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Prominente TW-Leser: "TW und Aenne Burda waren meine ersten Mentoren".

In: TextilWirtschaft Online, 2021-12-30, S. 8-8
Online serialPeriodical

Prominente TW-Leser: "TW und Aenne Burda waren meine ersten Mentoren" 

Business

Anja Probe Die Qualität ihrer Leser macht die Stärke einer Zeitung aus, sagt man. Deshalb stellen wir Ihnen an dieser Stelle regelmäßig eine Leserin oder einen Leser persönlich vor. Heute: Mode-Tausendsassa Guido Maria Kretschmer. Die TW begleitet ihn schon seit 37 Jahren. Vor allem zu Beginn seiner Karriere spielte sie eine wichtige Rolle. Eigentlich ist sein Zeitplan straff getaktet, und doch dauerte das für eine Stunde geplante Gespräch per Video Call mit Guido Maria Kretschmer 20 Minuten länger. Er redet eben gern und viel. Unter anderem darüber, welche Rolle die TW am Anfang seiner Karriere gespielt und was er aus der Lektüre gelernt hat. Kretschmer kann sich über Beschäftigungsmangel nicht beklagen. Zwar witzeln er und sein Mann Frank Mutters inzwischen schon öfter mal über einen möglichen Ruhestand, doch wer den Designer erlebt, kann sich das so gar nicht vorstellen. Seine Kollektionen, ob Mode oder Möbel, laufen erfolgreich unter dem Dach der Otto Group bei Otto.de und About You. Schmuck- und Schuhe entstehen in Kooperationen mit Christ und Marco Tozzi, Brillen mit Edel Optics. Düfte mit LR, Tapeten mit Erismann.

Er ist u.a. Markenbotschafter für Lenor, sucht im Fernsehen die Shopping und die Deko Queen, bei Gruner und Jahr erscheinen seine Magazine Guido und Deko Queen. Und unter Guido Maria Kretschmer Corporate Fashion läuft ein Full-Service-Unternehmen für Berufsbekleidung. Unter anderem für die Deutsche Bahn, Tui fly und die Telekom hat er schon Uniformen entworfen. Eine Karriere, die er sich wohl vor 35 Jahren nicht erträumt hätte.

TextilWirtschaft: Welche Rolle spielt die TW in Ihrem Leben? Guido Maria Kretschmer: Das ist das wichtigste Fachorgan schlechthin. Ich komme aus einer Zeit, in der es noch große Produktionen in Deutschland gab. Als junger Designer, der selbst produziert hat, hat mich die TW über Jahre gut begleitet. Ich weiß noch, dass die immer so ein auffälliges, unpraktisches Format hatte. Das fand ich schön, die TW passte immer gut in Ateliers. Und sie war die einzige Möglichkeit, sich mit anderen Textilern zu vernetzen. Außerdem lernte man so viel: über Ausrüstungen oder auch Zertifikate. Mein Wissen über Textil-Standards habe ich aus der TW. Ich fand auch immer gut, dass die TW nicht nur über die Produzenten berichtet hat, sondern auch über den Handel. Also ich sage herzlichen Glückwunsch zum 75.!

Können Sie sich noch an Ihre erste TW erinnern? Es muss so 1984/85 gewesen sein, da habe ich über den Textilmagnaten Hendrik van Delden in Nordhorn gelesen und bin einfach hingefahren, in der Hoffnung, dass er mich unterstützt. Ich habe mich dort auch nicht von der Sekretärin abschütteln lassen und einfach gewartet. Dort lag die TW aus. Ich habe einige Artikel gelesen. Unter anderem ging es um die Produktion in Osteuropa. Damals sind viele Zwischenmeister nach Polen gegangen. Jedenfalls war ich dann für das Gespräch mit ihm gut vorbereitet (lacht). Und aus der Begegnung entstand eine richtige langjährige Freundschaft.

Welches Medium hat Sie sonst geprägt?

Die Schnittbücher von Burda. Damit habe ich Schnitttechnik gelernt. Also TW und Aenne Burda waren meine ersten Mentoren. Meinen wichtigsten Zwischenmeister, mit dem ich jetzt schon seit 30 Jahren zusammenarbeite für den Bereich Corporate Fashion, habe ich übrigens über die TW gefunden.

Wie oft lesen Sie heute noch die TW?

