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Kaiser und Reich.

Goetze, Dorothée
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 85 (2021), S. 309-311
Online review

Kaiser und Reich  MATTHIAS SCHNETTGER:Kaiser und Reich. Eine Verfassungsgeschichte (15001806), Stuttgart: Kohlhammer 2020, 406 S., 32 Abb. ISBN: 978-3-17-031350-7.

Überblicksdarstellungen zum Alten Reich haben in den leteten zehn Jahren erneut Konjunktur. Nach Barbara Stollberg-Rilingers Verfassungsgeschichte des frühneuzeitlichen Reiches aus der Perspektive der symbolischen Kommunikation (2013) sowie zwei englischsprachigen Überblicksdarstellungen von Joachim Whaley (2012) und Peter Wilson (2016) hat nun Matthias Schnettger eine Verfassungsgeschichte des Alten Reiches vorgelegt. Das Werk wurde 2020 im Verlag Kohlhammer veröffentlicht, der bereits 1991 Heinz Duchhardts 'Deutsche Verfassungsgeschichte' publiziert hat. Es würde Schnettgers Werk allerdings nicht gerecht, darin lediglich eine aktualisierte Neuauflage der in die Jahre gekommenen Duchhardt'schen Verfassungsgeschichte zu sehen.

Schnettgers Darstellung gliedert sich in zehn Kapitel, von denen sechs chronologisch der etablierten Periodisierung der Geschichte des Alten Reiches folgen, angefangen mit einer Bestandsaufnahme zur Gestalt des Heiligen Römischen Reiches an der Wende vom ausgehenden Mittelalter zur beginnenden Frühneuzeit (S. 13-43) über die Zeitalter der Reichsreform (S. 44-61) und der Reformation (S. 62-95), die Phase zwischen Augsburger Religionsfrieden und Westfälischem Frieden (S. 96-137), die Zeit nach 1648 (S. 138-176) bis zur Spätphase des Alten Reiches (S. 177-205). Dieser Zugriff erlaubt dem Autor nicht nur, Veränderungen der Reichsverfassung zu beschreiben, sondern auch die diesen zugrundeliegenden wechselnden Mächteverhältnisse und Dynamiken im Reich offenzulegen und die Anpassungsfähigkeit der Reichsverfassung an veränderte Konstellationen und Herausforderungen und damit ihre Langlebigkeit herauszustellen. Diese Offenheit der Reichsverfassung war zugleich Bedingung für ihre Stabilität. Dabei beschränkt sich Schnettger nicht auf die deskriptiven Elemente einer klassischen Verfassungsgeschichte, sondern bindet die Diskussion von Forschungsergebnissen und veränderten Forschungsstandpunkten ein. Das Besondere seiner Darstellung liegt allerdings in der kulturhistorischen Perspektive, der er verpflichtet ist. Dies wird augenfällig etwa in der Diskussion symbolisch-kommunikativer Repräsentationen der Reichsverfassung bei Kaiserkrönungen oder Reichstagseröffnungen, aber auch in der expliziten Berücksichtigung der Auswirkung dynastischer Konstellationen auf das Reich und die Reichsverfassung. Ein Beispiel dafür ist die Rückbindung der Kaiser an ihre Erblande als Machtbasis und die allmähliche Ostverschiebung kaiserlicher Herrschaft im 16. Jahrhundert, die sich auch in einer Verlagerung der Reichstage in die südöstlichen Reichsstädte spiegelt. Nicht zuletet auch in der Ausstattung des Bandes mit zahlreichen Abbildungen von Porträts und anderen Bildern zeigt sich diese kulturgeschichtliche Perspektive.

Einschränkend muss allerdings darauf verwiesen werden, dass das Werk zwar mit zahlreichen schwarz-weißen Abbildungen versehen ist, deren Abdruck aber leider überwiegend von nur geringer Qualität ist, was etwa dazu führt, dass Karten undeutlich erscheinen. Hier hätte man sich von Verlagsseite mehr Umsicht gewünscht.

Die späteren Kapitel wählen jeweils spezifische Perspektiven auf das Alte Reich und seine Verfassung. Die Behandlung der Reichsinstitutionen (S. 206-249), besonders der beiden Höchstgerichte des Alten Reiches, Reichskammergericht und Reichshofrat, sowie des Reichslehenswesens veranschaulicht an konkreten Beispielen das mit einem Wandel und der Entwicklung der Forschung zum frühneuzeitlichen Reich in den leteten Jahrzehnten einhergehende veränderte Verständnis des Alten Reiches, das vor allem die Leistungsfähigkeit der Reichsverfassung und ihrer Institutionen betont.

