Der anzuzeigende Band ist einem Thema gewidmet, das relativ oft in der Kunstgeschichte erwähnt wird, aber nur selten im Fokus steht: der Schrein des Apostels Simon (entst. um 1220) in der Prämonstratenserabtei Sayn. Dieser Schrein wurde 2011 bis 2014 restauriert und war 2014 bis 2015 in der Ausstellung 'Caspar, Melchior, Balthasar' in der Kölner Domschatekammer zu sehen. 2016 wurden im Rahmen eines Kolloquiums neue Erkenntnisse, die im Rahmen der Restaurierung gewonnen worden waren, vorgestellt. Leider erfolgte bislang keine Drucklegung dieser Ergebnisse. Dies versucht Wolfgang Schmid in seiner umfangreichen Studie nun zu kompensieren -- zumeist mit großem Erfolg.
Schmid folgt in seinen Ausführungen einem konzentrischen Schema: Zunächst befasst er sich mit dem Schrein, den (wahrscheinlichen) Stiftern und dem historischen Kontext. Darauf aufbauend eröffnet er dann regionale und überregionale Fragen. Die Grafen von Sayn und Bruno IV. von Sayn, Erzbischof von Köln (1205-1208), sind die Protagonisten des Buchanfangs, aber später verschwinden sie hinter den zahlreichen anderen Dynasten und Stiftern, die Schmid zum Vergleich heranzieht. Eine kurze Baugeschichte der Abtei und eine grobe Chronologie des Simonsschreins befinden sich am Anfang des Buches. Schmids Suche nach einem Bischof aus Armenien, der den Simonsarm ins Rheinland brachte, ist eine interessante Studie über das Wissen über Armenien nördlich der Alpen im Hochmittelalter. Die leteten Kapitel behandeln die frühneuzeitliche Geschichte Sayns, die Wallfahrt dorthin sowie die allmählich steigende Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen zur Sayner Klostergemeinschaft und den dort befindlichen Reliquien.
Ein großer Teil des Buches hat dabei wenig mit Sayn selbst zu tun, sondern nimmt größere Zusammenhänge in den Blick. Besonders im mittleren Teil wird dabei Schmids Expertise im Umgang mit historischen und kunsthistorischen Quellen deutlich. Angesichts der Fülle an Beispielen, die bislang selten oder niemals so zusammengestellt wurden, kann sich der Leser oder die Leserin schnell überfordert vorfinden. So wird beispielsweise der Kreuzfahrer Heinrich von Ulmen -- normalerweise in einem kunsthistorischen Buch sicherlich eine der spannendsten Figuren -- nur als ein Stifter unter vielen im Rheinland betrachtet. Der Beitrag Heinrichs und anderer Kreuzfahrer zur Kultlandschaft dieser Region wird insgesamt im Lichte der starken lokalen Entwicklungen des 12. Jahrhunderts relativiert.
Prägnant greift Schmid vier omnipräsente Hypothesen zur europäischen Kunst des 12. und 13. Jahrhunderts auf (und an) (S. 145-152). Gia Toussaints berühmter Idee, dass byzantinische Kunst und Reliquienverehrung nach dem Fall Konstantinopels 1204 im Westen großen Einfluss ausübten, widerspricht Schmid mit dem Argument des fehlenden Interesses an der Ritualen der Ostkirche. Das schon ein Jahrhundert vorherrschende Paradigma, dass Innozenz III. auf dem vierten Laterankonzil das Zeigen von Reliquien verboten habe, dekonstruiert Schmid durch eine präzise Lektüre der Quellen. Auf der einen Seite wurde der relevante Kanon 62 im Rheinland bis 1305 gar nicht publiziert und auf der anderen Seite führt Schmid aus, dass der Kanonsate das bisher übersehene Wort passim enthält: Nur die Missbräuche der Reliquienzeigung seien kritisiert und verboten worden; nicht aber das Zeigen selbst. Für die Reliquien- und Reliquiarforschung ist dies ein Befund ersten Ranges.
Der dritte bedeutende Fortschritt, den Schmid auf diesen Seiten erarbeitet, ist eine Korrelation zwischen den häufigen Reliquieninventionen im Rheinland im 12. Jahrhundert und der allmählichen päpstlichen Monopolisierung des Kanonisationsverfahrens. Schmid hat erschlossen, dass die Rheinländer besonders biblische oder frühchristliche Heilige förderten, da der Papst diese Kulte nicht ohne weiteres eindämmen konnte. Die daraus resultierenden Spannungen hätten, so Schmid, unter anderem zum Kanon 62 des vierten Laterankonzils geführt. Schließlich muss auch Schmids Anerkennung und Weiterführung der These von Anne Kurtee gewürdigt werden. Kurtee arbeitete heraus, dass Bergkristalle in der Kunst des 12. und 13. Jahrhunderts nicht nur zur Steigerung der Sichtbarkeit der Reliquien genutet wurden, sondern dass es auch der damaligen Ansicht entsprach, dass dieses durchscheinende Material die Bedeutung der Objekte dahinter erhöhe. Da Kurtee ihre These am Essener Domschate bewiesen hat, kann Schmid dies erweitern: In Essen gab es keine byzantinischen Einflüsse, daher, so Schmid, habe die berühmte 'gotische Schaufrömmigkeit' wenig mit Byzanz zu tun gehabt. Neben diesen Erkenntnissen bietet der Band auch Indizien für weitere Zusammenhänge, so findet sich in einem der Unterkapitel über den Kontext des Simonsschreins auch Neues zur Datierung des Kölner Dreikönigenschreins sowie eine kunsthistorische Studie über die Siegel der Stadt Köln um 1200.
Resümierend kann man sagen, dass Schmid ein großer Beitrag zur rheinländischen Kunstgeschichte im Mittelalter gelungen ist. Die mehr als 200 großformatigen Farbabbildungen steigern den Anschauungswert des Buchs weiterhin. Leider macht sich an mancher Stelle bemerkbar, dass man es mit einem Kenner des Gebiets zu tun hat, dessen Ausführungen nicht immer leicht zu folgen ist.
By Vedran Sulovsky, Cambridge