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Steinke, Ronen: Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt. 2. erweiterte und aktualisierte Ausgabe. Berlin: Dudenverlag, 2022 (Debattenbücher). -- ISBN 978-3-411-75679-7. 79 Seiten, € 8,00.

Partsch, Cornelius
In: Info DaF: Informationen Deutsch als Fremdsprache, Jg. 50 (2023-04-01), Heft 2/3, S. 277-280
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Steinke, Ronen: Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt. 2. erweiterte und aktualisierte Ausgabe. Berlin: Dudenverlag, 2022 (Debattenbücher). -- ISBN 978-3-411-75679-7. 79 Seiten, € 8,00 

Steinke, Ronen : Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt. 2. erweiterte und aktualisierte Ausgabe. Berlin : Dudenverlag, 2022 (Debattenbücher). -- ISBN 978-3-411-75679-7. 79 Seiten, € 8,00.

Steinkes Buch wird vom Dudenverlag als Teil der Reihe Debattenbücher aufgeführt, und somit bezeichnet der Autor seinen Text, der in acht kurze Kapitel aufgeteilt ist, auch als „Streitschrift" (11). Steinke beginnt mit der Feststellung des Unbehagens von nicht jüdischen und jüdischen Menschen gleichermaßen, das Wort Jude auszusprechen. Das Wort ist behaftet mit einem Klang, einer Geschichte und einem Assoziationsfeld und ist daher für viele so negativ konnotiert, dass sie lieber zu Ersatzformulierungen greifen, wie zum Beispiel jüdische Mitbürger oder jüdische Menschen, wie es die ehemaligen Präsident:innen des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski und Charlotte Knobloch, vorzugsweise taten und tun. Die Geschichte der diskriminierenden und erniedrigenden Verwendung des Wortes, die oft losgelöst von realer jüdischer Religion oder Herkunft funktioniert, geht weit zurück, bis ins Mittelalter. Steinke merkt an, dass es ihm in diesem Buch nicht so sehr um die Thematisierung dumpfer, antisemitischer Klischees gehe und auch nicht um Wörter, die für sich genommen nichts Anstößiges bedeuten, wie zum Beispiel Ostküste oder Hochfinanz -- er charakterisiert die ressentimentgeladene Absicht hinter solchen Wörtern als „durchsichtig" (15). Vielmehr interessiert er sich für jene Vokabeln, denen der Antisemitismus „richtiggehend eingeschrieben ist" (15), wie mauscheln. Darüber hinaus untersucht Steinke auch Synonyme für jüdisch, wie mosaisch oder israelitisch, die in Reaktion auf Antisemitismus geprägt wurden, als verständliche Versuche des Rebrandings.

In dem Kapitel über Jiddisch, eine eigenständige Sprache, die im 13. Jahrhundert entstand, weist der Autor darauf hin, dass das Jiddische zwar im Alltag heutzutage fast nirgendwo mehr gesprochen wird, aber dennoch fortlebt, oft eingestreut in die jeweiligen Landessprachen der europäischen Juden als Slangausdrücke oder Insiderwitze. Auch nicht jüdische Sprecher:innen im deutschen Sprachraum halten das Jiddische für liebenswert und verwenden ausgiebig Wörter wie Tacheles, Schlamassel, meschugge, Chuzpe oder koscher. Für Steinke stellt diese Sprachpraxis ein Kompliment an die Sprache dar, aus der die Lehnwörter kommen, und er bezeichnet es als bemerkenswert, dass die deutsche Sprache diese Wörter aufnimmt, ohne sie zu verbiegen oder umzudeuten.

Aber die dunklere Seite solcher Jiddizismen existiert natürlich ebenso, und so lauert hinter einer oft vergessenen oder verharmlosten Geschichte der abwertende und stigmatisierende Beiklang einiger Begriffe. Am Beispiel des Wortes ische, das im Jiddischen eigentlich nur wertneutral Frau heißt, im deutschen Gebrauch aber oft abwertend intendiert ist, führt Steinke kurz durch die Geschichte solcher Assoziationen und Umdeutungen. Bei ische hört er das mit, was vormals Nichtjuden meinten, wenn sie über eine Frau redeten, die Jiddisch sprach. Auch in der Ganovensprache gibt es zahlreiche historische Verwendungen des Jiddischen, aber die Assoziationen mit Verbrechertum, Elend und Anrüchigkeit, die damals wie auch heute noch mitklingen, geben dem Gebrauch eine problematische Dimension, weil die Juden als Gruppe so sprachlich fixiert werden. Dies erläutert Steinke am Beispiel des Wortes mischpoke und seiner sinistren Untertöne. Vielleicht noch herabsetzender ist die mitschwingende Bedeutung von mauscheln und schachern. Beide werden dennoch nicht selten in den angesehensten deutschsprachigen Medien benutzt.

