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Peter Riedlberger, Prolegomena zu den spätantiken Konstitutionen. Nebst einer Analyse der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Heterodoxe. Stuttgart-Bad Cannstatt, frommann-holzboog 2020.

Baldus, Christian
In: Historische Zeitschrift, Jg. 315 (2022-12-01), Heft 3, S. 752-755
Online review

Peter Riedlberger, Prolegomena zu den spätantiken Konstitutionen. Nebst einer Analyse der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Heterodoxe. Stuttgart-Bad Cannstatt, frommann-holzboog 2020 

Peter Riedlberger, Prolegomena zu den spätantiken Konstitutionen. Nebst einer Analyse der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Heterodoxe. 2020 frommann-holzboog Stuttgart-Bad Cannstatt, 978-3-7728-2886-7, € 148,–

Es geht um Sanktionen gegen weltanschauliche Devianz, genau genommen um erbrechtliche Sanktionen zwischen 381 (wo solche Maßnahmen beginnen) und 428 (wo eine verallgemeinernde Verhängung gegen „Häretiker" ihren Anfang nimmt: C. Th. 16.5.65). Das gibt Untertitel, Ausgangspunkt und Anwendungsfeld der Untersuchung. Die Grundlegung hat ein Eigenleben gewonnen und gibt nunmehr den Haupttitel: Peter Riedlberger hinterfragt den gesamten Diskussionsstand zum Codex Theodosianus (Intention, Regelungsstil und -technik, Datierung und Geltungsbereich der Konstitutionen, generalitas als problematisches Selektionskriterium, Überlieferung). Ergebnis ist u. a., kaiserliche „Gesetze" seien nicht als primär symbolisch gemeint misszuverstehen, sie hätten (vorbehaltlich einer Modifikation oder Abrogation durch den jeweils anderen Kaiser, S. 107) reichsweit gegolten und erklärten sich im normativen Durcheinander der Zeit zumeist aus den vorhandenen Anordnungen, deren allgemeine Kenntnis eben nicht vorausgesetzt werden konnte. Wer in den Prolegomena meinungsstark auftritt, muss zumindest exemplarisch auch zur Anwendung liefern. Das geschieht ab S. 253, wiederum mit einigen grundsätzlichen Klärungen (darunter „Vererben und Erben in der Spätantike", S. 264–290, sowie zur Infamie, S. 353–393, deren Bedeutung nicht, wie vielfach angenommen, im Erbrecht, sondern in der Schärfung anderer Sanktionen gelegen habe), in Zusammenschau „juristischer" und „nichtjuristischer" Quellen und mit Hinterfragung zahlreicher Diskussionsstände. Kernthese ist, dass es den Kaisern nicht um einen symbolischen Ausschluss Heterodoxer aus der Rechtsgemeinschaft ging, sondern dass aus teils kontingenten Gründen nur vier Gruppen (Manichäer, Donatisten, Eunomianer, Heidenapostaten) ins Visier genommen wurden, und diese vier nicht in gleicher Weise; erbrechtliche Maßnahmen trafen die Manichäer strukturell stärker als andere Häretiker und wurden gegen sie vergleichsweise systematisch verhängt, weil bei ihnen die „Erwählten" von Zuwendungen niederrangiger Glaubensgenossen lebten.

Deutlich wird, und in dieser These wird man Riedlberger auch dann folgen, wenn man einzelne seiner Prämissen und Schlussfolgerungen im Detail nicht teilt: Es gab um 400 n. Chr. weder „die Häretikergesetzgebung" noch eine einheitliche Wurzel dessen, was sich später in die Richtung einer solchen entwickelte. Der Codex Theodosianus aber als Hauptquelle für kaiserliche Sanktionierung ist gerade in seiner (verglichen mit klassischem Recht, das der Verfasser gelegentlich mit der gebotenen Vorsicht als Vorfrage streift) sprachlichen Sperrigkeit oft von höherem Quellenwert, als man lange meinte. Der rechtsromanistische Leser muss also das tun, was er für die klassische Zeit gewohnt ist, nur hier unter ganz anderen Überlieferungsbedingungen: Er muss exegetisch von Text zu Text arbeiten.

Der Autor, fachlich mehrfach vorgebildet (und ausgewiesen für Datenbanken), tut ebendies, verfolgt in der Darstellung insgesamt aber eine klare kommunikative Strategie: Er hat fast alles Relevante verwertet, Ausnahmen etwa: zu iuraleges, S. 41, die so betitelte Monographie von Bianchi (Milano 2007); zum Zitiergesetz, S. 161, Fernández Cano, La llamada „ley de citas" en su contexto histórico (Madrid 2000), und die neuere Lit. zur recitatio; zum klassischen Erbrecht, S. 264, einiges von Voci. Er kommentiert vieles, immer griffig, bisweilen flapsig, ohne Respekt vor Kultfiguren von Mommsen über Honoré bis zum transatlantischen Law-in-context-Myzel. Gefühlte 80 Prozent deutscher Doktoranden (es handelt sich um eine Tübinger juristische Dissertation, betreut von Thomas Finkenauer) und Habilitanden hätten sich sehr vor Rezensenten und Gutachtern gefürchtet. Riedlberger nicht, und so ist sein Buch auch für jeden interessant, der sich zuvor zu den behandelten Themen geäußert hat. Es bündelt Debatten und legt den Grund für deren Fortsetzung; es benennt je nach Unterthema schwer klärbare Fragen, Zweifel des Autors selbst an seinen Thesen und künftige Forschungsaufgaben (wichtig etwa S. 50 zum Editionsbedarf, vgl. jetzt https://www.uni-bamberg.de/en/erc-cog-antcoco/the-project/, S. 247 zu Datierungsfragen, S. 272 zu spätantiken Vermächtnissen); an manchen Stellen ließe sich weiter nachfragen (S. 641 Fn. 62: nuncupationes „unjuristisch"?; „Rechtssystem").

