Blitz-Lieferdienste und Online-Supermärkte nehmen 2021 den deutschen Lebensmittelmarkt ins Visier. Dabei erweist sich unter anderem die Warenversorgung als Herausforderung für die Neulinge.
Das Jahr 2021 könnte als digitaler Wendepunkt in die Geschichte des deutschen Lebensmittelhandels eingehen. Nach Jahren des schleppenden Fortschritts nimmt das E-Food-Angebot hierzulande rasant an Fahrt auf. Angetrieben von einem veränderten Konsumverhalten in der Corona-Pandemie und mit den Milliarden internationaler Investoren ausgerüstet, schicken sich zahlreiche Lieferdienst-Neulinge an, den deutschen Markt umzukrempeln.
Die Konzepte der Angreifer variieren. Das Gros von ihnen setzt auf das in Deutschland bis dahin kaum etablierte Konzept der Schnell-Lieferung von Lebensmitteln innerhalb von 15 Minuten. Die Liste der Angreifer ist lang: So eröffnet das Berliner Startup Flink, an dem sich auch Rewe beteiligt, ab Februar mehr als 140 urbane Mini-Logistikzentren in 60 Städten, Nachbarländer eingeschlossen. Auch der türkische Anbieter Getir drängt auf den deutschen Markt, ebenso wie der US-Riese Doordash, der im Herbst loslegt.
Während der tschechische Lieferdienst Knuspr das erste Logistikzentrum für seinen Online-Supermarkt in München eröffnet, steckt der norwegische Online-Supermarkt Oda noch in der Planungsphase. Im Reigen der Neuankömmlinge will auch der Liefer-Konzern Delivery Hero nicht fehlen. Im Sommer bringt er sein Foodpanda-Konzept in deutsche Städte, zieht sich aber zum Jahresende schon wieder zurück. Die Gründe: Fahrermangel, Wettbewerbsdruck – und wohl auch die Tatsache, dass sich Delivery Hero zuvor an Konkurrent Gorillas beteiligt hat.
Die Debütanten plagt dabei nicht nur die Frage, wie sie ihr Geschäftsmodell profitabel betreiben können. Auch ein anderes Problem haben die meisten Anbieter im deutschen Markt gemeinsam: Für die Warenversorgung steht nur eine begrenzte Auswahl an Großhändlern zur Verfügung, bei den Großen des Lebensmitteleinzelhandels blitzen die Neulinge mit ihrem Wunsch nach Kooperation vielfach ab. So arbeitet Rewe nach der Beteiligung exklusiv mit Flink zusammen und gibt dem bisherigen Großhandelskunden Gorillas dafür den Laufpass. Edeka wiederum konzentriert sich auf den Partner Picnic, an dem die Zentrale beteiligt ist. Vereinzelte Kooperationen von Selbstständigen mit Lieferdiensten wie Wolt stoßen in den Regionen aber auf wenig Gegenliebe.
Kein Wunder also, dass die Quick-Commerce-Anbieter versuchen, teilweise eigene Einkaufsstrukturen aufzubauen. Eifrig suchen Gorillas, Flink und Co. dafür erfahrenes Personal, gerne auch aus dem Lebensmittelhandel. Und auch Eigenmarken gehören, wie etwa bei Knuspr, zu den Feldern, auf die sich die Neulinge vorwagen. An Selbstbewusstsein mangelt es den Angreifern dabei nicht. So kündigte Knuspr-Chef Erich Comor an, bis 2024 hierzulande einen Umsatz von 1,2 Mrd. Euro erzielen zu wollen. Das Ziel: die Marktführerschaft im E-Food-Geschäft.
Aber auch der amtierende Lieferservice-Marktführer Rewe schaut dem Wettrüsten der Konkurrenz nicht mehr untätig zu. Die Kölner haben in diesem Jahr zwei neue E-Food-Lager eröffnet, weitere sollen folgen. Für das Online-Geschäft, das zuletzt etwa eine halbe Milliarde Euro groß war, erwartet die Gruppe ein Wachstum von mehr als 50 Prozent. Und auch im Ruhrgebiet, der Vertriebsregion von Rewe Dortmund, bereitet sich das Unternehmen nun auf eine verstärkte Präsenz des Lieferdienstes mit Hilfe der Kaufleute vor.
Nicht nur die schnelle Expansion macht allerdings Schlagzeilen, sondern auch die Bedingungen, unter denen die Fahrradkuriere arbeiten. Das gilt insbesondere für Deutschlands E-Food-Pionier Gorillas, der immer wieder mit unangekündigten Streiks und Protesten vor seinen Dark Stores konfrontiert ist. Während die Management-Methoden von Gründer Kağan Sümer in die Kritik geraten, enden die Versuche der Mitarbeiter, einen Betriebsrat zu gründen, wiederholt vor Gericht. jh/lz 52-21
Das Jahr 2021 hat das Zeug, als digitaler Wendepunkt in die Historie des deutschen Lebensmittelhandels einzugehen.
PHOTO (COLOR): In Fahrt: Quick-Commerce-Anbieter wie Flink, Gorillas und Doordash sehen in Deutschland viel Potenzial. Fotos: Imago Images/Arnulf Hettrich; Gorillas; Mynewturtle/Shutterstock
By Jens Holst
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