Zum Hauptinhalt springen

Eckard Michels, Fremdenlegion. Geschichte und Gegenwart einer einzigartigen militärischen Organisation, Freiburg i.Br. [u. a.]: Herder 2020, 463 S., EUR 40,00 [ISBN 978‑3‑451‑38533‑9].

Grawe, Lukas
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 80 (2021-11-01), Heft 2, S. 376-378
Online review

Eckard Michels, Fremdenlegion. Geschichte und Gegenwart einer einzigartigen militärischen Organisation, Freiburg i.Br. [u. a.]: Herder 2020, 463 S., EUR 40,00 [ISBN 978‑3‑451‑38533‑9] 

Eckard Michels, Fremdenlegion. Geschichte und Gegenwart einer einzigartigen militärischen Organisation, Freiburg i.Br. [u. a.] : Herder 2020, 463 S., EUR 40,00 [ISBN 978‑3‑451‑38533‑9]

Die mythenumrankte französische Fremdenlegion stößt nicht nur in Frankreich, sondern auch hierzulande auf großes Interesse. Umso erstaunlicher ist es, dass es bislang an einem deutschsprachigen wissenschaftlichen Standardwerk zum Thema fehlte, in dem die Geschichte der Legion von ihrer Gründung 1831 bis heute aufgegriffen und kritisch analysiert wird. Nun legt mit Eckard Michels ein profunder Kenner der Materie ein solches Opus vor. Der am Londoner Birkbeck College lehrende Historiker betritt damit kein Neuland. Bereits 1999 hat er die Rolle der Deutschen in der Fremdenlegion untersucht. In seiner Einleitung setzt sich Michels ein ehrgeiziges Ziel: Ihm gehe es nicht nur um die Ereignisdarstellung, sondern auch um eine Einordnung der Fremdenlegion und ihrer Einsätze in die französische Außen‑, Militär‑, Kolonial‑ und Sicherheitspolitik (S. 14). Gerade diese sei bei bisherigen Darstellungen der Legion immer wieder vernachlässigt worden. Michels will hingegen in seiner Gesamtschau zeigen, »inwiefern die Formation überhaupt als Besonderheit im Vergleich zu anderen französischen wie europäischen (Kolonial‑)Truppen anzusehen ist, über wieviel Freiraum sie innerhalb der französischen Armee verfügte oder ob sie in den Kolonien gewalttätiger vorging als andere Einheiten« (S. 14). Die Geschichte der Legion gleiche einer Fieberkurve, welche die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen Europas abbilde. Doch nicht nur die militärischen und politischen, sondern auch die soziologischen Hintergründe sind für den Autor von Interesse, will er doch auch einen Einblick in die Sozialstruktur der Legion und die Motive derer geben, die sich dem Militärverband anschließen.

Für diese ehrgeizige Fragestellung greift Michels nicht nur auf veröffentlichte Quellen wie Memoiren ehemaliger Legionäre zurück, sondern auch auf Archivmaterial aus französischen und deutschen Archiven. Im Hinblick auf die Einbeziehung von Forschungsliteratur zeigt sich der Autor umfassend orientiert und auf dem neuesten Stand. Gegliedert ist das Buch chronologisch, wobei die Entwicklung der Legion von ihrer Gründung 1831 über das Zeitalter der Weltkriege bis zu den Kriegen gegen den Terror im 21. Jahrhundert dargestellt wird. Ein Ausblick in die Zukunft der Legion rundet den Band schließlich ab.

Im ersten Kapitel verdeutlicht Michels, dass die Gründung der Legion keineswegs von langer Hand geplant war, sondern eher den improvisierten Versuch der französischen Regierung bildete, sich der zahllosen in Frankreich gestrandeten Exilanten möglichst elegant zu entledigen. Als Möglichkeit bot sich hier der Einsatz der neuen Einheit im gerade erst in Besitz genommenen Algerien an, das fortan gewissermaßen zur »Heimat« der Fremdenlegion wurde und bis 1962 blieb. Insofern handelte es sich nicht um eine Eliteeinheit, sondern um einen Verband, der als Hort für gescheiterte Existenzen, Flüchtlinge und Abenteurer diente. Damit schwamm die Institution gewissermaßen gegen den Strom und erwies sich als Anachronismus: Eine Söldnertruppe passte nicht mehr in das 19. Jahrhundert, das militärisch vor allem durch das Aufkommen der allgemeinen Wehrpflicht charakterisiert wurde. Folglich spricht Michels hier von einem Scheitelpunkt europäischer Militärgeschichte (S. 43), einem Zeitfenster, in dem die Gründung einer Söldnertruppe gerade noch möglich war.

Bis in die 1870er Jahre galt die Legion als Provisorium, mehrfach schien ihre Auflösung bevorzustehen. Erst das Zeitalter des Hochimperialismus bewahrte den Verband vor diesem Schicksal, galt es doch nun, das stetig wachsende französische Kolonialreich zu verteidigen. Diese Aufgabe fiel unter anderem der Legion zu, die in Algerien, bald auch in Tunesien, Marokko, Vietnam und Madagaskar mit Härte gegen den Widerstand der indigenen Bevölkerung vorging. Die Kämpfe gegen die als »minderwertig« empfundenen kolonialisierten Völker stiften bis heute die Traditionslinien der Legion. Um die Aufrechterhaltung der kolonialen Hierarchie zu ermöglichen, durften bis 1960 nur Männer aus Europa in der Legion dienen. Michels geht zudem auf die Rolle der Legion als deutsch-französischer Zankapfel vor dem Ersten Weltkrieg ein. Während des Krieges erschien der militärische Verband schließlich als Symbol, das für die französischen Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit eintrat, indem es zahlreiche europäische Kriegsfreiwillige in seine Reihen aufnahm.

