Kurt Flasch, Katholische Wegbereiter des Nationalsozialismus. Michael Schmaus, Joseph Lorz, Josef Pieper. 2021 Vittorio Klostermann GmbH Frankfurt am Main, 978-3-465-02706-5, € 24,80
„Aus den geeinten Kräften des nationalsozialistischen Staates und des katholischen Christentums" wollte die Schriftenreihe „Reich und Kirche" dem „Aufbau des Dritten Reiches" dienen. Sie erschien mit kirchlicher Druckerlaubnis 1933/34 im Münsteraner Aschendorff Verlag und meinte, zwischen der „natürlichen, völkischen Wiedergeburt" und dem „übernatürlichen Leben der Kirche" bestehe kein Widerspruch, wie sich hier schon vulgärthomistisch andeutet. Auf drei Werke dieser fünfteiligen Reihe richtet der 91-jährige Philosophiehistoriker Kurt Flasch sein Augenmerk: Michael Schmaus, Begegnungen zwischen katholischem Christentum und nationalsozialistischer Weltanschauung (1933), Joseph Lortz, Katholischer Zugang zum Nationalsozialismus (1933) und Josef Pieper, Das Arbeitsrecht des Neuen Reiches und die Enzyklika Quadragesimo anno (1934). Vordenker wie Karl Eschweiler, Karl Adam, Carl Schmitt und die üblichen Verdächtigen werden als Kontext eingangs ebenso behandelt wie Franz von Papen. Dessen Kölner Rede zur Reichstagswahl am 12. November 1933 sollte die Katholiken herüberziehen und erschien ebenfalls in „Reich und Kirche".
Flasch sortiert nachvollziehbar, wo jeder seinen Akzent setzte: Um die Vereinbarkeit der Schöpfungsordnung mit dem aus Blut und Boden geformten „Volksganzen" kümmerte sich der Dogmatikprofessor Schmaus. Die Volksgemeinschaft trotz Glaubensspaltung war das Leibthema von Lortz, der später durch seine Reformationsgeschichte weltberühmt wurde. Die Sozialenzyklika „Quadragesimo anno" von 1931 (nicht von 1929, wie auf S. 41, 121) fiel in das Ressort des „angelernten Soziologen" Pieper, den Flasch überhaupt als große intellektuelle Niete darstellt. Die Enzyklika, die den Klassenkampf überwinden wollte, sei von Hitler in der „Deutschen Arbeitsfront" verwirklicht worden. Gemeinsam war den Autoren der Schriftenreihe die Ablehnung von Liberalismus, Kapitalismus, Sozialismus und Massendemokratie, die Neigung zum Mittelalter, zu Ständestaat, Reichsidee, Gehorsam, Gemeinschaft und Antisemitismus. Nicht alle waren so zentrumsfeindlich wie von Papen. Verlangt wurde mehr als Loyalität zum Staat – in Lortz Worten: eine „von innen kommende Zustimmung zum Nationalsozialismus".
Die Münsteraner Schriften und die anderer „Rechtskatholiken" sind hier nicht das erste Mal untersucht worden. Flasch besticht durch eine philosophiehistorisch informierte Deutung samt zahlreicher Kontextualisierungen, die jedoch zuweilen etwas übers Ziel hinausschießen. Für die These, „prominente" Theologen hätten die Katholiken im gespaltenen Münster von der Zentrumspartei abbringen wollen, die dort am 5. März 1933 mit 36,6 Prozent gegenüber der NSDAP (31,8 Prozent) reüssierte (S. 13–18), fehlt jeglicher Beleg. Schmaus war eben erst in Münster angekommen, Lortz hatte seine Rede in Königsberg gehalten, von Papen, der wie Pieper gar kein Theologe war, in Köln. Kaum zielführend sind auch die Exkurse über Lortz' falsches Erasmusverständnis (S. 115 ff.), über Gerhard Krügers Brief zu Piepers Habilitation 1946 – diesem „Anfänger" fehle das Talent philosophischen Forschens – (S. 141–147, 184 ff.) und die Hessischen Koalitionspläne 1931 bis zu den Boxheimer Dokumenten (S. 147–152).
Um klare Worte nie verlegen, gelten Flasch die Texte von 1933/34 nicht als Irrtümer oder Jugendsünden, sondern als „intellektuelle Verbrechen" (S. 160). In der These über die „Schreibtischtäter" als „katholische Wegbereiter des Nationalsozialismus" (S. 158 u. Titel), die „rhetorische Beihilfe zur nationalen Katastrophe" leisteten, liegt indes eine Wirkungsbehauptung, die nicht empiriegestützt ist. Dass sie in ihrer naiven politischen Theologie und Harmoniesuche „das katholische Volk irregeleitet" (S. 159) haben, bleibt bloße Behauptung. Dennoch lohnt die Lektüre dieser „mit mühselig beherrschter Ruhe" (S. 133 f.), auch „befangen" (S. 147), engagiert und humorvoll zwischen „Abscheu" (S. 159) und Verständnis geschriebenen Miniatur.
By Olaf Blaschke
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