Zum Hauptinhalt springen

Gregor Wand, Der Diplomat und die Päpste. Die Mission des ersten deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl – Diego von Bergen 1920–1943. Leiden, Brill 2021; Gerd Westdickenberg, Diplomat beim heiligen Stuhl. Diego von Bergen. Diener dreier Herren. Berlin 2021

Samerski, Stefan
In: Historische Zeitschrift, Jg. 315 (2022-10-01), Heft 2, S. 545-549
Online review

Gregor Wand, Der Diplomat und die Päpste. Die Mission des ersten deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl – Diego von Bergen 1920–1943. Leiden, Brill 2021; Gerd Westdickenberg, Diplomat beim heiligen Stuhl. Diego von Bergen. Diener dreier Herren. Berlin 2021 

Gregor Wand, Der Diplomat und die Päpste. Die Mission des ersten deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl – Diego von Bergen 1920–1943. 2021 Brill Leiden, 978-3-506-76050-0, € 69,–

Gerd Westdickenberg, Diplomat beim heiligen Stuhl. Diego von Bergen. Diener dreier Herren. 2021 Henricus – Edition Deutsche Klassik Berlin, 978-3-8478-5287-2,

Die historische Forschung wartete seit langem auf eine Biographie über den langjährigen deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl in schwieriger Zeit (1920–1943), Diego von Bergen. Denn von einem solchen Werk erhofft man sich weitere Aufschlüsse über kontrovers diskutierte Vorgänge im deutschen Katholizismus unter nationalsozialistischem Vorzeichen (Reichskonkordat, Shoah u. a.). Nun liegen gleich zwei umfangreiche Studien vor, deren Ansatz und Autorenschaft ganz unterschiedlich sind, die allerdings – um es gleich zu sagen – zu den Kontroversen wenig Neues beitragen. Sie ergänzen sich allerdings in vielen Punkten und stellen gemeinsam eine solide biographische Grundlage dar. Während das eine Werk (Wand) eine historiographische Dissertation an der Universität Potsdam ist, die einen behördengeschichtlichen Zugang zur Materie verfolgt (der Titel ist daher leicht irreführend), versteht sich das andere als Biographie aus der Feder eines deutschen Diplomaten und Amtsnachfolgers (Westdickenberg), der das außenpolitische Wirken von Bergens anhand der Amtsakten minutiös darstellt. Letzterem geht es um den „Kern der Person Diego von Bergen" (Westdickenberg, S. 11). Beide Autoren kommen in den Hauptfragen – aus unterschiedlicher Perspektive – nahezu zu denselben Ergebnissen und relativieren die alte Sichtweise von einem auf Ausgleich und Vermittlung bedachten deutschen Diplomaten im Kontext der NS-Ideologie und des Krieges. Das ist zwar nicht ganz neu, wohl aber die Schärfe, mit der beide Autoren Diego von Bergen als einen aktiven Unterstützer der NS-Kirchenpolitik charakterisieren. Ob das in dieser Deutlichkeit gerechtfertigt ist, mag weiterhin diskutiert werden. Bergen trat beispielsweise erst 1939 der Partei bei, und zwar als letzter an seiner Botschaft. Weitere Auskünfte könnten hier außeramtliche Überlieferungen (privates oder kollegiales Umfeld, wie etwa der bayerische Gesandte Ritter) bieten, die von beiden Autoren kaum herangezogen werden.

Sehr aufschlussreich ist Wands Hinführung zur Thematik insofern, als er den langgedienten Diplomaten personell und politisch in der Außenpolitik des Kaiserreiches verortet (1. Kapitel). Von dort her charakterisiert er von Bergen nach 1919 als einen Vertreter der „Revisions- und Großmachtpolitik" (Wand, S. 47) – ein Gedanke, den man für das ‚Schicksalsjahr' 1933 gerne wieder aufgenommen wüsste. Man erfährt in diesem ersten Kapitel viel über bislang nicht unbekannte persönliche Kontakte und familiäre Verbindungen sowie über seine Beziehung zu Matthias Erzberger, der ihn 1920 an die neuerrichtete Vatikanbotschaft katapultierte. Ansonsten waren Zentrumskontakte für den preußischen Protestanten von Bergen tatsächlich von Seltenheitswert. Westdickenberg ergänzt als Diplomatie-Experte, dass für das Kaiserreich Fachkenntnisse weniger wichtig waren als Form, Haltung und Diensteifer eines Diplomaten (Westdickenberg, S. 16). Außerdem sei das Verhältnis von Pacelli zu von Bergen karriereförderlich gewesen – sicherlich stand der deutsche Vatikanbotschafter aber nicht auf Augenhöhe mit dem deutschen Nuntius (Westdickenberg, S. 72), da in den zwanziger Jahren die wichtigsten Kirchenfragen in Berlin und nicht in Rom verhandelt wurden. Tatsächlich hatte sich aber der deutsche Botschafter an der Kurie rasch eine herausragende Position erarbeitet und beste Zugänge zu Kardinalstaatssekretär Gasparri wie auch zum Papst hergestellt. Das war sicherlich zu einem großen Teil der geopolitischen Position Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg geschuldet, die in beiden Studien aufgrund des engen Quellenbezugs etwas zu kurz kommt. Westdickenberg handelt dann alle wichtigen und hochpolitischen Lebensfragen Deutschlands ab (Reparationen, Ruhr, Grenzziehung, Sowjets etc.), in die von Bergen und die deutsche Kirchenpolitik eingebunden waren. Bei den vielseitigen Konkordatsverhandlungen der zwanziger Jahre hätte man sich von beiden Werken nähere Auskünfte erwartet, da es hier zu Konflikten zwischen der Zentrale und der Botschaft gekommen war. Aber der Schlüssel der Verhandlungen lag eindeutig in Deutschland bei Pacelli.

