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Fleiß, Glaube, Bildung.

Beerbühl, Margrit Schulte
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 85 (2021), S. 323-325
Online review

Fleiß, Glaube, Bildung  ANNE SOPHIE OVERKAMP: Fleiß, Glaube, Bildung. Kaufleute als gebildete Stände in Wuppertal 1760-1840 Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, 469 S. ISBN: 978-3-64737096-5.

Die Fernhandelsbeziehungen deutscher Kaufleute im 18. Jahrhundert haben im Zuge der Globalisierungsdebatte seit einigen Jahren ein verstärktes Interesse gefunden und aufgezeigt, dass die deutschen Länder trote der politischen Zersplitterung am entstehenden Welthandel teilnahmen. Während sich die bisherigen Arbeiten vor allem mit den in den Kolonialreichen niedergelassenen deutschen Kaufleuten beschäftigten, widmet sich Anne Sophie Overkamp in ihrer Dissertation über Wuppertaler Kaufleute den Handelsbeziehungen der Daheimgebliebenen. Ihre Untersuchung geht jedoch über die einer rein wirtschaftlich orientierten Studie hinaus. Sie verfolgt zwei Ziele. Zum einen zeigt sie am Beispiel von vier ausgewählten Wuppertaler Handelsfamilien auf, dass die Wirtschaft des Wuppertals, trote seiner gegenüber den führenden Handelszentren peripheren geographischen Lage, in die entstehende Weltwirtschaft "an vorderster Front" (S. 10) eingebunden war.

Die Epoche zwischen 1760 und 1840 war nicht allein eine Phase eines wirtschaftlichen, sondern auch eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels, in dem sich die sozialen Schichten neu formierten. Overkamps zweites Ziel ist aufzuzeigen, dass in dieser Transformationsphase das bekannte Konzept einer Dichotomie von Bildungsbürgertum und Wirtschaftsbürgertum nicht aufrechterhalten werden kann. In einer sehr detaillierten und profunden Analyse weist sie für die Wuppertaler Kaufleute nach, dass sie integraler Teil einer sich neu formierenden sozialen Elite waren, die sich aus einer heterogenen Gruppe zusammensetete, zu der sowohl die unter dem engeren Begriff des Bildungsbürgertums gehörenden Geistlichen, Lehrer etc. zählten als auch Adelige, Kaufleute, Fabrik- besiteer und Bankiers. Sie fasst diese diffuse Gruppe unter dem offenen Begriff der 'gebildeten Stände' zusammen. Das einigende Band war das gemeinsame Bildungsideal. Ob Adelige als dazugehörig betrachtet werden sollten, wie sie annimmt, mag dahingestellt bleiben.

Da die weltwirtschaftlichen Veränderungen die Grundlage für den gesellschaftlichen Transforma- tionsprozess in Wuppertal waren, befasst sich die Verfasserin in der ersten Hälfte ihrer Untersuchung (Kap. 2-4) zunächst mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Wuppertals, den Handelsbeziehungen der vier ausgewählten Kaufmannsfamilien sowie ihren kaufmännischen Werten und Einstellungen. Wuppertal war bekanntlich ein Zentrum des Textilgewerbes, insbesondere für Leinengarn und Bandweberei, das im 18. Jahrhundert eine hohe Blüte durch neue, weltweite Absatemärkte erfuhr. Am Beispiel der ausgewählten Kaufmannsfamilien zeigt sie in sehr kenntnisreicher Weise die Chancen, aber auch die Risiken, ebenso wie die Anpassungsfähigkeit ihrer Protagonisten an die sich wandelnde Nachfrage auf. Der wirtschaftliche Erfolg basierte auf einer Reihe von weiteren Faktoren, dem engen familiären Zusammenhalt und der Verschränkung von Familie und Firma. Sie sicherte Kreditausfälle und sorgte für ein ehrbares Geschäftsverhalten, indem sie unzuverlässige und mangelhaft wirtschaftende Familienmitglieder mit strengen Sanktionsmechanismen belegte. Die kaufmännische Rationalität im Alltagsgeschäft orientierte sich jedoch noch nicht an modernen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern an der ständischen Vorstellung von Nahrung im Sinne eines standesgemäßen Einkommens, was sich auch in der Buchhaltung, der einfachen Buchführung, widerspiegelte.

