Zum Hauptinhalt springen

Zifonun, Gisela: Das Deutsche als europäische Sprache. Ein Porträt. Berlin: de Gruyter, 2021. -- ISBN 978-3-11-061615-6. 355 Seiten, € 32,00 [Open Access unter https://www.degruyter.com].

Papen, Manuela von
In: Info DaF: Informationen Deutsch als Fremdsprache, Jg. 50 (2023-04-01), Heft 2/3, S. 308-311
Online review

Zifonun, Gisela: Das Deutsche als europäische Sprache. Ein Porträt. Berlin: de Gruyter, 2021. -- ISBN 978-3-11-061615-6. 355 Seiten, € 32,00 [Open Access unter https://www.degruyter.com] 

Zifonun, Gisela : Das Deutsche als europäische Sprache. Ein Porträt. Berlin : de Gruyter, 2021. -- ISBN 978-3-11-061615-6. 355 Seiten, € 32,00 [Open Access unter https://www.degruyter.com].

Zifonun verspricht uns, in ihrem Buch „charakteristische, denk- und merkwürdige Eigenschaften des Deutschen" (1) vorzustellen. Dieses Ziel soll mit Hilfe von acht Kapiteln erreicht werden. Das erste Kapitel ist eine Art Überblick über das Deutsche als ein System aus Lauten, Wörtern und Regeln, gleichzeitig aber auch als soziales Kapital und historisches Erbe. Das Deutsche wird hier als mehr als ein Mittel zum Zweck dargestellt, was den Leser dazu bringt zu hinterfragen, was es denn eigentlich bedeutet, eine Sprache zu können und zu verstehen. Sprache ist etwas Organisches, eine Mischung aus „Natur und Kultur" (5), und das wird überzeugend vermittelt. Ein vielversprechender Anfang, der leider nicht wirklich hält, was er verspricht -- oder Opfer seiner eigenen Ansprüche wird.

Kapitel 2 bis 7 befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten des Deutschen, zum Beispiel Tempora und Syntax. Zum Vergleich werden Englisch, Französisch, Polnisch und Ungarisch herangezogen. Vom Ansatz her bietet sich diese Vorgehensweise an, in der Praxis gelingt das eher bedingt. Die vielen Beispielsätze aus dem Deutschen und ihre Gegenstücke aus den anderen Sprachen beschränken sich in erster Linie auf folgendes Prinzip: Im Deutschen gibt es das und das, und im Französischen, Englischen usw. wird das so und so ausgedrückt. Das ist schön und gut für den Vergleich der jeweiligen Form, aber letztlich hilft es uns nicht bei dem Verständnis einer Sprache -- nicht zuletzt, weil über die anderen Sprachen nichts außer den Beispielsätzen gesagt wird. Wer mit den vier Vergleichssprachen vertraut ist, mag nachvollziehen können, was Zifonuns Satzpaare und -gruppen erreichen sollen, aber auch dann gehen die Beispiele selten über Listen hinaus.

Der Klappentext verspricht drei Dinge. Zum einen soll Grammatik „anschaulich und konkret" vermittelt werden. Dieser Anspruch wird nur teilweise erfüllt. Es gibt definitiv einen Reichtum von Beispielen aus den untersuchten Sprachen, allerdings verstehe ich unter sowohl „anschaulich" als auch „konkret" etwas anderes als kontextlose Sätze, die letztlich ein zwar umfangreiches, aber dennoch beschränktes Korpus spiegeln.

Beim nächsten Punkt („Innovativer Blick auf das Deutsche im Kreis europäischer Sprachen") fehlen wie bei Punkt 1 die Begründungen und Hintergründe für Satz- und Formvergleiche. Zum Beispiel wäre es im Rahmen einer Frage nach dem Wesen einer (oder fünf) europäischen Sprache interessant gewesen, wenigstens kurz etwas über die Entwicklung der jeweiligen Sprache zu erfahren. Wenn, wie Zifonun eingangs sagt, das Deutsche (und selbstverständlich alle anderen Sprachen) sich durch „Veränderung" (5) auszeichnet, wäre es bestimmt aufschlussreich gewesen, zumindest ansatzweise über diesen Wandel zu lernen. Stattdessen (möglicherweise möchte sich die Autorin dadurch von klassischen Sprachgeschichten distanzieren) stammen alle Beispiele aus dem aktuellen Stand der jeweiligen Sprache (wodurch ein gewisser Widerspruch entsteht).