Insgesamt stellt Westdickenberg sehr richtig die Hauptstärken des Botschafters heraus, der Berlin mit wertvollen Informationen versorgte und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den höchsten Monsignori der Kurie pflegte. Auch Wand unterstreicht das und ergänzt aus behördengeschichtlicher Perspektive von Bergens Abstand zur Stresemann-Politik. Denn der Botschafter war bis weit über 1933 hinaus revisionistisch und antifranzösisch eingestellt. Dennoch konnte er sich bis 1943 auf seinem Posten halten. Die erste Bewährungsprobe kam für ihn 1933, wie Wand verdeutlicht: Hatte es vor dem deutschen ‚Schicksalsjahr' kaum personelle Veränderungen an der Vatikanbotschaft gegeben, so war auch 1933 kein großer Wechsel zu bemerken, da die neue deutsche Außenpolitik die Achse Rom-Berlin förderte, und zwar mit Kontinuität und Reichskonkordat (Wand, S. 135 ff.). Hier lag von Bergen ganz auf der Linie von Mussolini und schlug in einem Memorandum an die Zentrale die Lateran-Verträge als Vorbild für ein Reichskonkordat vor. Die hier vorgeschlagene innenpolitische Stabilisierung durch ein Konkordat deckte sich mit Hitlers Interessen, doch schließlich ist von Bergen in Rom an den persönlichen Prestigeerwartungen von Papens gescheitert (Wand, S. 137). Dem Problem eines möglichen Junktims von Reichskonkordat und Ermächtigungsgesetz gehen beide Autoren aus dem Weg.

Wand stellt sehr deutlich den Bruch in der politischen Arbeit von Bergens nach 1933 heraus. Das fällt jedem Leser der diplomatischen Korrespondenz auf, der verblüfft ist, wie der langgediente Botschafter kaiserzeitlicher Prägung urplötzlich umschwenkte und nationalsozialistische Maximen propagierte. Nach Wand habe von Bergen nach 1933 sogar die Argumente für die Regierungsarbeit in Berlin geliefert und sei damit Teil des NS-Unterdrückungsapparates geworden (Wand, S. 147). Er habe die Audienzen der deutschen Bischöfe im Vatikan reduziert und das Germanicum als katholische Kaderschmiede im Visier gehabt. Wenn er aber insgesamt die Position des Anima-Rektors Alois Hudal geteilt hätte, der ebenfalls stets in räumlicher Ferne zu Deutschland und Österreich gelebt hatte und eine Brücke zwischen dem rechten Flügel der NSDAP und der Kirche für möglich hielt (Wand, S. 155), würde das von Bergens Verstrickung mildern. Tatsächlich aber hatten die Diplomaten auf die deutsche Außenpolitik nach 1934/35 kaum Einfluss.

Inwieweit war dies von Bergen bewusst und Hintergrund für sein Agieren? Die Diskussion um die Enzyklika „Mit brennender Sorge" (1937), deren Ausführungsverhandlungen Westdickenberg breiten Raum gewährt, machte dann sehr deutlich, dass von Bergen politisch kaltgestellt war und nur noch „die äußere Ruhe" (Westdickenberg, S. 207) verwaltete. Er konnte dennoch oder gerade wegen seiner damaligen Bedeutungslosigkeit 1938 auf seinem Posten bleiben und wurde damit zum längstamtierenden Botschafter der deutschen Diplomatie. Den Hintergrund bildeten außenpolitische Erwägungen und Rücksichten auf Mussolini, was Wand sehr breit und plausibel darstellt: Nach der Münchener Konferenz versuchte der deutsche Außenminister nicht nur die Achse Berlin-Rom zu stärken, sondern diese auch in ein kriegsfähiges Militärbündnis umzuwandeln. Der Mussolini-freundliche von Bergen war da ebenso willkommen wie dessen gute Beziehungen zum Hl. Stuhl. Im Zweiten Weltkrieg vertrat der deutsche Beamte nach Aktenlage deutlich alle NS-Positionen und parierte jede Kritik an deutschen Kriegstaten; es lässt sich aber darüber nachdenken, auch ihm wie Ernst von Weizsäcker eine ‚doppelte Sprache' zuzugestehen. Denn Pius XII. etwa, über dessen Verhältnis zu von Bergen man gerne für die Spätzeit mehr erfahren hätte, hielt bis zuletzt an ihm fest.

