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Thomas O. Höllmann, China und die Seidenstraße. Kultur und Geschichte von der frühen Kaiserzeit bis zur Gegenwart. München, Beck 2022.

Landa, Ishayahu
In: Historische Zeitschrift, Jg. 315 (2022-12-01), Heft 3, S. 695-697
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Thomas O. Höllmann, China und die Seidenstraße. Kultur und Geschichte von der frühen Kaiserzeit bis zur Gegenwart. München, Beck 2022 

Thomas O. Höllmann, China und die Seidenstraße. Kultur und Geschichte von der frühen Kaiserzeit bis zur Gegenwart. 2022 C. H. Beck München, 978-3-406-78166-7, € 34,–

Das Buch setzt sich als Ziel, dem deutschsprachigen Leser die politischen, wirtschaftlichen, intellektuellen und religiösen „Begegnungen und Beziehungen" (S. 11) der letzten ca. zweieinhalbtausend Jahre zwischen China und den Gebieten entlang der als „Seidenstraße" bekannten transkontinentalen Landhandelsrouten v. a. im Westen Eurasiens in einer dem breiteren Publikum zugänglichen Weise darzustellen. Angesichts der Material- und Diskussionsfülle entscheidet sich der Autor gegen eine chronologische Darstellung. Vielmehr perspektiviert er das Phänomen anhand spezifischer systematischer Kategorien. In Teil I („Die Grundlagen") beleuchtet er Hauptquellen, raumzeitliche Situierung und zentrale Akteure. In der Folge (Teile II–IV) geht er in Fallstudien den große Zeitspannen umfassenden Begegnungen anhand der Beschreibung von Objekten, Ideen und Technologien, die nach oder aus China gekommen sind, nach. Teil II fokussiert die transkontinentale, v. a. in Richtung China gehende Verbreitung der Religionen (mit den Schwerpunkten Buddhismus, Zoroastrismus, Christentum, Manichäismus, Judentum und Islam). In Teil III werden unter dem Begriff „Tribut und Handel" die Dimensionen des wirtschaftlichen und diplomatischen Warenverkehrs exemplifiziert. Der Autor zeigt die Diversität der Handelsobjekte, die im Laufe der Geschichte nach China (z. B. Sutras, Goldpfirsiche, Perlen oder Pferde) und aus China (etwa Seide oder Tee) strömten. Ging es in Teil III um die Bewegung der materiellen Gegenstände, beschäftigt sich Teil IV mit dem eher abstrakteren Themenfeld des Wissenstransfers, u. a. der Verbreitung und Weiterentwicklung der chinesischen Schrift (besonders nach Korea und Japan), des Papiers, der Drucktechnologien sowie des Schießpulvers und Porzellans. Schlussendlich stellt der Autor im letzten Teil („Nachspiel") die Begrifflichkeit der „Seidenstraße" im Kontext der letzten eineinhalb Jahrhunderte dar, und zwar sowohl als Gegenstand des Interesses der Forscher und Abenteurer der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als auch als geopolitisches Konstrukt des selbstbewussten Chinas des letzten Dezenniums.

