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Die Gestapo Trier.

Burg, Peter
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 85 (2021), S. 357-359
Online review

Die Gestapo Trier  THOMAS GROTUM (Hg.): Die Gestapo Trier. Beiträge zur Geschichte einer regionalen Verfolgungsbehörde (Gestapo -- Herrschaft -- Terror. Studien zum nationalsozialistischen Sicherheitsapparat 1), Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2018, 365 S. ISBN: 978-3-412-50914-9.

Das vorliegende Buch kündigt in der Titulatur eine Veröffentlichungsreihe an, die in personeller und räumlicher Hinsicht über den Trierer Raum hinausweist. Als Mitherausgeber der Reihe wird Thomas Roth genannt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, dessen Dissertation zu ,Verbrechensbekämpfung' und sozialer Ausgrenzung1 vor elf Jahren im Druck erschienen ist. Im Internetportal ,Rheinische Geschichte' des Landschaftsverbandes Rheinland ist 2020 Roths Beitrag ,Die Geheime Staatspolizei Köln' veröffentlicht worden. Die Nähe des zweiten Herausgebers der Reihe, Thomas Grotum, zum Thema ist evident, auch wenn dieser weder den Kollegen noch das Gesamtkonzept eigens vorstellt. Der Reihentitel lässt den räumlichen Bezug der in Aussicht gestellten Studien offen, so dass eine Beschränkung auf das Rheinland nicht zwingend ist. Der Herausgeber der Beiträge zur Trierer Gestapo hat in seiner Dissertation wissenschaftliche Erfahrungen mit einer verwandten Einrichtung gesammelt2. Grotum ist derzeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Neuere und Neueste Geschichte der Universität Trier und gemeinsam mit dem Lehrstuhlinhaber Lute Raphael Leiter des DFG-Projekts ,Gestapo: NS-Terror vor Ort. Die Staatspolizeistelle Trier in der südlichen Rheinprovinz'.

Die Entstehung des Trierer Forschungsprojekts, die Grotum in einer Danksagung (S. 7-9) beschreibt, erfolgte anlässlich eines Umzugs des Trierer Leitenden Oberstaatsanwalts, Jürgen Brauer, im Jahre 2011 in das Gebäude der ehemaligen Staatspolizeistelle in Trier, die dort von 1935 bis 1944 untergebracht war. Brauers Informationsbedürfnis in Bezug auf die frühere Einrichtung führte zur Kontaktaufnahme mit Vertretern des Fachs Geschichte der Universität Trier und brachte den Stein ins Rollen. Bereits im Januar 2012 begannen Letetere die Idee eines Forschungsprojekts zur Geschichte der Gestapo Trier in die Tat umzuseteen. Zu den wichtigsten Aufgaben gehörte die Sammlung der ,weltweit' verstreuten relevanten Materialien aus 35 Archiven, darunter 3.533 Personenakten allein aus dem französischen Militärarchiv in Vincennes. Zum Zeitpunkt der Edition des Sammelbandes sind aus der wissenschaftlichen Auswertung der Materialsammlung 19 Magister-, Staatsexamensund Masterarbeiten hervorgegangen, einige Dissertationen sind in Bearbeitung. Die Ergebnisse dieser Arbeiten liegen den 15 Beiträgen des Sammelbandes zugrunde, der sich als eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts versteht.

In der Einleitung (S. 11-22) stellt Grotum den Buchinhalt und weitere Projektpläne vor, zu denen größere Untersuchungen etwa zur Beziehung von Gestapo und Gesellschaft gehören. Er beschreibt die Funktionen, das Personal, die Organisation und den Wirkungsbereich der Behörde. Die Staatspolizeistelle Trier beschäftigte auf ihrem Höhepunkt 1938 etwa 150 Beamte und Angestellte. Zu den methodischen Leitlinien des Projekts gehört für den Herausgeber und etliche Autoren die Entlarvung des die Gestapo umrankenden Mythos, es handele sich bei ihr um eine „allgegenwärtige, allwissende und allmächtige Institution" (S. 11). Nach einer pauschalen Beurteilung zu suchen, scheint jedoch fehl am Platee. Wo die Verfolgungsbehörde ein Interesse an einer peniblen Aufklärung hatte, war sie bemerkenswert hellsichtig, wo nicht, war sie vor einem mangelhaften Durchblick nicht gefeit.