Ich lese sie nach wie vor regelmäßig. Ich bekomme sie zeitversetzt nachgeschickt und gucke immer, was läuft. Mich interessiert sehr, was der Einzelhandel macht und alles, was das Kaufverhalten betrifft. Vieles hat sich gerade auch im Online-Bereich verändert. Man hat sonst kaum Gelegenheit, sich so umfassend zu informieren.

Was wünschen Sie sich für die Branche?

Leider hat sie keine Lobby. Es gibt keine politische Kraft, keine Unterstützung. Wenn ich Zeit hätte, würde ich das machen und in die Politik gehen. Es müsste wie früher den Kohlepfennig vielleicht auch einen Textilpfennig geben, um die Produktion wieder mehr ins Inland zu holen, auch aus Nachhaltigkeitsgründen. Solche Unternehmerinnen wie Sara Linke und Maria Seifert, die Produktionen in Sachsen übernommen haben, sind für mich Heldinnen. Diese Investitionen darf man nicht unterschätzen, das braucht auch Mut. Für solche Leute sollte es besondere Förderung geben. Solche Geschichten liest man übrigens auch nur in der Form in der TW.

Gibt es einen Artikel in der TW, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ja, eigentlich zwei. Damals, 2009, als die große Arcandor-Pleite war. Da gab es einen großen Artikel darüber, was das bedeutet und was das für eine Wende im stationären Handel war, auch hin zu E-Commerce. Das war für mich bewusstseinserweiternd. Danach habe ich beschlossen, auch online zu verkaufen. Und wie sich zeigte, war der Fokus auf Online-Handel tatsächlich für mich in den vergangenen Jahren das sicherere Business. Leider mussten viele kleine Boutiquen schließen, und es gibt immer noch viel Geld, was da unterwegs ist, von dem ich weiß, dass ich es nie bekommen werde. Ich habe Ware geliefert, die nicht bezahlt wurde. Auch Handelsvertreter haben mich schon viel Geld gekostet. So etwas bleibt mir im E-Commerce erspart.

Und der andere TW-Artikel?

Der beschrieb Zertifikate wie Oeko-Tex, IVN Best usw. Das war ein toller Überblick. Den hatte ich mir eingesteckt, auch für unsere Gespräche bei der Otto Group. Wir haben anhand dieses Guides in großer Runde diskutiert, welche Zertifikate für uns sinnvoll sind. Wobei der Konzern diesbezüglich eh schon sehr gut aufgestellt ist. Mit Otto zu arbeiten, gibt mir eine große Sicherheit in der Produktion. Nachhaltigkeit ist in deren DNA verankert. Ich verehre Michael Otto wirklich sehr. Man hört so viel über Nachhaltigkeit, aber er tut es einfach. Siehe auch Cotton made in Africa.

Wie nah sind Sie denn an der Produktion?

Ich schaue mir immer wieder an, wie es vor Ort aussieht. Große Fabriken haben es auch gern, wenn der Designer selbst mal kommt. Da wird man gefeiert wie ein König. Vor ein paar Jahren war ich in einer unserer Produktionen in Indien, die weiße Blusen hergestellt haben. Jedenfalls habe ich mir alles angesehen, auch das Lager, denn weiße Materialien müssen ja sorgfältig eingepackt werden. Und dann komme ich in diese Halle mit riesigen Stoffballen und frage nach meiner fairen Baumwolle. Der Fabrikbesitzer meinte nur: 'Well, it's cotton.' Also was nützen unsere Siegel, wenn der Produzent einfach nimmt, was er will und nicht versteht, worum es geht. Wir haben dann ein System entwickelt, das die Nachhaltigkeit in der Produktion garantieren soll. Und wir haben dem Fabrikchef die Bedeutung erklärt und ihm gesagt, er sei der wichtigste Mann im System.

In einer Produktion in Malaysia fragte mich mal eine ganz junge Näherin, warum wir in unsere Kleidungsstücke für den Westmarkt immer Ersatzknöpfe in einer kleinen Tüte einnähen würden? Ob wir denn nicht auf unsere Knöpfe aufpassen könnten? Man merke doch, wenn einer locker ist und näht ihn an. Da hat sie auch recht, denn meistens werden die Ersatzknöpfe einfach weggeworfen. Auf seine Dinge achtzugeben, bedeutet auch Nachhaltigkeit.

Finden Sie, dass die Pandemie Sustainability gepusht hat?

