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Konsumforscher Martin Langhauser über die Trends beim Modekonsum: "Die Branche hat unfassbar viele Möglichkeiten".

Freutel, Aziza
In: TextilWirtschaft Online, 2021-12-30, S. 15-15
Online serialPeriodical

Konsumforscher Martin Langhauser über die Trends beim Modekonsum: "Die Branche hat unfassbar viele Möglichkeiten" 

Business

Wie beeinflusst die Inflation den Konsum? Was wird aus dem Segment Business-Mode? Bleibt Sport ein Wachstumsfeld? Und welche Rolle spielen eigentlich die Supermärkte in Sachen Bekleidung? Wir haben mit GfK-Marktforscher Martin Langhauser über die großen Themen dieser Zeit gesprochen. TextilWirtschaft: Herr Langhauser, jede Woche tragen über 14.000 Personen im Consumer Panel Fashion ein, was sie gerade an Mode gekauft haben. Was ist derzeit der Renner?

Martin Langhauser: Dank unseres Fashion-Wochenradars können wir uns Entwicklungen sehr zeitnah anschauen. Im zweiten Halbjahr konnten Warengruppen zulegen, die vergangenes Jahr Verlierer waren. Etwa Strickwaren, wo wir ein zweistelliges Plus sehen. Aber man darf nicht vergessen: Wir sind immer noch weit unter dem Jahr 2019. Bei Herrenstrick gibt es etwa ein Ausgabenplus von 12% im Vergleich zum Vorjahr. Im Vergleich zu 2019 liegt der Markt aber 12% im Minus. Das heißt, die Hälfte des Verlusts konnte aufgeholt werden, die andere Hälfte ist tatsächlich noch nicht wiedergekommen. Ähnlich sieht es bei Damenstrick aus. Das Plus gegenüber dem Vorjahr im zweiten Halbjahr beträgt 10%, im Vergleich zu 2019 bleibt aber ein Minus von 17%.

Gerade in den vergangenen Wochen ist die Inzidenz deutlich gestiegen. Welchen Einfluss hat das auf den Modekonsum?

Einen starken, auf die Märkte insgesamt. In dem Moment, wo die Inzidenzen in die Höhe gegangen sind, sind die Ausgaben nach unten gegangen. Die Verunsicherung der Shopper nimmt zu. Und das muss noch nicht mal eine direkte Betroffenheit sein. Eine generelle Verunsicherung führt dazu, dass die Käufer weder in der Innenstadt noch Online unbeschwert einkaufen. Dementsprechend ist der Nonfood-Markt insgesamt, aber auch der Fashion Markt im zweiten Halbjahr bisher leider enttäuschend verlaufen.

Was bedeutet das für den Jahresabschluss?

Im November konnte der Markt tatsächlich etwas aufholen. Für Januar bis November liegen wir jetzt bei 0,3 Prozentpunkten über dem Vorjahreszeitraum. Dramatisch wird es aber, wenn wir uns das im Vergleich zu 2019 anschauen. Denn da liegt der Modemarkt insgesamt 19,3% unter Januar bis November 2019. Das entspricht einem Minus von rund 8,7 Mrd. Euro.

Noch fehlen die Zahlen für Dezember. Wo landet der Markt am Ende?

Was ich schon sagen kann, Black Friday und die Cyber Week sind nicht so gut wie sonst gelaufen. Sie haben fast keine Impulse setzen können, aber der schlechte Vorjahres-November hat dazu geführt, dass wir nicht noch weiter Boden verlieren, sondern sogar leicht im Plus liegen. Der bisherige Verlauf im Dezember macht allerdings keine allzu große Hoffnung auf eine dauerhafte Trendwende.

Also auf Jahressicht ein Minus von…

Aktuell 800 Mio. Euro im Vergleich zu 2020. Damals haben uns rund 10 Mrd. Euro im Vergleich zu 2019 gefehlt. Sodass wir bis zum Ende dieses Jahres wahrscheinlich bei einem Minus von 10 Mrd. bis 11 Mrd. Euro im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 landen werden. Bei einem Markt, der mal bei rund 50 Mrd. Euro lag, ist das ein dramatischer Rückgang.

Glauben Sie, die Konsumenten haben das Interesse an Mode verloren? Oder hängt es von den Rahmenbedingungen ab?

Letzteres. Wir haben ja starke Monate gesehen, wenn die Läden offen und die Corona-Lage im Griff war. Die Sommermonate, aber auch August, September waren im Vergleich zum Vorjahr tatsächlich positiv, allerdings im Vergleich zu 2019 immer noch satt im negativen Bereich. Das bedeutet, dass wir natürlich wieder Lust auf Mode-Shopping haben. Wenn denn die Rahmenbedingungen stimmen.

Was für die Branche allerdings erschwerend hinzu kommt, ist, dass sehr viele Anlässe weggefallen sind, und denken Sie nur an das Thema Homeoffice. Auch da gab es zwar eine Rückkehr, genauso wie auch Feiern, Feste und Messen wieder stattgefunden haben. Aber sobald die Inzidenz steigt, lässt das wieder nach - gerade im Moment sind wir ja davon auch wieder sehr, sehr stark betroffen.

