Pietsch, Christian
unter Mitarbeit von
Krämer, Benedikt Menze, Martin Nölker, Philipp
Hrsg. Die philosophische Lehre des Platonismus. Die Ethik im antiken Platonismus der Kaiserzeit. Bausteine 231-252: Text, Übersetzung, Kommentar Der Platonismus in der Antike. Grundlagen – System – Entwicklung. Begründet von
Dörrie, Heinrich
Fortgeführt von
Baltes, Matthias Pietsch, Christian
Band 8 1–2, Stuttgart-Bad Canstatt frommann-holzboog 2020 XXXVI, 923 2 Bände 1. € 796 978-3-7728-3367-0
Der als Doppelband erscheinende, als achter gezählte Band der bekannten und etablierten Reihe Der Platonismus in der Antike ist der Ethik gewidmet. Wie gewohnt werden nach dem Vorwort, das hauptsächlich über Aufbau und Entstehungsgeschichte des Bandes unterrichtet, in einem ersten Teil, nach Kapiteln und (Bausteine genannten) Unterkapiteln geordnet, Textzeugnisse aus der antiken platonischen Tradition im (meist griechischen, bisweilen lateinischen) Original gesammelt sowie übersetzt und in einem zweiten Teil umfassend aus philosophischer Perspektive kommentiert; abgeschlossen wird der Band durch ein Literaturverzeichnis. Die Kommentierung befindet sich jeweils in dem Halbband, in welchem auch die Texte der Bausteine abgedruckt sind; die parallele Lektüre wird durch die jeweils zwei eingearbeiteten Lesezeichen sehr bequem gemacht. Beibehalten wird nicht nur das grundlegende Konzept, sondern auch die Rechtschreibung, die zur Entstehungszeit dieses Konzepts galt (das sei anerkennend erwähnt). Als Neuerungen des Bandes innerhalb der Reihe sind zu nennen, dass zum einen nicht mehr ein einziger Herausgeber den ganzen Band bearbeitet hat, sondern jeder Baustein durch einen eigenen Bearbeiter besorgt wird, zum anderen der Neuplatonismus umfangreicher als zuvor berücksichtigt ist. Inwiefern diese Neuerungen den Charakter des Bandes beeinflussen, wird zu prüfen sein.
Doch zunächst zum allgemeinen Eindruck: Dass die Last auf viele spezialisierte Schultern verteilt wurde, zeigt sich in der Durchführung der selbstgestellten Aufgabe, die im Band insgesamt hervorragend gelöst wurde. Um einen gewissen Einblick in die Anlage zu geben und die jeweiligen Bearbeiter zu würdigen, seien die einzelnen Bausteine aufgezählt: (Baustein 231) Mauro Bonazzi / Federico Maria Petrucci: Definition und philosophische Systemstelle der platonischen Ethik; (
Zu den Einzelheiten: Die Qualität des Textteils ist durchweg hoch, zu kritisieren sind lediglich (im Hinblick auf den Gesamtumfang geringfügige) Einzelheiten, beispielsweise in der Übersetzung fehlendes ἀντίκειται <γὰρ> ἀδύνατον τὸ μὴ καταδῦναι in 245.1 (Ps.-Plutarch, De fato 6, 571C) oder ὁμολογουμένως in Baustein 249.1 (502; Origenes, De princ. 3, 1, S. 198), während in Baustein 248 (
Die Auswahl der Texte ist als solche nicht zu bemängeln. Dass einzelne Textpartien wiederholt auftauchen, ist der Einteilung in Bausteinen geschuldet und für die Übersichtlichkeit ein Vorteil. Dass unter dieser Voraussetzung wiederum nicht jedem Überlieferungsstrang nachgegangen werden kann und so etwa in Baustein 247 in den Stellen aus platonischen Dialogen δαίμονες erwähnt werden, der gesamte Bereich der mittelplatonischen Daimonologie aber fehlt (dessen ausführliche Aufarbeitung wiederum in Band 7.2 zu erwarten ist), ist ebenfalls verzeihlich. Etwas uneinheitlich ist die Behandlung der Stellen aus dem Œuvre Platons selbst, welches bisweilen ausführlich zur Dokumentation der Ausgangslage herangezogen wird, während diese Ausgangslage andernorts durch Verweise im Kommentar erschlossen wird. Über die Zuteilung einzelner Bausteine mag man streiten, wenn etwa das 6. Kapitel (Das Verhältnis der platonischen Ethik zur Ethik anderer philosophischer Schulen, Bausteine 248 bis 250) zwar gewissermaßen als Kompromiss die Beeinflussung platonischer Philosophie durch vorangegangene Schulen an wichtigen Beispielen darstellt, aber andererseits solcher Einfluss auch in weiteren Bausteinen an anderen Zeugnissen notwendigerweise nachgewiesen wird; der ausstehende Index dürfte wohl die Übersichtlichkeit wiederherstellen.
