Mobilität gehörte unverzichtbar zum Habitus des europäischen Adels im späten Mittelalter. Auf Reisen sammelten Edelleute Erfahrungen und Kontakte an internationalen Fürstenhöfen, als Kreuzfahrer oder Söldner zogen sie in Kriege und als Pilger besuchten sie Wallfahrtsorte. Von zentraler Bedeutung war hierbei der Ehrgewinn. Er ließ sich durch die Reise in ferne oder exotische Länder, bei ritterlichen Taten, in Gefahren und Abenteuern, durch Ehrengeschenke und Würdigungen an fremden Höfen oder beim feierlichen Empfang in den unterwegs besuchten Städten erzielen. Dokumentiert wurde er durch die Überlieferungen dieser Reisen in mündlichen oder schriftlichen Berichten, heraldischen Zeichenseteungen oder mitgebrachten Souvenirs. Somit hinterließen die spätmittelalterlichen Adelsreisen zahlreiche und vielfältige Quellen, deren Sammlung und Erforschung Werner Paravicini spätestens seit seinen Studien zu den Preußenreisen des europäischen Adels[
In die Riege dieser Publikationen reiht sich nun auch der vorliegende Band zum adeligen Reisen im späteren Mittelalter ein -- als Festgabe zu Werner Paravicinis 75. Geburtstag. Darin vereint sind 15 Aufsätee (eine Einführung und 14 Fallstudien) aus den 1990er bis 2010er Jahren, die hier eine Neuauflage erfahren. Ein Text über die Reisen des Konrad von Scharnachtal (+1472), der 2003 auf Französisch erschienen ist, wurde nun vollständig ins Deutsche übersetet und dabei aktualisiert. Darüber hinaus ist er -- wie auch der Beitrag über die Reisen des böhmischen Adeligen Leo von Rozmital -- durch eine anhängende Edition von Quellentexten ergänzt worden. Die weiteren Aufsätee hat Paravicini mit umfangreichen Nachträgen versehen, die vor allem jüngere Literaturhinweise und eine Diskussion jüngerer Forschungsergebnisse enthalten.
In der programmatischen Einführung, die ursprünglich einem 2004 erschienenen Sammelband entstammt[
In den folgenden zehn Aufsäteen, die unter dem zweiten Teil 'Figuren' zusammengefasst wurden, stehen einzelne Adelige und ihre Reisen im Mittelpunkt der Betrachtung. So unternahm beispielsweise der Berner Stadtadelige Konrad von Scharnachtal zwischen 1433 und 1459 fünf größere Reisen, die ihn u.a. ins Heilige Land, nach Frankreich, Italien, Schottland, England, Irland und in Deutschland über Wilsnack bis Frankfurt an der Oder führten. Ein anderer gut dokumentierter Reisender, der Breslauer Patriziersohn Nikolaus von Popplau, gelangte zwischen 1483 und 1486 nach verschiedenen Stationen in Süddeutschland über die Niederlande und England bis nach Portugal und wieder zurück über Kastilien, Aragon und Frankreich nach Deutschland und schließlich in seine schlesische Heimat. Seiner Reisebeschreibung nach war für ihn vor allem der Ehrgewinn ein zentrales Motiv, um somit seinen Aufstieg in den Ritterstand zu manifestieren. Und auch Könige gingen auf Reisen -- wie zum Beispiel Christian I. von Dänemark, der sich 1474 auf Pilgerfahrt nach Rom begab und bei seinen italienischen Gastgebern mit seinen Essgewohnheiten, stetigem Geldbedarf und mangelnden Lateinkenntnissen gemischte Eindrücke hinterließ.
Bei der Analyse der jeweiligen Fallbeispiele gelingt es Paravicini immer wieder, die von ihm in beachtlicher Fleißarbeit zusammengetragene Quellenüberlieferung -- zumeist handelt es sich um Reisedokumente, Aufenthaltsnachweise, Rechnungen, Reiseberichte der Adeligen selbst oder ihrer Begleiter -- zu einem stimmigen Bild zu komponieren, das zahlreiche Aspekte der spätmittelalterlichen Adelsreisen anklingen lässt. Viele der gesammelten Dokumente werden im Anhang der Aufsätee oder in den Nachträgen als Edition präsentiert und bieten somit weiterhin eine reiche Fundgrube für die Hof- und Adelsforschung. Ihre Zugänglichkeit wird zudem durch ein dem Band beigefügtes umfangreiches Quellenverzeichnis erleichtert. Eine Gesamtbibliografie zur Thematik mit vielen internationalen Titeln sowie ein Abbildungsteil mit qualitativ hochwertigen Bildtafeln runden schließlich diesen ergiebigen Band ab, der sich als beeindruckender Streifzug durch die langjährige Forschungsarbeit Werner Paravicinis präsentiert.
By Uwe Tresp, Potsdam