Wenn Corona vorbei ist, normalisiert sich dann auch der Modekonsum wieder? Die Modebranche leidet besonders, aber es gibt etwa mit der Reisebranche auch andere Branchen, die stark leiden. Was bei Mode erschwerend hinzukommt: Dass sich durch Corona gesellschaftliche Strukturen geändert haben, Bedarf weggebrochen ist. Hier ist die Branche gefordert, sich wirklich Gedanken zu machen, wie sich neue Bedarfe schaffen lassen können.

Homeoffice heißt Bedarfsrückgang bei Businessbekleidung. Gibt es da Aussicht auf Normalisierung?

Die Nachfrage nach Businessmode wird das Vorkrisenniveau meines Erachtens nicht mehr erreichen. Dass sie wiederkommen wird, wenn sich die Corona-Lage normalisiert, haben wir im Sommer gesehen. Herrenanzüge gehörten etwa im zweiten Halbjahr mit einem Plus von 12% zu den Gewinner-Warengruppen. Aber auch hier sehen wir im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 ein Minus von über 40%. Wir sind immer noch weit, weit vom Vorkrisenniveau entfernt. Und ich wage die Prognose, dass wir es in bestimmten Warengruppen zu 100% auch nicht mehr erreichen werden.

Betrifft der Rückgang denn nur den stationären Handel?

Die Verbraucher sind insgesamt nicht unbeschwert. Und Anlässe fehlen auch insgesamt. Dennoch gibt es in der Tat sehr große Unterschiede zwischen der Entwicklung im Fashion Markt offline und online. Während der Gesamtmarkt dramatisch geschrumpft ist, hat der Online-Bereich zugelegt. In den ersten zehn Monaten um 3 Mrd. Euro gegenüber 2019. Das ist erheblich. Zumal die Zuwächse auf breiter Ebene zu sehen sind.

Inwiefern?

Die Zahl der Kunden, die online Mode kauft, ist um vier Millionen gestiegen im Vergleich zu 2019. Und es kaufen nicht nur mehr, sondern es wird häufiger online gekauft und dann wird auch mehr ausgegeben. Stationär hingegen zeigt sich ein anderes Bild. Die Rückgänge bei den stationären Modeausgaben summieren sich jetzt schon innerhalb der ersten zehn Monaten gegenüber den ersten zehn Monaten 2019 auf fast 12 Mrd. Euro. Mit Ausnahme des Bons, der einen Tick gestiegen ist, haben sich alle Kennziffern negativ entwickelt. So hat der Markt alleine sieben Millionen Kunden verloren. Das sind Kunden, die in dem Zeitraum nicht mehr stationär Mode gekauft haben. Das ist dramatisch.

Ist das altersspezifisch?

Natürlich sind die Jüngeren tendenziell onlineaffiner, aber die Älteren haben aufgeholt. Dass es tendenziell noch beliebter bei den Jüngeren ist, deutet daraufhin, dass wir auch zukünftig einen gewissen Shift sehen werden. Wer sich mit Fashion beschäftigt, muss sich mit online und dem Thema Omni-Channel beschäftigen, um wirklich dem Shopper bei jeder Gelegenheit das passende Produkt liefern zu können. Und das betrifft wirklich alle Zielgruppen.

Wie groß ist dabei der Einfluss der Corona-Lage?

Wenn die Verunsicherung zunimmt, scheint es die automatische Reaktion zu sein, mehr online einkaufen zu gehen. Der Markt insgesamt profitiert davon natürlich nicht. Es ist nur eine Verschiebung. Das sieht man auch bei den Einkaufshäufigkeiten. Online lag sie in den ersten zehn Monaten bei 6,6 Shoppingtrips. Im stationären Bereich liegt dieser Wert bei 10,5 Shoppingtrips.

Zählt da auch das Paar Socken im Supermarkt dazu?

Definitiv. Man darf die Rolle des Lebensmitteleinzelhandels für den Fashion Markt nicht unterschätzen. Fast 2 Mrd. Euro wurden dort in den ersten zehn Monaten für Mode ausgegeben. Natürlich sind es ganz spezielle Warengruppen und spezifische Bedarfe. Nichtsdestotrotz läppert es sich.

Auf welchem Kanal wird mehr ausgegeben?

Im stationären Handel liegt der durchschnittliche Bon bei 38,37 Euro. Online geben die Haushalte mit im Schnitt 56 Euro annähernd doppelt so viel aus. Natürlich muss man die spezielle Situation in diesem Jahr berücksichtigen. Wir hatten die ersten fünf Monate einen teilweise sehr scharfen Lockdown. Danach hat man beim Konsumenten richtig die Lust darauf gespürt, stationär einkaufen zu gehen. Damit war sicher auch die Hoffnung verbunden, dass das Schlimmste der Pandemie überwunden ist. Da ging auch das Konsumklima deutlich nach oben. Im Modemarkt haben wir steigende Umsätze und Bons gesehen.