Auch die Kommentierungen nehmen sich bei den einzelnen Bausteinen durchaus unterschiedlich aus, sowohl in Anlage und Umfang als auch in der Qualität der Aufbereitung. Eine Einbettung der Zeugnisse in ihre jeweiligen Kontexte sowie die Aufbereitung ihrer Beiträge zu den jeweiligen Debatten und somit eine grundlegende sowie vertiefende Einführung bieten sie alle, aber die Frage, wo man mit den Voraussetzungen beginnen und wie man die Debatten nachzeichnen möchte, ist unterschiedlich beantwortet. So sind als besonders gelungen beispielsweise die Kommentare zu den Bausteinen 240, 242 oder 248 zu nennen. Vergleichsweise umfangreich (sechs Doppelseiten Text werden auf 70 Seiten kommentiert) ist der Beitrag von C. Pietsch selbst (Baustein 245), in der Anlage grundsätzlich schon als kleine Monographie geeignet. Pietsch zeichnet die Entstehung der Kontroversen von der freilich eher impliziten Grundlegung in der klassischen Philosophie über die explizite Benennung der Probleme im Hellenismus nach, bevor er die exemplarische Bedeutung der Textzeugnisse für die Antworten des Mittelplatonismus auf die hellenistische Philosophie sowie dann die Auflösung der verbliebenen Probleme unter platonischer Perspektive im Neuplatonismus vorführt. Durch die klare Darstellung u. a. anhand des jeweiligen Problemüberhangs lässt sich trotz des Umfangs sehr gut nachvollziehen, wie die sich verändernden Kontexte neue Antworten erforderten und welche Argumente für diese Antworten grundlegend wurden. So verspürt man am Ende direkt den Wunsch, eine auch außerhalb der jeweiligen v. a. metaphysischen Voraussetzungen systematische Kritik der einzelnen Positionen zu lesen und so geprüft zu sehen, ob und in welcher Hinsicht das Fortschreiten der Debatte jeweils tatsächlich einen Fortschritt darstellte, da man – wohl ein gutes Zeichen – den Blick dafür verliert, dass dies den Gesamtumfang und die Anlage des Bandes sprengen würde.
