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Gegenwartsliteratur [Sammelrezension]Jeleč, Marijana (Hrsg.): Tendenzen der Gegenwartsliteratur. Berlin: Peter Lang, 2019. – ISBN 978-3-631-79662-7. 357 Seiten, € 68,70.Hille, Almut; Völkel, Oliver Niels (Hrsg.): Was zu beginnen nicht aufhört. Facetten von Gegenwartsliteratur in der internationalen Germanistik und im Fach Deutsch als Fremdsprache. München: iudicium, 2020 (LiKuM – Literatur Kultur Medien in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 2). – ISBN 978-3-86205-735-1. 284 Seiten, € 30,00 [Open Access unter www.iudicium.de].Karlsson Hammarfelt, Linda; Platen, Edgar; Platen, Petra (Hrsg.): Mauerfall und andere Grenzfälle. Zur Darstellung von Zeitgeschichte in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur (XI). München: iudicium, 2020. – ISBN 978-3-86205-599-9. 188 Seiten, € 22,00

Gimber, Arno
In: Info DaF: Informationen Deutsch als Fremdsprache, Jg. 49 (2022-04-01), Heft 2/3, S. 130-133
Online academicJournal

Gegenwartsliteratur [Sammelrezension]Jeleč, Marijana (Hrsg.): Tendenzen der Gegenwartsliteratur. Berlin: Peter Lang, 2019. – ISBN 978-3-631-79662-7. 357 Seiten, € 68,70.Hille, Almut; Völkel, Oliver Niels (Hrsg.): Was zu beginnen nicht aufhört. Facetten von Gegenwartsliteratur in der internationalen Germanistik und im Fach Deutsch als Fremdsprache. München: iudicium, 2020 (LiKuM – Literatur Kultur Medien in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 2). – ISBN 978-3-86205-735-1. 284 Seiten, € 30,00 [Open Access unter www.iudicium.de].Karlsson Hammarfelt, Linda; Platen, Edgar; Platen, Petra (Hrsg.): Mauerfall und andere Grenzfälle. Zur Darstellung von Zeitgeschichte in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur (XI). München: iudicium, 2020. – ISBN 978-3-86205-599-9. 188 Seiten, € 22,00 

Karlsson, Hammarfelt, Linda ; Platen, Edgar ; Platen, Petra (Hrsg.): Mauerfall und andere Grenzfälle. Zur Darstellung von Zeitgeschichte in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur (XI). München : iudicium, 2020. – ISBN 978-3-86205-599-9. 188 Seiten, € 22,00.

Hille, Almut ; Völkel, Oliver Niels (Hrsg.): Was zu beginnen nicht aufhört. Facetten von Gegenwartsliteratur in der internationalen Germanistik und im Fach Deutsch als Fremdsprache. München : iudicium, 2020 (LiKuM – Literatur Kultur Medien in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 2). – ISBN 978-3-86205-735-1. 284 Seiten, € 30,00 [Open Access unter www.iudicium.de].

Jeleč, Marijana (Hrsg.): Tendenzen der Gegenwartsliteratur. Berlin : Peter Lang, 2019. – ISBN 978-3-631-79662-7. 357 Seiten, € 68,70.