Wiederholt setzt Steinke auch den Sprachgebrauch jüdischer Deutscher in Szene und legt dar, dass es sich dabei oftmals um Wiedervereinnahmungen handelt, die als polemische Kommunikationsakte fungieren, gleichzeitig aber auf die verletzende Wirkung eines Wortgebrauchs verweisen, wie wenn etwa der Schriftsteller Max Czollek sich selbst als Judenautor bezeichnet. Eine andere Art der Wiedervereinnahmung tritt als ironisches Spiel mit einem negativ konnotierten Begriff auf. Dies taten beispielsweise die Veranstalter des internationalen jüdischen Sportfestes Makkabiade in Berlin 2015 mit dem Werbeslogan Die ganze Mischpoke ist am Start. Steinkes Empfehlung „für Außenstehende" (37) lautet immer wieder, Vorsicht und Umsicht walten zu lassen, anstatt die vielschichtigen, witzig-ironisch-polemischen Interventionen jüdischer Deutscher nachzuahmen. Eine Kehrseite des Wunsches, der herabsetzenden Etikettierung als Jude zu entkommen und diese durch unbelastete, neue Begriffe zu umgehen, sind problematische Rebrandings, „Synonyme zum Davonlaufen" (63) in Steinkes süffisanter Einschätzung. Dennoch erläutert der Autor den historischen Kontext der Synonyme israelitisch und mosaisch und wertet sie als verständliche Reaktionen auf antisemitische Abwertung und Diskriminierung.

In seinem letzten Kapitel kommt Steinke zur identitären Grundfrage seiner Namensschreibung mit Hilfe der altmodischen Praxis des Buchstabierens nach der Buchstabiertafel, die es einmal für Telefonist:innen und Funker:innen gab. Die Nationalsozialisten haben 1934 diese Buchstabiertafel, die in jedem Telefonbuch abgedruckt wurde, arisiert: aus Nathan wurde so Nordpol, aus David wurde Dora, aus Samuel wurde Siegfried, aus Zacharias wurde Zeppelin. Jüdische Namen sollten nicht mehr zur Nation gehören, unsichtbar gemacht werden, und somit sollte kaschiert werden, dass schon seit der Römerzeit Juden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands gelebt haben. Auf diesen Schritt zur Ausradierung des Jüdischen wies vor einigen Jahren der Antisemitismusbeauftragte von Baden-Württemberg Michael Blume hin. Steinke nimmt diesen historischen Moment als Anlass dafür, daran zu erinnern, dass die Unsichtbarmachung nie korrigiert wurde und deshalb bis heute fortwirkt. Die Streitschrift endet mit einer sprachlichen Selbstbehauptung; der Autor formuliert seinen Vornamen als Richard, Otto, Nathan, Emil, Nathan und stellt sich vor, dass er mit dieser Buchstabierung eine kleine Irritation am Telefon bewirken könnte, als Ausbruch aus den Gewohnheiten (würde man ihn dann womöglich bitten, das Wort Nathan zu buchstabieren?). Darin zeigt sich konzis die Hoffnung, die Steinke mit seinem Text verfolgt hat, „dass ein bewussterer Gebrauch von Sprache auch ein selbstbewussterer Gebrauch von Sprache ist" (79) -- praktisch „ein Auflehnen" (79), das auf sprachlichem Hintergrundwissen beruht.

Man darf in dem bündigen, gut lesbaren Text keine wissenschaftliche Gründlichkeit oder Fundierung erwarten, etwa in Form von längeren analytischen Passagen, Kontextualisierung, Fußnoten oder einem Quellenverzeichnis. Wie angekündigt, möchte Steinke eine Position vertreten und dabei einen Beitrag zu einer gegenwartsrelevanten Debatte formulieren. Er möchte Sprachsensibilität fördern/fordern, Vergessenes aufdecken, manchmal provozieren, Anlässe zum Diskutieren und zum Nachdenken liefern. Mitunter ist der Ton salopp und locker. In solchen Momenten lässt der Autor keinen Zweifel daran, dass ihm etwas missfällt, und treibt dadurch eine intendierte Debatte pointiert und mit Nachdruck voran („WTF", 37; „ein Schmarrn", 45; „zum Davonlaufen", 63).