In diesem Baustein erscheinen die neuplatonischen Texte zweifelsfrei als Fortsetzungen einer im Umfeld der philosophischen Berufung auf Platon etablierten Diskussion. Hier wird man dementsprechend nicht an der sachlichen Berechtigung ihrer Aufnahme zweifeln wollen. Nicht in allen Fällen hat man allerdings diesen Eindruck zwingend. So erscheinen die spezifisch neuplatonischen Lehren der Bausteine hin und wieder fast schon als Fremdkörper, was generell dadurch verstärkt wird, dass diese Textpartien in der Regel in größeren Zusammenhängen stehen, die (eben auch durch die Etablierung der neuplatonischen Metaphysik) umfangreiche und von den unter dem Etikett des Mittelplatonismus versammelten Autoren verschiedene Voraussetzungen in anderen Bereichen der Philosophie haben. Dadurch ergibt es sich, dass bisweilen eine Schwerpunktverschiebung dergestalt erfolgt, dass die späteren Platoniker nicht mehr als Nachfolger der vorangegangenen erscheinen, sondern diese, die sonst im Mittelpunkt der Reihe standen, nun zurücktreten und teilweise nur noch in den Fußnoten der Kommentare auftauchen (etwa in Baustein 248 oder 249). Wie man dies bewertet, obliegt der Interessenlage des Lesers. Einerseits ist es natürlich eine der Selbstzuschreibung der Autoren entsprechende Konsequenz, die gesamte (heidnische) Tradition sich auf Platon berufender Philosophen zu berücksichtigen, deren umfangreiches Werk nicht nur die ihnen vorliegenden Lehrstücke aufnimmt, sondern auch in vielen Aspekten weiterentwickelt und (auch durch die Überlieferungslage beeinflusst) als in geschlossen-systematisches Philosophieren eingefügt erst erkennen lässt. Zum anderen führt die Berücksichtigung dieses umfangreichen Schrifttums dazu, dass die Auswahl der Textzeugnisse je nach Unterthema sehr selektiv ist. Wünscht man sich, dass die großen Linien der Entwicklung bis zum Ende der heidnischen Philosophie vorgeführt werden, wird man die Erweiterung begrüßen. Wer aber für die späteren Entwicklungen andere Formen der Darstellung wünscht und das Instrumentarium einer Textsammlung für den Fall der eher disparat überlieferten früheren Autoren reserviert und dann auch um den Preis inhaltlicher Redundanz annähernd vollständig durchgeführt sehen will, hätte wohl einen insgesamt eventuell weniger umfangreichen und inhaltlich je nach Perspektive weniger interessanten, aber dafür diesem Bedürfnis antwortenden Band bevorzugt. Als herausgeberische Entscheidung nachvollziehbar ist die stärkere Berücksichtigung der neuplatonischen Autoren durchaus.
Formale Mängel sind extrem selten und behindern die Lektüre in keiner Weise, genannt sei die (dem Rezensenten zugegebenermaßen in eigener Sache aufgefallene) fehlende Nennung eines der zwei Autoren einer Publikation (
Das Literaturverzeichnis ist nach Primärtexten und Übersetzungen einerseits, weiterführender Literatur andererseits aufgeteilt. Klar durchgeführt wird diese Einteilung aber nicht, wenn beispielsweise bei Platon und Plotin verschiedene Ausgaben und auch Übersetzungen angemessenerweise im ersten Teil erscheinen, von Apuleius aber keine kritische Edition, sondern nur eine zweisprachige Ausgabe, von Alkinoos die letztgültige kritische Edition mit französischer Übersetzung, während die englische und die (in zweisprachiger Ausgabe) deutsche Übersetzung ausschließlich unter den Namen ihrer Bearbeiter im zweiten Teil erscheinen, und von Albinos sogar nur die Edition mit deutscher Übersetzung im zweiten Teil, während gar keine Spur von ihm im Verzeichnis der Primärtexte zu finden ist, obwohl Textpartien aus der Eisagoge in die Bausteine 231 und 244 aufgenommen sind. Auch wäre hilfreich, wenn nicht ein Stellenverzeichnis, so doch zumindest ein Namenregister direkt im Band vorzufinden (beides soll neben weiteren Registern freilich im separat erscheinenden Index verfügbar werden).
Die einzelnen möglichen Kritikpunkte sollen aber nicht verschleiern, dass der vorliegende Band in insgesamt sehr hoher Qualität endlich seinen wesentlichen Teil zur Komplettierung des Projekts beiträgt (es stehen noch Band 7.2 und der Index aus) und insofern auf diesem Gebiet seinen Rang als Standardwerk einnehmen wird.
By Thomas Zimmer
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