Im zweiten Teil der Arbeit (Kap. 5-7) untersucht die Autorin die Bildung und Ausbildungswege ihrer Protagonisten, die Wohn- und Lebensverhältnisse, die Religiosität sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum und die Wohltätigkeit. Im Hinblick auf das Geschlechterverhältnis kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Einheit von Familie und Firma, die die Vorstellungen der Kaufmannsfamilien bis weit ins 19. Jahrhundert hinein prägte, eine eindeutige Trennung von männlichen und weiblichen Lebenswelten, wie es die bürgerlichen Normen des 19. Jahrhunderts vorsahen, verhinderte. Sie hielten an älteren Vorstellungen von Ehe als einer Arbeits- und Lebensgemeinschaft fest, in der die Arbeitswelt beider Geschlechter ineinandergriff und Frauen aktiv an der Geschäftstätigkeit der Firma beteiligt waren. Die Quellenlage zur Überschneidung der Lebenswelten der Geschlechter und die Gleichwertigkeit der Partner in der Lebensgemeinschaft von Familie und Firma ist zwar durch die rechtliche Ungleichheit der Frau nur schwer zu eruieren, gleichwohl fand die Autorin nicht allein Hinweise auf die geschäftlichen Aktivitäten der Frauen, ihre Gleichrangigkeit bei der (Aus-)Bildung, Erbschaften und der materiellen Ausstattung, sondern -- wenn auch nur vage -- Anhaltspunkte dafür, dass Männer häusliche Aufgaben in bestimmten familiären Notsituationen übernahmen. Die ältere Vorstellung von der Ehe als einer Arbeitsgemeinschaft begann sich nach der Jahrhundertwende aufzuweichen. Die Religiosität unterlag in dem Untersuchungszeitraum gleichfalls einer gewissen Säkularisierung, die zur Öffnung gegenüber anderen protestantischen Glaubensrichtungen führte.

Insgesamt handelt es sich bei dieser Untersuchung um eine sehr dichte und detailreiche Studie, die aufschlussreiche Einblicke in die Lebens- und Handelswelt Wuppertaler Familien bietet. Sicherlich sind nicht alle Erkenntnisse neu. Vieles unterscheidet die Familien nicht von bereits bekannten Beispielen aus dem Wirtschaftsbürgertum der Epoche, doch mag die Autorin manches anhand dieser Mikrostudie nachweisen, was von der Forschung auf Grund der oft prekären Quellenlage eher angenommen als belegt wurde. Hervorzuheben ist auch die sorgfältige und abwägende Einbettung ihrer Ergebnisse in den gegenwärtigen Forschungsdiskurs. Für die Erforschung der Geschichte Wuppertals und des Bergischen Landes ist diese Arbeit ein weiterer wichtiger Baustein.

By Margrit Schulte Beerbühl, Düsseldorf

Titel:
Fleiß, Glaube, Bildung.
Autor/in / Beteiligte Person: Beerbühl, Margrit Schulte
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 85 (2021), S. 323-325
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • FLEISS, Glaube, Bildung Kaufleute als gebildete Stande im Wuppertal 1760-1840 (Book)
  • OVERKAMP, Anne Sophie
  • MIDDLE class
  • SOCIAL history
  • NONFICTION
  • Subjects: FLEISS, Glaube, Bildung Kaufleute als gebildete Stande im Wuppertal 1760-1840 (Book) OVERKAMP, Anne Sophie MIDDLE class SOCIAL history NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 780

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