Die drei hier zu besprechenden Sammelbände gehen auf Tagungen zurück, und in Tagungsbänden kann es passieren, dass nicht alle aufgenommenen Beiträge in den vorgegebenen thematischen Rahmen passen. So lässt in der von Hammarfelt, Platen und Platen herausgegebenen Veröffentlichung schon der Titel Mauerfall und andere Grenzfälle erkennen, dass die Leser*innen eine breite Fülle von Grenzanalysen erwartet, die auch die ästhetischen Überschreitungen interkultureller Literatur (etwa bei Yoko Tawada) mit einbezieht. Der Band ist zudem zeitlich sehr weit gesteckt, behandelt die politischen Lieder Wolf Biermanns, der schon 1976 die DDR verlassen musste, und Romane von Autor*innen, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geboren waren. Aber natürlich bewegt sich die Publikation immer noch im Rahmen der Gegenwartsliteratur. Dies ist auch in den beiden anderen Bänden der Fall, die in den Titeln mit Begriffen wie „Tendenzen" und „Facetten" operieren und dadurch ebenfalls konkretere Festlegungen vermeiden. Alle drei Publikationen sind international ausgerichtet, allein der von Hille und Völkel herausgegebene Band hebt dies durch die Bezeichnung „internationale Germanistik" eigens hervor, eine gute Lösung, um aus der Inlandsperspektive den Begriff der Auslandsgermanistik zu vermeiden.

Ein Nachteil von Kongressbänden ist außerdem, dass sie wenig Raum für Auseinandersetzungen mit der Forschung bereitstellen, und deswegen werden vielen Beiträgen längere Literaturlisten, die den Einstieg in eine tiefgreifendere Beschäftigung mit den behandelten Themen ermöglichen sollen, angehängt. Die Kürze der Texte (sie gehen für gewöhnlich auf zwanzigminütige Vorträge zurück) erlaubt in der Regel keine tiefschürfenden Erörterungen, insbesondere wenn es sich um Überblicksartikel handelt. In den meisten der vorliegenden Studien werden die Leser*innen jedoch eines Besseren belehrt, viele der 44 Beiträge, die in den drei Bänden versammelt sind, gehen sehr wohl, wenn auch knapp, fundiert vor. Es gelingt, auf engstem Raum Themen aus dem Bereich der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur aus verschiedenen Blickwinkeln zu behandeln, sodass sich ein Bild zusammenfügt, das aktuelle Tendenzen sehr gut widerspiegeln kann.

Der Begriff der Gegenwartsliteratur ist nur in einem Beitrag (Scharnowski in Hille/Völkel) Gegenstand einer breiteren Ausführung. Und hier wird in Ansätzen erwähnt, was generell zu wenig im Vordergrund steht, ein soziokulturelles Herangehen an das Phänomen der Gegenwartsliteratur nämlich, denn der Kultur- oder Literaturbetrieb, das Verhalten des Buchmarkts, die Verlagsstrategien, Literaturdebatten, Literaturkritik oder Vergabe von Literaturpreisen, hätte bestimmt noch ein besseres Licht auf den Komplex werfen können. Der Beitrag liest sich auch als ein Plädoyer für die Medienkulturwissenschaft, was plausibel erscheint, denn die Bedeutung von nichtliterarischen Diskursen für die Literatur (und umgekehrt) spielt in dem Spannungsverhältnis zwischen außertextueller Wirklichkeit und Fiktionalität gerade in den letzten Jahren immer wieder eine Rolle. In den einzelnen Beiträgen kommt diese Problematik jedoch kaum zur Sprache.

Die in den drei Bänden analysierten literarischen Texte wurden bis auf wenige Ausnahmen nach der Jahrtausendwende geschrieben, und die historischen Bezugspunkte sind mehrheitlich der Nationalsozialismus und der Mauerfall. Insgesamt widmen sich 20 Artikel, also fast die Hälfte, einzelnen Autor*innen, darunter auch solchen, die nicht in der ersten Reihe des Literaturbetriebs gehandelt werden.