Betrachtet man das Buch unter dem Aspekt der Annäherung eines breiteren Publikums an das Phänomen „Seidenstraße", ist die themenbezogene Darstellung gut begründet, auch wenn – und der Autor ist sich der Problematik bewusst (vgl. S. 11 f.) – manche Zusammenschlüsse und Zusammenfassungen nicht immer der Komplexität der Phänomene ganz gerecht werden können. Die Hauptkritik des Rezensenten bezieht sich auf die fehlende Betonung der zentralen Rolle der eineinhalb Jahrhunderte mongolischer Herrschaft (13. – Mitte des 14. Jahrhunderts) in der Geschichte der diskutierten Begegnungen. Zwar wird die tschingisidische Herrschaftszeit in verschiedenen Kontexten erwähnt (vgl. etwa S. 85–87, 216, 267, 280), doch kommt z. B. der Begriff „Pax Mongolica" nur einmal und ohne weitere Erklärung vor (vgl. S. 331). Die Vermittlerrolle der Mongolen im kulturellen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt religiösen transeuroasiatischen Austausch ist im Verhältnis z. B. zur Rolle der katholischen Mission unterbetont. Entsprechend werden so die Verbreitung des tibetischen Buddhismus und des Islam nach China unter der mongolischen Herrschaft (vgl. die Kapitel zu Buddhismus und Islam, S. 97–125, 150 f.) sowie der von Kuroda diskutierte transkontinentale Silberfluss (Akinobu Kuroda, The Eurasian Silver Century, 1276–1359: Commensurability and Multiplicity, in: Journal of Global History 4/2, 2009, 245–269) nicht diskutiert. Überraschend ist in diesem Kontext auch das Fehlen der Forschung von Thomas T. Allsen (1940–2019), der diese Umstände umfangreich beleuchtet hat (vgl. T. T. Allsen, Culture and Conquest in Mongol Eurasia. Cambridge 2001) und als Begründer der modernen Forschung zum mongolischen Eurasien gilt.

Wenige weitere Anmerkungen seien gestattet. Zum einen betont der Autor eine defensive „Abschottungshaltung" der Chinesen gegenüber den Steppenvölkern und zieht dazu die umfassenden Fortifikationsstrukturen im Norden (die sogenannte „Große Mauer") heran (S. 75). Im Kontext dieser Diskussion wäre eine Erwägung der Thesen von Di Cosmo wünschenswert gewesen, der zumindest den „Mauerbau" des vorimperialen China eher als eine invasive denn als defensive Maßnahme deutet (Nicola Di Cosmo, Ancient China and Its Enemies. Cambridge 2002, 155–158). In der Fülle des Materials enthält der Text auch einzelne Datierungsfehler (die mongolische Yuan-Dynastie wurde 1272, nicht 1280 [vgl. S. 86,134] gegründet; mit diesem Zeitpunkt rechnen auch die chinesischen Quellen, vgl. John D. Langlouis, Jr., Introduction, in: Ders. (Ed.), China under Mongol Rule. Princeton 1981, 3–21, 3) bzw. vereinzelt werden unsichere Daten oder Thesen (z. B. mit Blick auf die Verbreitung der Beulenpest [vgl. S. 331], deren Ausgangspunkt und Verbreitungswege nicht geklärt sind, vgl. z.B. Philip Slavin, Death by the Lake: Mortality Crisis in Early Fourteenth-Century Central Asia, in: Journal of Interdisciplinary History 50, 2019, 59–90, insbes. 88–90) unhinterfragt aufgeführt.

Nichtsdestotrotz führt das Buch den Leser in einer übersichtlich strukturierten Weise, unter Berücksichtigung zahlreicher Perspektiven und in gut zugänglicher Stoffdarstellung in den historischen Komplex „Seidenstraße" ein. Damit bietet es dem deutschsprachigen Leser zahlreiche Anstöße, diesen transkontinentalen Begegnungen weiter nachzugehen.

By Ishayahu Landa

Reported by Author

Titel:
Thomas O. Höllmann, China und die Seidenstraße. Kultur und Geschichte von der frühen Kaiserzeit bis zur Gegenwart. München, Beck 2022.
Autor/in / Beteiligte Person: Landa, Ishayahu
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 315 (2022-12-01), Heft 3, S. 695-697
Veröffentlichung: 2022
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2022-1414
Schlagwort:
  • CHINA und die Seidenstrasse: Kultur und Geschichte von der fruhen Kaiserzeit bis zur Gegenwart (Book)
  • HOLLMANN, Thomas O.
  • SILK Road
  • IMPERIALISM
  • NONFICTION
  • Subjects: CHINA und die Seidenstrasse: Kultur und Geschichte von der fruhen Kaiserzeit bis zur Gegenwart (Book) HOLLMANN, Thomas O. SILK Road IMPERIALISM NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Bonn Universität, IOA, Abteilung für Sinologie, Bonn,, 53119, Germany.
  • Full Text Word Count: 783

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