Nur leider hat uns hier die Realität seit September sehr schnell wieder eingeholt, seitdem die Inzidenz wieder steigt, steigt auch die Unsicherheit. Das belastet die Shopping-Laune. Die Frequenzen sinken, was auch so weitergehen wird. Das heißt, man muss immer attraktiver werden für den Shopper, damit er sich wirklich für einen Besuch entscheidet.

Welche Rolle spielt dabei der Preis?

Mein Eindruck ist, der Preis spielt momentan nicht die ausschlaggebende Rolle, weil es auch für die Käufer andere Herausforderungen wie das Thema Lieferfähigkeit gibt. Das verunsichert viele Kunden, auch wenn es noch nicht einmal einen konkreten Lieferengpass gibt.

Die Inflationsrate ist gerade auf Rekordniveau. Welchen Einfluss hat das auf den Modekonsum?

Ich hoffe, dass das Thema Inflation wirklich nur ein kurzfristiges ist, was uns nicht mittelfristig begleiten wird. Ansonsten ist es mit Sicherheit noch mal eine Belastung - gerade auch für den Fashion Markt. Ich bin aber ganz positiv gestimmt, dass sie sich nach ein paar Monaten normalisieren wird, wenn man die Preisentwicklung wieder einem Jahr gegenüberstellt, in dem es keine Mehrwertsteuersenkung gab, und sich auch die Energiepreise wieder normalisieren.

Durch Corona ist auch das Thema Nachhaltigkeit befeuert worden. Welchen Einfluss hat es auf den Modekonsum?

Das ist nicht irgendein Trend. Das ist eine gesellschaftliche Einstellung, die für mehr als ein Drittel der Konsumenten relevant ist - auch beim Modekonsum. Das sind Entwicklungen, die sie, auch wenn Corona überwunden sein wird, so nicht mehr zurückdrehen können, sondern sich damit auseinandersetzen müssen. Dabei ist Nachhaltigkeit aus Shopper-Sicht unfassbar multidimensional. Wir haben das in einer Studie speziell zu Nachhaltigkeit bei Fashion untersucht und kamen auf 70, 80 verschiedene Dimensionen. Das geht von der Logistik über die Produktion bis letztlich zu dem, was nach dem Kauf stattfindet. Insgesamt 70 verschiedene Puzzleteilchen, die am Ende dieses Bild der Nachhaltigkeit beim Kunden ausmachen.

Das klingt schwer fassbar für Unternehmen.

Wir haben vier Kundengruppen identifiziert. Es gibt etwa die Konsequenten, die sehr nachhaltig orientiert sind und sich bei ihren Einkaufsentscheidungen an diesem Kriterium orientieren. Diesem Segment sind immerhin ein Drittel aller Haushalte in Deutschland zuzuordnen. Das bedeutet, wenn man das Thema als Marke oder als Retailer nicht spielt, verzichtet man von vornherein auf circa ein Drittel seiner potenziellen Kunden. Und das kann sich, glaube ich, heutzutage kein Unternehmen mehr leisten.

Stark zugelegt während der Pandemie hat das Segment Sport. Bleibt der Trend ?erhalten?

Sport und damit auch Sportmode sind nach wie vor Wachstumsfelder. Da viele Menschen sehr viel Zeit zu Hause verbracht haben und jetzt auch wieder verbringen werden, bleibt das Thema im Trend. Zudem war das natürlich eh eine Warengruppe, die seit rund 15 Jahren ununterbrochen wächst. Von daher gehe ich davon aus, dass es da keine Gegenbewegung geben wird. Wenn dann eine Konsolidierung auf einem hohen Niveau.

Mit 2021 wird das zweite Jahr mit einem hohen Nachfragerückgang zu Ende gehen. Was erwarten Sie für 2022?

Auf Vorkrisenniveau wird die Nachfrage nicht so schnell wieder anstiegen. Und manche Themen wie Frequenzrückgang bleiben. Auf der anderen Seite, hat diese so emotionale Branche so unfassbar viele Möglichkeiten. Die Grundlage ist zu verstehen, wie und was und wo der Shopper einkaufen will und ihm dann das richtige Angebot zu machen. Vielleicht sogar einen neuen Bedarf zu wecken. Wenn das gelingt, warum sollte der Fashion Markt dann nicht wieder wachsen können?

By Aziza Freutel

Titel:
Konsumforscher Martin Langhauser über die Trends beim Modekonsum: "Die Branche hat unfassbar viele Möglichkeiten".
Autor/in / Beteiligte Person: Freutel, Aziza
Zeitschrift: TextilWirtschaft Online, 2021-12-30, S. 15-15
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: serialPeriodical
Schlagwort:
  • LANGHAUSER, Martin
  • PRICE inflation
  • FINANCIAL statements
  • Subjects: LANGHAUSER, Martin PRICE inflation FINANCIAL statements
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Consumer researcher Martin Langhauser on the trends in fashion consumption: "The industry has an incredible number of possibilities".
  • Language: German
  • Document Type: Interview
  • Full Text Word Count: 1771

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