Als wirklich „innovativ" kann man eine Gegenüberstellung im Stil von Wie drückt man das auf Ungarisch aus? eigentlich nicht bezeichnen. Außerdem gehört von den Vergleichssprachen nur Englisch zu den germanischen; die Unterschiede zu romanischen, slawischen und finno-ugrischen Sprachen können m. E. nicht wirksam durch Gegenüberstellung von Satzpaaren dargestellt werden. Hier müssten andere Parameter angewendet werden.

Und schließlich Punkt 3: „Kurzweilige Einführung für Sprachinteressierte auch ohne linguistische Fachkenntnisse". Das Werk ist sicherlich „kurzweilig", aber es ist zu bezweifeln, dass ein Leser „ohne linguistische Fachkenntnisse" lange durchhält. Ohne fundierten (= germanistischen) Hintergrund gibt es viel zu viel Information, die einen interessierten Laien (und nicht nur Laien) überfordert. Zifonun setzt zum Beispiel voraus, dass Schwergewichte der Linguistik (Chomsky, de Saussure, Bühler etc.) und ihre Arbeit bekannt sind. Das ist allerdings etwas, das man im Germanistikstudium lernt (und Germanistikstudenten würden vermutlich nicht auf dieses Werk zurückgreifen). Dann wieder finden wir Details auf Grundschulniveau über zum Beispiel Satztypen neben Minimalinformation über die Sprechakttheorie. Ebenso vorausgesetzt wird Fachterminologie, die weit über den Deutschunterricht hinausgeht.

Bei der Lektüre habe ich mich fortwährend gefragt: Wer soll der Adressatenkreis sein? Wie soll ein Leser überhaupt zu diesem Buch finden? In welche Nische passt es? Was genau bringt es mir, das ich nicht in anderen Werken entdecken könnte? Und wie würde ich überhaupt nach einem solchen Buch suchen? Es ist eine Mischung aus verschiedenen Ansätzen, die aber alle zu viele Fragen unbeantwortet lassen.

Das Buch ist durchaus interessant geschrieben, aber es fehlt der rote Faden. Man hat oft den Eindruck, als wäre der Autorin beim Schreiben immer wieder noch etwas eingefallen, das noch eingeschoben werden musste -- aber nicht immer logisch und/oder konsequent. Es gibt zu viele Sprünge, Exkurse, Aus- und Abschweifungen. Beispielsweise beginnt Kapitel 4 damit, vorauszusetzen, dass jeder weiß, was Nominalphrasen sind (können Sie das als „Sprachinteressierte[r]" mal schnell definieren?), dann geht es ein paar Seiten weiter zur Frage, was Wortarten sind. Von der Fachsprache zum Plauderton -- und umgekehrt. Eine straffere und übersichtliche Ordnung hätte die Lesbarkeit des Werks erheblich verbessert.

Kapitel 5 (Der Satz) ist 35 Seiten lang. Auf der zweiten Seite wird der Leser (also auch der „ohne linguistische Fachkenntnisse") mit folgendem Satz bombardiert: „Gerade bei den konditional-fundierten Supplement-Typen kann man feststellen, dass Sprecher ihre Aussagen nicht nur auf der Ebene der thematisierten Sachverhalte zum Beispiel kausal oder konzessiv ergänzen, sondern mit (fast) denselben sprachlichen Mitteln auch auf die ‚epistemische', also wissensbezogene, oder gar die illokutive Ebene umschwenken können" (182).

Dieser Leser müsste hier wahrscheinlich ein halbes Dutzend Begriffe nachschlagen, und selbst einer, der über dieses Fachwissen verfügt, müsste den Satz mehrmals lesen. Solche Sätze sind keine Ausnahme.

Wenn man nicht aufgibt und sich durch den Wust an Beispielen und die oftmals unschlüssige Struktur arbeitet, findet man durchaus einige Lichtblicke, zum Beispiel zur Entwicklung von Groß- und Kleinschreibung (Kapitel 4) oder zum Thema Wortschatz und Anglizismen (Kapitel 6). Im Großen und Ganzen sind diese Edelsteine aber schwer auffindbar und auch nicht verlässlich im Register aufgeführt (wo man als Leser vermutlich auch gar nicht suchen würde). Außerdem werden ähnliche Beobachtungen auch in vielen herkömmlichen Sprachgeschichten gemacht.

