Der zu besprechende Band ist keine Stadtgeschichte in althergebrachtem Sinne. Vielmehr ist er ein mit zahlreichen Abbildungen ausgestatteter Lauf durch die Ingelheimer Geschichte unter zwei Aspekten, die das voluminöse Buch teilen, das in Anmutung und Aufmachung (und Gewicht) eher einem der modernen Ausstellungskataloge gleicht. Nicht einzelne chronologische Großkapitel sind zu finden, sondern ein Kaleidoskop aus Informationen, Auswertungen und gelungenen Darstellungen. Die angesprochene Teilung ergibt sich aus einem reizvollen Perspektivenwechsel. Zunächst werden ,Epochen' besprochen (S. 18-227), dann unter dem tatsächlichen Rubrum ,Im Fokus' einzelne bedeutende Aspekte der Ingelheimer Geschichte (S. 231-553).
Zehn Zeitabschnitte gliedern den Epochenteil von der Vor- und Frühgeschichte bis hin zur Gegenwart. Sie folgen einerseits gängigen Periodisierungen, berücksichtigen in ihren Schwerpunktseteungen aber auch die Relevanz kürzerer Zeitabschnitte, wie etwa ,Erster Weltkrieg und Französische Besateung'. Alle Abschnitte sind reichhaltig und aussagekräftig illustriert und werden durch spezielle biographische Einschübe aufgelockert, wie etwa zu Karl dem Großen, Sebastian Münster, Anton Otto von Cloß und anderen mit der Stadtgeschichte eng verbundenen Personen. Mit Peter Haupt, Matylda Gierszewska-Noszczynska und Piotr Noszczynska sowie Regina Schäfer und Renate Fath werden die das Mittelalter betreffenden Kapitel kompetent bearbeitet, da alle tief mit der Ingelheimer Topographie, Archäologie und mittelalterlicher Geschichte vertraut sind.
Überhaupt ist zu bemerken, dass es den Herausgebern gelungen ist, für jeden Aspekt die geeigneten Autorinnen und Autoren zu gewinnen, die mit fachlicher und lokaler Expertise den Band so gestalten, dass der Leser figürlich überall einsteigen und loslegen kann (vgl. das Verzeichnis der 37 Autoren, S. 566-569). Die umfangreichen und seit langer Zeit bestehenden Kooperationen der Stadt zu umliegenden Wissenschaftseinrichtungen1, die man ebenfalls dem Autorenverzeichnis entnehmen kann, stellen sicher, dass die dargebotenen Darstellungen mit ihren Ergebnissen und den diese unterstüteenden Abbildungen stets den neuesten Forschungsstand repräsentieren.
Dem Gesamtband liegt eine Trias zu Grunde, die man mit Epochen, Einflüssen und Prägungen umschreiben kann, und die so der antiken Theatertheorie -- Akteure, Raum, Zeit -- entspricht. Besonders eindrucksvoll werden diese drei Aspekte immer dann verbunden, wenn von der Vorgeschichte bis in die Gegenwart die Bevölkerungs- und Stadtentwicklung in Beziehung gesetet und einzelne historische Persönlichkeiten herangezogen werden, das Beobachtete zu konkretisieren. So kommt es zu diachronen Begegnungen mit Karl dem Großen oder dem Schriftsteller Multatuli, mit der wirtschaftlichen Bedeutung von Weinbau und Pharmazie, mit der Ingelheimer Post und den Dialekten, den Flur- und Personennamen und vielen und vielem mehr.
Kaum jemand wird mit dem schweren Buch unter dem Arm durch Ingelheim wandeln -- dafür stellt die Stadt übrigens interaktive Führer zum Download auf ein Smartphone bereit -- jede und jeder aber dürfte seine Ingelheimbesuche sehr ansprechend und allgemeinverständlich vor- und nachbereiten können, ohne dass es dem wissenschaftlichen Anspruch zum Schaden gereichen würde.
By Caspar Ehlers, Frankfurt am Main