Kapitel 8 ist den Reichsgliedern gewidmet (S. 250-301). Deren Beschreibung verbindet Schnettger mit einer Diskussion über die zunehmende Territorialisierung von weltlicher Herrschaft sowie die Entwicklung der Reichskirche in der Frühen Neuzeit. Mit Reichsritterschaft und im Reich ansässigen Judenschaften erweitert der Verfasser die gängige, allerdings auf die Reichsstände beschränkte Darstellung der Reichsglieder. Diese Perspektivöffnung ist wichtig, weil sie Bewusstsein dafür schafft, dass die frühneuzeitliche Reichsverfassung und ihre Institutionen eben nicht (mehr) alle Bevölke- rungs- und Statusgruppen, die im Reich ansässig waren, repräsentierte und einbezog. Jedoch ist die Terminologie der Reichsglieder irritierend gewählt, bezieht sich dieser Ausdruck doch ausschließlich auf das Bild des Reichskörpers und das Zusammenwirken von Haupt (Kaiser) und Gliedern (Reichsständen).

Die Ausführungen über die Präsenz des Alten Reiches in seinen Peripherien und die Einbindung der Randregionen ins Reich greift Diskussionen auf, die lange unter dem Begriff der Reichsnähe und -ferne geführt wurden, und betont noch einmal die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Intensitäten reichsverfassungsrechtlicher Bindung als ein Wesensmerkmal des frühneuzeitlichen Reiches (S. 302-319). Insgesamt wirkt das Kapitel jedoch unausgewogen. Das erste Unterkapitel bietet in einem Rundumschlag einen oberflächlichen Überblick über die Peripherien des Reiches und ihrer Entwicklung in der Frühen Neuzeit. Dem schließt sich eine im Vergleich dazu vertiefte Betrachtung Reichsitaliens an. Dies ist sicherlich dem Forschungsprofil Schnettgers geschuldet.

Darauf folgt abschließend ein Überblick über die Wahrnehmung des Reiches: in der Innenperspektive der Reichspublizistik, der zeitgenössischen Außenperspektive und durch die historische Forschung (S. 320-338).

Eingerahmt werden diese zehn Kapitel durch eine kurze Einleitung (S. 9-12) und ein kurzes Fazit (S. 339-342), das Abbildungsverzeichnis (S. 355-358) sowie eine Auswahlbibliographie (S. 359-383). Die Personen-, Orts- und Sachregister sollen zielgenauen Zugriff auf die präsentierten Informationen gewährleisten (S. 385-406), allerdings stößt das Sachregister deutlich an Grenzen: So gibt es z.B. weder einen Eintrag 'Reichsstadt', obwohl es zu Reichsstädten ein eigenes Unterkapitel gibt, noch zu 'Reichsstand'. Auch die Einordnungen etwa der achten und neunten Kurwürde nach Zahlwörtern, also unter den Buchstaben A und N, statt unter dem verfassungsrechtlichen Institut 'Kurwürde' erschließt sich nicht. -- Dies ist v.a. deshalb bemerkenswert, da sich das Werk seinem Charakter nach wohl am ehesten als Einführung (für Studierende) versteht. Dem hätte auch das Sachregister verpflichtet sein sollen.

Störend ist auch die Verlagsentscheidung, Anmerkungen als Endnoten zu gestalten (S. 343-354). Da diese ohnehin sehr knapp und sparsam vom Verfasser gesetet wurden, hätten sich Fußnoten ange-boten, die den Lesefluss anders als Endnoten nicht unterbrechen und die Referenz direkt ausweisen. Dies ist dem Autor jedoch nicht anzurechnen.

Matthias Schnettger betont selbst "erhebliche Herausforderungen" (S. 339), die eine solche Überblicksdarstellung mit sich bringt. Er hat sich ihnen erfolgreich gestellt. Seine kulturgeschichtlich geprägte Verfassungsgeschichte des Alten Reiches trifft den Tonfall einer Einführung und es gelingt ihm konsequent, die Komplexität der Reichsverfassung und der dahinterliegenden Entwicklungen angemessen zu reduzieren und diese verständlich und attraktiv darzustellen. Zugleich zeigt er den Wandel der Verfassungsgeschichte, die sich in den leteten 30 Jahren zunehmend kulturgeschichtlichen Perspektiven geöffnet hat.

By Dorothée Goetze, Lund/Bonn

Titel:
Kaiser und Reich.
Autor/in / Beteiligte Person: Goetze, Dorothée
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 85 (2021), S. 309-311
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • KAISER und Reich. Eine Verfassungsgeschichte (1500-1806) (Book)
  • SCHNETTGER, Matthias
  • CONSTITUTIONAL history
  • GERMAN history
  • NONFICTION
  • Subjects: KAISER und Reich. Eine Verfassungsgeschichte (1500-1806) (Book) SCHNETTGER, Matthias CONSTITUTIONAL history GERMAN history NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 952

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