Unter den Themen kristallisieren sich mehrere Komplexe heraus, die nicht überraschen: die Wendeliteratur und die Erinnerungsliteratur, die sich sowohl auf die DDR-Vergangenheit und den Mauerfall als auch auf die NS-Zeit bezieht, werden häufig in sogenannten Familien- oder Generationenromanen zusammengeführt. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang der Überblicksartikel von Jeleč („Geschichtswissen und Familienwissen") in dem von ihr herausgegebenen Band und Cifres Aufsatz („Zeitordnungen im Umbruch. Das Comeback des Familienromans") in Hille/Völkel. Im deutschen Gegenwartsroman, dies zeigen seit vielen Jahren auch die Short- und Longlists des Deutschen Buchpreises, werden persönliche Betroffenheiten in einer Spannung zwischen politischen und privaten Empfindlichkeiten einerseits und zwischen Bewahren und Vergessen andererseits über die drei oder vier Generationen, die das 20. Jahrhundert umfassen, behandelt. Dabei dominiert ein biografisches Schreiben, das jedoch nicht als dokumentarisch bezeichnet werden kann. In diesem Zusammenhang taucht auch Heimat als Leitbegriff auf, wobei aber, wie das Beispiel von Nora Krugs Graphic Novel (2018) zeigt, der Blick von außen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Globalisierung hat die deutschsprachige Literatur erreicht, aber auch das ist keine neue Beobachtung. Lokales, Regionales, Nationales und Kontinentales werden in heterogenen Erfahrungsräumen zusammengeführt, in die auch Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft eingebunden werden. In diesem Sinne ist Gegenwartsliteratur ein fortlaufendes, kaum zu überschauendes Projekt, dessen Vielfalt, so paradox es klingen mag, das Kennzeichen seiner Einheit ist. Genau diesen Eindruck erwecken die Lektüren der zahlreichen Untersuchungen in den drei Bänden.

Vergleicht man diese Sammelbänden mit anderen, die vor etwa zwanzig Jahren zur Gegenwartsliteratur veröffentlicht wurden, so können trotz der Kontinuität Unterschiede erkannt werden. Popliteratur oder postmodernes Schreiben spielen in den vorliegenden Studien kaum noch eine Rolle, und die Annäherung an die Migrantenliteratur ist jetzt eine andere. Standen kurz vor der Jahrtausendwende noch Texte im Zentrum des Interesses, die von Autor*innen nicht deutscher Muttersprache verfasst wurden, so scheint sich dieses Kriterium auch im Sinne der Künstler*innen normalisiert zu haben und dient nicht mehr als Argument einer doch problematischen literarischen Kategorisierung und Abgrenzung.

Die Analyse von Romanen und Erzählungen nehmen in den drei Bänden den deutlich größten Raum ein. Drei Artikel befassen sich mit Lyrik und nur einer aus einer fachdidaktischen Perspektive mit Theaterliteratur. Das Schreiben von Frauen wird als solches nicht thematisiert, und der Transgenderkomplex wird im Rahmen der Kinder- und Jugendliteratur behandelt, und zwar aus der literaturdidaktischen Perspektive. Diese doch sehr besondere Literatur ist ausschließlich in dem von Jeleč herausgegebenen Band aufgenommen.

Dort und in Hille/Völkel wird fachdidaktischen Aspekten ein breiter Raum gewährt. Didaktisierung von literarischen Texten, Theaterpädagogik, Literatur im Landeskunde- und Fremdsprachenunterricht, die (literarische) Inszenierung des Fremdsprachenlehrers, Vorstellung von Literaturmodulen in DaF-Studiengängen, all diese Themen sind gerade in Bänden zur internationalen Germanistik sinnvoll, wo literarische Texte in den akademischen Veranstaltungen ein ganz anderer Stellenwert zukommt als in den Germanistikstudiengängen in den deutschsprachigen Ländern. Aber auch hier sind zwischen den Bänden Unterschiede zu konstatieren. In einigen Fällen werden didaktische Erwägungen kurz und nicht aussagekräftig in wenigen Abschnitten einer literaturwissenschaftlichen Analyse angehängt, in anderen werden den Leser*innen für die Unterrichtsplanung brauchbare Konzepte und ausführliche Anleitungen vorgeschlagen. Auch hierzu finden sich in dem Band von Hille/Völkel in dem Aufsatz von Grub („Texte als Träger landeskundlicher Informationen?") fundierte theoretische Ausführungen.