Hier einzelne Themen oder Texte inhaltlich zu diskutieren, ist unmöglich; von den sehr unterschiedlichen Reaktionen lässt sich verweisen etwa auf Bonin LR 9 (2020), 583–600; Rohmann GFA 23 (2020), 1091–1097; Rüfner IVRA 69 (2021), 614–625; Sirks TR 89 (2021), 536–577, vgl. dens. SZ 138 (2021), 555–567 und TR 89 (2021), 70–92; Tarozzi IP 5 (2020), 390–399. Daher einige Worte zur technischen Erschließung, in dem Bewusstsein, dass es perfekte Register nicht gibt: Das Sachregister ist bei eng umschriebenen Stichworten genau, bei umfassenderen hingegen (etwa: 32 Treffer zu „Sklaven") ist nicht immer alles erfasst, und auch Unterstichworte wären dort hilfreich gewesen. „Konfiskation" verweist auf „Enteignung", dort sind zwei Stellen, davon eine grundsätzlich angelegte, nachgewiesen, nicht aber sämtliche Passagen zur Entziehung von Vermögensgegenständen. Die spätantiken Unschärfen im Begrifflichen gemeinsam mit der schieren Masse des Behandelten hätten weitere Lemmata gerechtfertigt: Eigentum/dominium/proprietas, possessio, bona, facultates, Beschlagnahme erscheinen gar nicht im Sachregister (Kaduzität schon). Auch Leser, die zumindest einen Teil der Materie bereits kennen, werden also nicht alles über das Sachregister finden. Im Ergebnis muss man im soeben vorgestellten Beispiel alles lesen, um alle eigentumsrechtlich möglicherweise relevanten Passagen zu finden. Das Quellenregister (Abweichungen von den herrschenden Usancen werden erläutert) verzichtet beim C. Th. (anders als bei den Digesten) auf die Unterteilung unterhalb der Konstitutionenebene (pr., §§), was unpraktisch ist.

Über die Register ließe sich im Falle einer Neuauflage (vielleicht zu erschwinglicherem Preis?) vor allem der dogmengeschichtlich relevante Inhalt (und hier ist zur Spätantike in Deutschland noch viel zu tun) besser erschließen. Der internationalen rechtsromanistischen Rezeption wäre eine ausführliche Zusammenfassung in italienischer Sprache sehr dienlich (vgl. einstweilen die oben zitierten Besprechungen von Bonin und Tarozzi); mit Blick auf weitere Schwerpunkte der C. Th.-Forschung könnte man auch an französische und englische Abstracts denken. Dass an vielen Stellen weiterzuarbeiten ist, zeigt der Verfasser in beeindruckender Weise, und nun sind es seine Thesen, an denen man sich abarbeiten wird. Wer konkrete Rechtsinstitute durch die oft vernachlässigte Zeit zwischen Diokletian und Justinian verfolgt, kommt an Riedlberger nicht vorbei. Umgekehrt werden solche Studien es sein, an denen sich zeigen wird, wieviel Geltung diese Prolegomena beanspruchen dürfen. Den Diskurs zwischen Historikern und Rechtshistorikern hat Peter Riedlberger sehr gefördert, und so sollte es bei Schriften weitergehen, die auf der seinigen aufbauen werden.

By Christian Baldus

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Titel:
Peter Riedlberger, Prolegomena zu den spätantiken Konstitutionen. Nebst einer Analyse der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Heterodoxe. Stuttgart-Bad Cannstatt, frommann-holzboog 2020.
Autor/in / Beteiligte Person: Baldus, Christian
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 315 (2022-12-01), Heft 3, S. 752-755
Veröffentlichung: 2022
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2022-1441
Schlagwort:
  • PROLEGOMENA zu den spatantiken Konstitutionen: Nebst einer Analyse der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Heterodoxe (Book)
  • RIEDLBERGER, Peter
  • INTERNATIONAL sanctions
  • HETERODOX economics
  • NONFICTION
  • Subjects: PROLEGOMENA zu den spatantiken Konstitutionen: Nebst einer Analyse der erbrechtlichen und verwandten Sanktionen gegen Heterodoxe (Book) RIEDLBERGER, Peter INTERNATIONAL sanctions HETERODOX economics NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Universität Heidelberg, Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft, Heidelberg,, 69117, Germany.
  • Full Text Word Count: 989

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