Wand kommt zu dem Schluss, dass die Vatikanbotschaft genau wie alle anderen Stellen bei der NS-Judenverfolgung mitgemacht habe. Am Anfang habe von Bergen die antijüdischen Ausschreitungen nach außen verschleiert (Wand, S. 191 f.), Berlin vor Exzessen gewarnt, da diese die Achsen-Politik gefährdeten. Eine vergleichbare Position vertrat er auch angesichts der Judenvernichtung, von der er 1942 erfuhr (Wand, S. 206 f.). Westdickenberg unterstreicht das mit großer Vorsicht und aus zweiter Hand, indem er von Zurückhaltung und geringer Berichtdichte spricht (Westdickenberg, S. 285–288). So fällt denn auch das Gesamturteil beider Autoren eher disparat und nicht eindeutig aus, vor allem wenn es um die zweite Hälfte der Amtszeit des Botschafters geht. Ein letztes Urteil über von Bergens Verhältnis zum Nationalsozialismus wird man ohne neue Quellengrundlage nicht erwarten dürfen.

Über die letzten Lebensmonate von Bergens erfährt der Leser wenig. Wand stellt heraus, dass die tiefere Ursache für die Entlassung des bereits überlang amtierenden Botschafters weniger ein Revirement des Auswärtigen Amtes war als ein Konflikt mit von Ribbentrop: Ab Mitte Juni 1942 stand die ‚Achse'-Politik zur Debatte, von der sich der Außenminister und Italien nach dem deutschen Rückzug in Russland abgewandt hatten. Dagegen wollte von Bergen die alten Rücksichten auf Italiens Katholiken gewahrt wissen (Wand, S. 186 ff.). Im April 1943 wurde er nach 24 Dienstjahren auf dem römischen Posten in den Ruhestand versetzt, blieb aber noch etliche Monate in Rom, ehe er nach Wiesbaden übersiedelte und dort am 7. Oktober 1944 verstarb.

By Stefan Samerski

Reported by Author

Titel:
Gregor Wand, Der Diplomat und die Päpste. Die Mission des ersten deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl – Diego von Bergen 1920–1943. Leiden, Brill 2021; Gerd Westdickenberg, Diplomat beim heiligen Stuhl. Diego von Bergen. Diener dreier Herren. Berlin 2021
Autor/in / Beteiligte Person: Samerski, Stefan
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 315 (2022-10-01), Heft 2, S. 545-549
Veröffentlichung: 2022
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2022-1400
Schlagwort:
  • DER Diplomat und die Papste: Die Mission des ersten deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl: Diego von Bergen 1920-1943 (Book)
  • DIPLOMAT beim heiligen Stuhl: Diego von Bergen: Diener dreier Herren (Book)
  • WAND, Gregor
  • WESTDICKENBERG, Gerd
  • VON Bergen, Diego
  • NONFICTION
  • Subjects: DER Diplomat und die Papste: Die Mission des ersten deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl: Diego von Bergen 1920-1943 (Book) DIPLOMAT beim heiligen Stuhl: Diego von Bergen: Diener dreier Herren (Book) WAND, Gregor WESTDICKENBERG, Gerd VON Bergen, Diego NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Ludwig-Maximilians-Universität, Katholisch-Theologische Fakultät, Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, München,, 80539, Germany.
  • Full Text Word Count: 1395

Klicken Sie ein Format an und speichern Sie dann die Daten oder geben Sie eine Empfänger-Adresse ein und lassen Sie sich per Email zusenden.

oder
oder

Wählen Sie das für Sie passende Zitationsformat und kopieren Sie es dann in die Zwischenablage, lassen es sich per Mail zusenden oder speichern es als PDF-Datei.

oder
oder

Bitte prüfen Sie, ob die Zitation formal korrekt ist, bevor Sie sie in einer Arbeit verwenden. Benutzen Sie gegebenenfalls den "Exportieren"-Dialog, wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden und die Zitat-Angaben selbst formatieren wollen.

xs 0 - 576
sm 576 - 768
md 768 - 992
lg 992 - 1200
xl 1200 - 1366
xxl 1366 -