Einen einführenden Überblick mit einer Skizze lohnender Forschungsfelder bietet auch der Beitrag von Lena Haase (S. 23-61). Sie sieht die Gestapo durch die Existenz einer Politischen Polizei seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in der Gesellschaft verankert, allerdings auch die Tendenzen einer sukzessiven Steigerung der Gewalt im Umgang mit ,Staatsfeinden' und einer stetigen Ausdehnung von Schutehaftverfügungen in nationalsozialistischer Zeit. Die Jahre 1933 und 1945 stehen gemäß Haase weder am Beginn noch am Ende einer Geschichte der Gestapo. Der Zäsurcharakter dieser Jahre wird damit als eine Forschungsfrage aufgeworfen. Auf Haase folgen Beiträge zu spezielleren Themen: Matthias Klein (S. 63-79) handelt vom Zusammenwirken von Justiz und Sicherheitspolizei bei der Kontrolle des Hörens ausländischer Sender. Sebastian Heu ft (S. 81-93) widmet sich der Funktion der Gestapo als Organ der nationalsozialistischen Pressepolitik am Beispiel des Trierer Wochenblattes ,Paulinus'. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass die Einmischung der Verfolgungsbehörde vor Ort sogar intensiver war als die der Reichspressekammer oder des Propagandaministeriums.

Zwei weitere Beiträge beziehen sich auf einen ,Ort des Terrors', das SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert. Katharina Klasen (S. 95-113) konstatiert, dass die dort durchgeführten Verhörpraktiken den Vernehmungs- und Foltermethoden der Gestapo entsprachen. Vernehmungskommandos erzwangen zahlreiche Geständnisse und veranlassten Verhaftungswellen, von denen besonders der Luxemburger Widerstand betroffen war. 20 luxemburgische Bürger wurden 1942 nach Standgerichten ermordet. In Hinzert wurden ferner die von Felix Kl or mann (S. 115-128) beschriebenen ,Wiedereindeutschungsverfahren' durchgeführt. Hierbei ging es um die ,rassische Musterung' eines Partners fremdländischer Abstammung. Ein negativer Befund führte zur Hinrichtung. Die ,verschärfte Vernehmung' durch die Gestapo war langwierig und führte zu langen Hafteeiten in Hinzert.

Einblicke in die Verfolgungstätigkeit der Gestapo Trier gewähren die von Martin Spira (S. 129-145) charakterisierten Tagesrapporte von 1939 bis 1942. In diesen standen die Überwachung der Arbeitskräfte und die wirtschaftliche Versorgung im Fokus. Um die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen ging es schon in den Lageberichten von 1934 bis 1936 zur Landwirtschaft und zur ländlichen Bevölkerung, die Frederik Roll ié (S. 165-185) skizziert. Andererseits spielten damals politische Themen noch eine stärkere Rolle, als, wie Max Heumüller (S. 147-164) zeigt, die Kommunisten im Visier der Gestapo standen. Streng geprüft wurden ferner nach der Forschung von Ksenia Stähle (S. 187-201) die nach Deutschland zurückkehrenden und unter Spionageverdacht stehenden Fremdenlegionäre. Die Tätigkeit des französischen Geheimdienstes, der nach der Rückgliederung der Saarregion von Luxemburg aus operierte, wurde, so Justus Jochmann (S. 203-223), mit allen Mitteln ausgekundschaftet.