Es ist aber trotz der Kürze dieser Streitschrift verwunderlich, dass antisemitischer Sprachgebrauch in den sozialen Medien und anderen digitalen Kommunikationsformaten überhaupt keine Erwähnung findet. Beispielweise hätte ein Blick auf die algorithmengesteuerte Verbreitung und Gewichtung von oft hasserfülltem Sprachgebrauch Steinkes Streitschrift eine weitreichendere und auch aktuellere Dimension verliehen. Ebenso fehlt eine Thematisierung des Zusammenhangs zwischen antisemitischem Sprachgebrauch und dem gefährlichen Gemisch von Verschwörungstheorien, Rechtsextremismus, Holocaustrelativierung und -leugnung und Anti-Israelismus.

Steinke lässt zahlreiche Kommentator:innen zum Antisemitismus, zum antisemitischen Sprachgebrauch und, darüber hinaus, zu den diversen Konfigurationen und Lebenserfahrungen einer jüdisch-deutschen Identität zu Wort kommen, wie zum Beispiel Lena Gorelik, Mirna Funk, Charlotte Knobloch, Max Czollek, Philippe Sands, Juna Grossmann, Micha Brumlik, Anetta Kahane und Dmitrij Belkin. Eine Liste weiterführender Literatur für Leser:innen, die sich eingehender mit der Thematik beschäftigen möchten, ist ein Desideratum für diesen Band. Ein Debattierbuch will Debatten auslösen und ermöglichen und könnte daher nicht nur Diskussionsfragen, sondern auch weitere Informationsquellen zur Verfügung stellen. Die Leser:innen von Steinkes Buch könnten mit einer solchen Liste von Texten der erwähnten Persönlichkeiten, im Anhang oder am Ende der Kapitel platziert, noch näher an das Thema herangeführt werden und eine Wissensgrundlage für genau den bewussten Gebrauch aufbauen, den Steinke mit seiner Schrift selbst nähren möchte. Als parallele und ergänzende Lektüren wären unter anderem Blumes Warum der Antisemitismus uns alle bedroht: Wie neue Medien alte Verschwörungsmythen befeuern (2019) sowie Brumliks Antisemitismus. 100 Seiten (2020) denkbar, dazu die relevanten Publikationen der von Steinke zitierten Autor:innen, eine Einführung ins Jiddische, oder auch ein Verweis auf die zahlreichen kostengünstigen Texte zum Thema, die von der Bundeszentrale für Politische Bildung zu beziehen sind, wie etwa die Ausgabe von Aus Politik und Zeitgeschichte über Antisemitismus (26–27, 2020; online: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/311634/antisemitismus/ [6.1.2023]).

Literatur 1 Blume, Michael (2019): Warum der Antisemitismus uns alle bedroht: Wie neue Medien alte Verschwörungsmythen befeuern. Ostfildern: Patmos. 2 Brumlik, Micha (2020): Antisemitismus. 100 Seiten. Ditzingen: Reclam. Footnotes Die kursive Schreibweise des Autors wird im Folgenden übernommen.

By Cornelius Partsch

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Titel:
Steinke, Ronen: Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt. 2. erweiterte und aktualisierte Ausgabe. Berlin: Dudenverlag, 2022 (Debattenbücher). -- ISBN 978-3-411-75679-7. 79 Seiten, € 8,00.
Autor/in / Beteiligte Person: Partsch, Cornelius
Link:
Zeitschrift: Info DaF: Informationen Deutsch als Fremdsprache, Jg. 50 (2023-04-01), Heft 2/3, S. 277-280
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: review
ISSN: 0724-9616 (print)
DOI: 10.1515/infodaf-2023-0052
Schlagwort:
  • ANTISEMITISMUS in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt (Book)
  • STEINKE, Ronen, 1953-
  • ANTISEMITISM
  • LANGUAGE & languages
  • NONFICTION
  • Subjects: ANTISEMITISMUS in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt (Book) STEINKE, Ronen, 1953- ANTISEMITISM LANGUAGE & languages NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: anti-Semitism in the language. Why it depends on the choice of words arrives.
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Bellingham, WA, / USA United States of America

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