Gerade in den Kapiteln, die sich mit den Kriegen in Indochina und in Algerien befassen, gelingt es Michels, zahlreiche langlebige Mythen zu widerlegen. So bestand die Fremdenlegion zwar teilweise zu 40 Prozent aus deutschsprachigen Soldaten, die direkt nach dem Zweiten Weltkrieg in den französischen Kriegsgefangenenlagern angeworben wurden. Allerdings war die Einstellung von Angehörigen der Waffen-SS untersagt. Mit zunehmender Dauer des Konflikts in Indochina befanden sich unter den deutschen Legionären nur noch wenige, die bereits zwischen 1939 und 1945 gekämpft hatten. Ohnehin wurde die Hauptlast der Kämpfe in Vietnam und Algerien nicht von Weißen getragen, sondern von den nordafrikanischen bzw. vietnamesischen Truppen der französischen Armee. Nach den Niederlagen in den Kolonien und der Beteiligung einiger Einheiten der Legion am Putschversuch von 1961 stand die Fremdenlegion erneut zur Disposition. Ihre Angehörigen betrachteten sich nun als »soldats perdu«: Sie stilisierten sich zu Opfern der französischen Politik und empfanden sich nicht als Täter in den »schmutzigen«, asymmetrischen Kriegen Frankreichs. Auch hier verdeutlicht Michels, wie sehr diese Selbsteinschätzung von der Realität abwich, war die Legion doch sowohl in Vietnam als auch in Algerien an Kriegsverbrechen und systematischen Folterungen beteiligt.

Noch heute stellen die Kolonisierungs‑ bzw. Dekolonisierungskriege die wichtigsten Bezugspunkte der Legion dar (S. 356). Anders als früher legt die Legion jedoch heute Wert auf ihren Status als Eliteeinheit: Ihre Soldaten werden besser ausgebildet und geschult und erhalten die neueste Ausrüstung. Der Verband dient heute unter anderem als schnelle Eingreiftruppe im frankophonen Afrika, wo Frankreich nach wie vor über großen Einfluss verfügt. An der kriegerischen Grundeinstellung, die bereits den Legionär des imperialistischen Zeitalters kennzeichnete, hat sich bis heute wenig geändert: Noch immer sind die Desertionszahlen besonders niedrig, wenn die Legion in militärischen Konflikten eingesetzt wird. Korpsgeist und Kadavergehorsam gelten noch heute als wünschenswerte Tugenden.

In seinem Ausblick legt der Autor dar, wie sehr sich die Bedeutung und der Status der Legion seit ihrer Gründung gewandelt haben. Galt sie 1831 als Anachronismus, erscheint sie im 21. Jahrhundert, in dem zahlreiche Staaten ihre Wehrpflicht abgeschafft haben und auf professionelle Soldaten (teilweise auch aus dem Ausland) setzen, wie ein Modell der Zukunft (S. 384–392). Insgesamt löst Michels seinen Anspruch, eine umfassende Geschichte der Fremdenlegion zu schreiben und dabei auch über den rein militärischen Tellerrand hinauszublicken, größtenteils eindrucksvoll ein. Ihm gelingt es während des gesamten Buches, die Geschichte der Legion in den weiteren außen‑ und kolonialpolitischen Kontext einzubetten. Die immer wieder eingestreuten soziologischen Abschnitte, die Auskunft über Zusammensetzung der Einheiten und die Motive der Bewerber geben, bereichern die chronologische Darstellung zusätzlich. Wissenschaftlich fundiert, aber dennoch anschaulich und leicht verständlich geschrieben, ist dem Buch auch über Fachkreise hinaus eine große Leserschaft zu wünschen.

By Lukas Grawe

Reported by Author

Titel:
Eckard Michels, Fremdenlegion. Geschichte und Gegenwart einer einzigartigen militärischen Organisation, Freiburg i.Br. [u. a.]: Herder 2020, 463 S., EUR 40,00 [ISBN 978‑3‑451‑38533‑9].
Autor/in / Beteiligte Person: Grawe, Lukas
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 80 (2021-11-01), Heft 2, S. 376-378
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2021-0056
Schlagwort:
  • FREMDENLEGION: Geschichte und Gegenwart einer einzigartigen militarischen Organisation (Book)
  • MICHELS, Eckard
  • MILITARY service
  • ARMED Forces
  • NONFICTION
  • Subjects: FREMDENLEGION: Geschichte und Gegenwart einer einzigartigen militarischen Organisation (Book) MICHELS, Eckard MILITARY service ARMED Forces NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Bremen, Germany
  • Full Text Word Count: 1093

Klicken Sie ein Format an und speichern Sie dann die Daten oder geben Sie eine Empfänger-Adresse ein und lassen Sie sich per Email zusenden.

oder
oder

Wählen Sie das für Sie passende Zitationsformat und kopieren Sie es dann in die Zwischenablage, lassen es sich per Mail zusenden oder speichern es als PDF-Datei.

oder
oder

Bitte prüfen Sie, ob die Zitation formal korrekt ist, bevor Sie sie in einer Arbeit verwenden. Benutzen Sie gegebenenfalls den "Exportieren"-Dialog, wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden und die Zitat-Angaben selbst formatieren wollen.

xs 0 - 576
sm 576 - 768
md 768 - 992
lg 992 - 1200
xl 1200 - 1366
xxl 1366 -