Ja, es ist sicher ein Bewusstsein für nachhaltigeres, gesünderes Leben entstanden, auch aus der Sorge um das Morgen. Kunden hinterfragen mehr, wo und wie ein Teil hergestellt wurde. Und viele Menschen haben sich überlegt, was fehlt mir denn wirklich? Auf der anderen Seite hat die Situation jetzt auch einen neuen Überfluss befördert; die großen Luxusmarken boomen wie nie. Leider hat der Trend zu nachhaltigerem Konsum nicht lange angehalten. Wenn eines im Leben gerecht verteilt ist, dann ist es die Dummheit. Im Sinne, dass den Menschen solche Dinge schnell wieder egal werden. Deswegen müssen wir Hersteller das Thema treiben. Ich sehe das auch im Interior-Bereich. Wenn wir die Möbel komplett nachhaltig herstellen, ist das leider kein Kaufkriterium. Es ist den Leuten oft egal, es entscheiden Preis und Optik. Aber das kann man ihnen auch nicht übel nehmen, zumal das Thema so komplex ist. Deshalb müssen einfach alle nachhaltiger produzieren.

Aber man muss sich auch klar machen, dass unzählige Unternehmen auf der Strecke bleiben würden, wenn sich das Kaufverhalten ändern würde und nur noch hochwertige Qualität gefragt wäre. Im Moment befinden wir uns immer noch in einem harten Preiskampf, das merke ich vor allem bei Corporate Fashion. Mit den steigenden Kosten, steigen aber leider nicht die Margen. Der Druck auf die Produzenten ist dadurch enorm. Ich kann aber zum Beispiel kein Sakko, das täglich getragen werden muss, für 24 Euro produzieren.

Hat die Pandemie Ihre Arbeitsweise verändert?

Nein. Ich muss nicht drei Wochen in Monte Carlo aufs Meer schauen, um eine Bademodekollektion zu entwickeln. Der kreative Prozess muss in einem drinstecken. Es braucht einen Tisch, braucht gutes Licht, Papier und Stifte und die Freude, ans Morgen zu denken. Ich habe höchstens noch stärker darauf geachtet, dass die neuen Teile immer noch gut zu denen aus den vergangenen Saisons passen.

Persönlich muss ich sagen, dass ich noch nie so frei war. Ich war zu Hause - an einem normalen Montag und Dienstag! Ich kenne jetzt alle Nachbarn, ich habe mit allen - mit Abstand - gequatscht. Ich konnte viel lesen, war in meinem Garten. Ich hatte auch ständig Verbindung zu all meinen Freunden weltweit. Und ich habe wieder gemerkt, was ich für ein Glück mit meinem Mann Frank habe. Sollte ich je eingesperrt werden, nur mit ihm und meinen Hunden, käme ich gut zurecht. Ok, eine schöne Wandfarbe würde auch helfen (lacht).

Über Otto bzw. About You sind Sie ja vor allem im Online-Vertrieb aktiv. Können Sie sich vorstellen, noch mal in den stationären Handel zurückzukehren?

Ich träume ja von einem 'House of Guido'. Inzwischen bin ich ein großer Gemischtwarenladen mit Mode, Möbeln, Schmuck, Tapeten, den Magazinen und Uniformen. Da bin ich noch Karl Lagerfeld dankbar, der mir gesagt hat: 'Sie sind jetzt so bekannt, Sie müssen mehr Lizenzen machen, um sich das Leben zu erleichtern. Man kann nicht alles selbst machen.' Und da hatte er recht. Ich stelle mir all meine Produkte vereint, samt Leseecke und Kunstsammlung, in Hamburg in einer schönen, alten Villa vor. Dort sollen die Kunden im Souterrain günstig einkaufen können. Im Erdgeschoss findet man dann meine normalen Kollektionen, im 1. OG die Möbel und oben ist die Beletage für Couture. Aus dem Segment komme ich eigentlich. Das wäre wirklich mein Traum.

Titel:
Prominente TW-Leser: "TW und Aenne Burda waren meine ersten Mentoren".
Zeitschrift: TextilWirtschaft Online, 2021-12-30, S. 8-8
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: serialPeriodical
Schlagwort:
  • KRETSCHMER, Guido Maria
  • EMPLOYMENT
  • Subjects: KRETSCHMER, Guido Maria EMPLOYMENT
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Prominent TW readers: "TW and Aenne Burda were my first mentors.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Full Text Word Count: 1674

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