Insgesamt bieten die drei Bände ein repräsentatives Bild der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Es kommen aber auch Randerscheinungen zu Wort. Neben den schon erwähnten Themen sind Beiträge zum Kriminalroman, zur Abenteuer- und Reiseliteratur und zur Frage der digitalen Literatur aufgenommen. Andere Aspekte wie z. B. Ökoliteratur oder experimentelle Literatur kommen zu kurz, aber dies kann kein Kritikpunkt sein. Nur in dem von Jeleč herausgegebenen Band sind den Beiträgen Zusammenfassungen und Schlüsselwörter vorangestellt, was beim Lesen hilfreich ist. Abgesehen von den eingangs erwähnten Schwächen liegen hier drei empfehlenswerte Bände vor, die brauchbare Einführungen und ertragreiche Vertiefungen bieten. Sie machen neugierig, und wer sie liest, stößt auf Querverbindungen, die zu neuen Projekten inspirieren können. Auch deshalb ist ihre Lektüre zu empfehlen.

By Arno Gimber

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Titel:
Gegenwartsliteratur [Sammelrezension]Jeleč, Marijana (Hrsg.): Tendenzen der Gegenwartsliteratur. Berlin: Peter Lang, 2019. – ISBN 978-3-631-79662-7. 357 Seiten, € 68,70.Hille, Almut; Völkel, Oliver Niels (Hrsg.): Was zu beginnen nicht aufhört. Facetten von Gegenwartsliteratur in der internationalen Germanistik und im Fach Deutsch als Fremdsprache. München: iudicium, 2020 (LiKuM – Literatur Kultur Medien in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, 2). – ISBN 978-3-86205-735-1. 284 Seiten, € 30,00 [Open Access unter www.iudicium.de].Karlsson Hammarfelt, Linda; Platen, Edgar; Platen, Petra (Hrsg.): Mauerfall und andere Grenzfälle. Zur Darstellung von Zeitgeschichte in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur (XI). München: iudicium, 2020. – ISBN 978-3-86205-599-9. 188 Seiten, € 22,00
Autor/in / Beteiligte Person: Gimber, Arno
Link:
Zeitschrift: Info DaF: Informationen Deutsch als Fremdsprache, Jg. 49 (2022-04-01), Heft 2/3, S. 130-133
Veröffentlichung: 2022
Medientyp: academicJournal
ISSN: 0724-9616 (print)
DOI: 10.1515/infodaf-2022-0011
Schlagwort:
  • MEMORY
  • TENDENZEN der Gegenwartsliteratur (Book)
  • LITERATURE
  • WAS zu beginnen nicht aufhort: Facetten von Gegenwartsliteratur in der internationalen Germanistik und im Fach Deutsch als Fremdsprache (Book)
  • FICTION
  • MAUERFALL und andere Grenzfalle: Zur Darstellung von Zeitgeschichte in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur (XI) (Book)
  • FAMILIES
  • MARIJANA, Jelec
  • HILLE, Almut
  • VOLKEL, Oliver Niels
  • KARLSSON Hammarfelt, Linda
  • PLATEN, Edgar
  • PLATEN, Petra
  • GERMAN language
  • NONFICTION
  • Subjects: MEMORY TENDENZEN der Gegenwartsliteratur (Book) LITERATURE WAS zu beginnen nicht aufhort: Facetten von Gegenwartsliteratur in der internationalen Germanistik und im Fach Deutsch als Fremdsprache (Book) FICTION MAUERFALL und andere Grenzfalle: Zur Darstellung von Zeitgeschichte in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur (XI) (Book) FAMILIES MARIJANA, Jelec HILLE, Almut VOLKEL, Oliver Niels KARLSSON Hammarfelt, Linda PLATEN, Edgar PLATEN, Petra GERMAN language NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Product Review
  • Author Affiliations: 1 = Madrid, / Spanien Spain
  • Full Text Word Count: 1283

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