandes noch weiter gesteigert. So kann abschließendnur empfohlen werden, nicht nur einzelne Aufsätee zu konsultieren, sondern sich auf die Vielfalt der Anregungen der Beiträge einzulassen.

By Maximilian Nix, Nürnberg

Titel:
Der Wert des Heiligen.
Autor/in / Beteiligte Person: Nix, Maximilian
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 85 (2021), S. 278-279
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • DER Wert des Heiligen: Spirituelle, materielle und okonomische Verflechtungen (Book)
  • BIHRER, Andreas
  • CZOCK, Miriam
  • KLEINE, Uta
  • MEDICAL economics
  • NONFICTION
  • Subjects: DER Wert des Heiligen: Spirituelle, materielle und okonomische Verflechtungen (Book) BIHRER, Andreas CZOCK, Miriam KLEINE, Uta MEDICAL economics NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 977

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