Am Ende der jeweiligen Kapitel kommt es zu einem Gefühl von sowohl Übersättigung als auch Verwirrung. Es fehlt ein Fazit, um dem Leser das Wichtigste vor Augen zu führen. Aus nicht wirklich erfindlichen Gründen erhalten wir eine Art Zusammenfassung dann am Anfang von Kapitel 8 (Das Deutsche -- auf dem Weg zu einem Sprachportrait). Für viele kommt das vermutlich zu spät.

Ist das Deutsche also eine europäische Sprache? Nun, man sollte es annehmen, liegt doch Deutschland mitten in Europa. Ganz am Ende des Buchs lesen wir (fast nebenbei), dass das Deutsche neun charakteristische Merkmale des Standard Average European (SAE) erfüllt und dadurch „zum innersten Kern dieses Sprachbundes" (316) gehört. Von den Vergleichssprachen im Buch erfüllt das Französische ebenfalls neun der SAE-Merkmale, Englisch sieben, Polnisch und Ungarisch jeweils fünf.

Vor dem Hintergrund dieser Merkmale ergibt das Buch rückblickend schon mehr Sinn, da es eben diese Merkmale untersucht (zu ihnen gehören beispielsweise das Vorhandensein eines bestimmten und unbestimmten Artikels, die Perfektbildung mit haben und die Passivbildung mit Hilfsverb und Partizip). Hätte dies am Anfang gestanden, wäre das Konzept des Buchs viel klarer. Jedoch kann ein Leser nicht bis zur letzten Seite auf den Aha-Moment warten -- und schon gar nicht der, der mangels ausreichender „linguistische[r] Fachkenntnisse" (s. o.) schon längst die Segel gestrichen hat.

Für mich (seit Ewigkeiten im Fachbereich Deutsch tätig) ist der Zweck eines Buchs zum Thema Deutsche Sprache, sowohl etwas Neues zu lernen als auch etwas Bekanntes aufzufrischen und/oder neu zu evaluieren. Hier muss ich leider sagen, dass weder der erste noch der zweite Zweck ausreichend erfüllt wurden.

By Manuela von Papen

Reported by Author

Titel:
Zifonun, Gisela: Das Deutsche als europäische Sprache. Ein Porträt. Berlin: de Gruyter, 2021. -- ISBN 978-3-11-061615-6. 355 Seiten, € 32,00 [Open Access unter https://www.degruyter.com].
Autor/in / Beteiligte Person: Papen, Manuela von
Link:
Zeitschrift: Info DaF: Informationen Deutsch als Fremdsprache, Jg. 50 (2023-04-01), Heft 2/3, S. 308-311
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: review
ISSN: 0724-9616 (print)
DOI: 10.1515/infodaf-2023-0061
Schlagwort:
  • DAS Deutsche als europaische Sprache. Ein Portrat (Book)
  • ZIFONUN, Gisela
  • EUROPEAN languages
  • PORTRAITS
  • NONFICTION
  • Subjects: DAS Deutsche als europaische Sprache. Ein Portrat (Book) ZIFONUN, Gisela EUROPEAN languages PORTRAITS NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: German as a European language. A portrait.
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = London, / Großbritannien United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland

Klicken Sie ein Format an und speichern Sie dann die Daten oder geben Sie eine Empfänger-Adresse ein und lassen Sie sich per Email zusenden.

oder
oder

Wählen Sie das für Sie passende Zitationsformat und kopieren Sie es dann in die Zwischenablage, lassen es sich per Mail zusenden oder speichern es als PDF-Datei.

oder
oder

Bitte prüfen Sie, ob die Zitation formal korrekt ist, bevor Sie sie in einer Arbeit verwenden. Benutzen Sie gegebenenfalls den "Exportieren"-Dialog, wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden und die Zitat-Angaben selbst formatieren wollen.

xs 0 - 576
sm 576 - 768
md 768 - 992
lg 992 - 1200
xl 1200 - 1366
xxl 1366 -