Drei Beiträge handeln von der jüdischen Bevölkerung: Hannes Brogmus (S. 225-242) spricht von einem „Zynismus der Geschichte", dass Trierer Juden wegen eines guten Nachbarschaftsverhältnisses den passenden Zeitpunkt für eine Emigration nicht fanden und auf eine Flucht ins Ausland verzichteten. 600 Trierer Juden bezahlten die Fehlentscheidung mit ihrem Leben. Benjamin Koerfer (S. 243-259) beschreibt die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Trier und Umgebung in das polnische Getto Litemannstadt, an der die Gestapo logistisch beteiligt war. Viele Deportierte starben binnen eines halben Jahres, 18 Tote konnten im Rahmen des Forschungsprojekts erstmals identifiziert werden. Andreas Borsch (S. 261-273) befasst sich mit der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der jüdischen Gewerbetreibenden in der Vulkaneifel, die 1933 begann, als sich der öffentliche Raum in einen Angst- oder Gewaltraum verwandelte. Thomas Grotum (S. 293-316) trägt im leteten Beitrag noch die Ergebnisse sechs weiterer wissenschaftlicher Arbeiten vor: biographische Studien zu Tätern und Opfern, zu V-Leuten der Gestapo, zu katholischen Jugendlichen und kommunistischer Propaganda der Vorkriegszeit. Die Nachkriegszeit selbst wird von Jill Steinmetz (S. 275-292) eigens thematisiert, die die Verteidigungsstrategie des Rechtsanwalts Kurt Heim in den Kriegsverbrecherprozessen gegen Gestapobeamte vor dem Gerichtshof des Großherzogtums Luxemburg (1949-1951) analysiert. Zwar strafte man in den Niederlanden und Luxemburg Kollaborateure mitunter sehr hart, doch die Verfolgung von NS-Verbrechern durch die Alliierten war in der Zeit des Kalten Krieges von Milde und Amnestie gekennzeichnet, so dass Ende der 1950er Jahre kaum noch deutsche Kriegsverbrecher in Europa in Haft waren. Die Luxemburger Prozesse sind dieser milden zweiten Phase zuzuordnen, in der kein Todesurteil vollstreckt wurde.

Insbesondere die Anmerkungen der Beiträge dokumentieren, dass in dem Sammelband viel wissenschaftliches Neuland erschlossen wird. Das 35 Seiten umfassende Literaturverzeichnis offenbart jedoch, dass gleichzeitig auf einen umfangreichen Bestand einschlägiger Forschungen zurückgegriffen werden konnte. Personen-, Orts- und Sachregister erschließen den Buchinhalt. Zur weiteren Erschließung der im Forschungsprojekt gesammelten Materialien sind die Anlage einer Datenbank und ein Serviceangebot wünschenswert, wovon die wissenschaftliche ,Community' insgesamt profitieren kann. Auf diesem Felde verfügen die Herausgeber bereits über einschlägige Erfahrungen.

Footnotes 1Thomas Roth, "Verbrechensbekämpfung" und soziale Ausgrenzung im nationalsozialistischen Köln. Kriminalpolizei, Strafjustiz und abweichendes Verhalten zwischen Machtübernahme und Kriegsende, Köln 2010. 2Thomas Grotum, Das digitale Archiv. Aufbau und Auswertung einer Datenbank zur Geschichte des Konzentrationslagers Auschwitz, Frankfurt a.M., New York 2004.

By Peter Burg, Münster

Titel:
Die Gestapo Trier.
Autor/in / Beteiligte Person: Burg, Peter
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 85 (2021), S. 357-359
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • DIE Gestapo Trier Beitrage zur Geschichte einer regionalen Verfolgungsbehorde (Book)
  • GROTUM, Thomas
  • NATIONAL socialism
  • NAZIS
  • NONFICTION
  • Subjects: DIE Gestapo Trier Beitrage zur Geschichte einer regionalen Verfolgungsbehorde (Book) GROTUM, Thomas NATIONAL socialism NAZIS NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 1233

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