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Frischzellenkur.

In: Automobil-Produktion, 2023-03-28, S. SH50- (4S.)
Online serialPeriodical

Frischzellenkur 

Nur wenige Autohersteller haben den Glauben an die Brennstoffzelle bewahrt. Der BMW iX5 Hydrogen stellt diesen Umstand infrage und könnte der Ausgangspunkt für eine neue Technologieoffenheit in Deutschland sein

yDie Brennstoffzelle: Auf euphorische Visionen folgte rasch die Ernüchterung. Abgeschrieben ist sie jedoch nicht. Im Gegenteil: BMW vernimmt eine neuerliche Aufbruchstimmung, die sich laut Entwicklungsvorstand Frank Weber mit den Impulsen bei der Elektromobilität vor über zehn Jahren vergleichen lässt. Es stünde BMW gut zu Gesicht, das technologisch Mögliche im Blick zu behalten und systemische Veränderungen zu antizipieren, so der Entwicklungschef. Anstatt ein Nachzügler zu werden, will der Premiumhersteller den Wandel aktiv gestalten – als wären die Herausforderungen der Elektromobilität nicht genug. „Wir wollen damit keineswegs von unserem BEV-Commitment ablenken", betont Weber den komplementären Aspekt. Elektro- und Wasserstoffautos müssen sich künftig ergänzen. Davon scheinen die Münchener im Gegensatz zu vielen Konkurrenten überzeugt.

Knapp acht Jahre ist es her, dass BMW einen 5er-Versuchsträger mit Brennstoffzelle präsentierte. Seither wurden lediglich Konzeptideen sowie Prototypen auf der IAA gezeigt. Der Fahrtermin mit dem neuen BMW iX5 Hydrogen fühlt sich gerade deshalb wie ein Durchbruch an. „Wir haben die volle Alltagstauglichkeit dieses Autos und speziell dieses Antriebes unter allen extremen Witterungsbedingungen in Europa nachgewiesen", erklärt Robert Halas, Project Manager BMW iX5 Hydrogen. Im Prinzip wurde in den vier Jahren Entwicklungszeit ein kompletter Serienerprobungsprozess durchlaufen, so Halas weiter. Eine weltweite Pilotflotte von unter hundert Einheiten soll nun weitere Erkenntnisse für die Serie bringen.

Der BMW iX5 Hydrogen vermittelt schon jetzt einen reifen Ersteindruck, auch wenn sei ne Markteinführung frühestens in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts vorgesehen ist. Die Basis bildet der aktuelle BMW X5 aus dem US-Werk in Spartanburg. Im Münchener Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) erhält er eine neue Bodengruppe für zwei 700-bar-Tanks aus carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK). Der größere Tank im Mitteltunnel und der kleinere unter der Rücksitzbank fassen gemeinsam sechs Kilogramm an gasförmigem Wasserstoff – genug für eine Reichweite von rund 500 Kilometern nach WLTP. Die Vorteile für Vielfahrer werden damit vor allem an der Tankstelle offensichtlich. Es ist ein Fahrzeug für Kunden, die „nicht das Leben um die Steckdose planen wollen" oder schlichtweg keine Lademöglichkeit zu Hause haben, beschreibt es Jürgen Guldner, General Program Manager Hydrogen Technology bei BMW.

Auch die Montage eint das Beste aus zwei Welten. Die Architektur ähnelt einem E-Auto, die Brennstoffzelle ersetzt den Verbrenner unter der Motorhaube. Der Elektromotor an der Hinterachse ist ein komplettes Übernahmeteil, er basiert auf der fünften eDrive-Generation, vereint E-Maschine, Getriebe sowie Leistungselektronik und bringt maximal 295 kW/401 PS auf die Straße. Über ihm sitzt die eigens entwickelte Lithium-Ionen-Batterie, die nur ein Zehntel so groß ist wie bei einem entsprechenden BEV. Kernstück ist logischerweise die Brennstoffzelle. Im Vergleich zur ersten Generation wurden unter anderem Leistungsdichte und Dauerhaltbarkeit verbessert. Für ihre kontinuierliche Leistung von 125 kW/170 PS wird die Membran in der Zelle gleichmäßig mit dem gasförmigen Wasserstoff sowie dem komprimierten, gekühlten und entfeuchteten Sauerstoff aus der Umgebungsluft versorgt. Die beiden Elemente reagieren innerhalb der 400 Zellen des Stacks und produzieren dadurch elektrischen Strom, der anschließend umgewandelt und über Hochvoltleitungen an den Antrieb weitergeleitet wird. Als Ausstoß kommt ausschließlich Wasserdampf hervor. „Es handelt sich um die derzeit leistungsstärkste Brennstoffzelle der Welt", sagt Projektmanager Robert Halas.

„Die eigentliche Zelle kommt von Toyota, das ganze System von uns", erläutert BMWs Entwicklungsvorstand Weber. Im Kompetenzzentrum für Wasserstoff in Garching werden die einzelnen Zellen schließlich zu einem Stack gestapelt und alle weiteren Komponenten montiert. Das Gehäuse wird mittels Sandgussverfahren in der Leichtmetallgießerei des Werks Landshut gefertigt. Die Mediendruckplatte, die das Gehäuse abschließt sowie dem Stack den notwendigen Wasserstoff und Sauerstoff zuführt, besteht ebenfalls aus Kunststoff- und Leichtmetallgussteilen des Standorts.

Angebot, Kosten, Infrastruktur und Ener gieeffizienz gelten seit jeher als Streitpunkte bei der Nutzung von Wasserstoff. „Es geht um weit mehr als eine Antriebsform oder ein Auto. Es geht um die Frage, wie Energie in Zukunft verteilt und bereitgestellt wird", weiß auch Frank Weber. Vor dem Hintergrund der CO2-Emissionen und Erdgasabhängigkeiten kommt dafür nur Wasserstoff infrage, der mittels Elektrolyse aus Grünstrom entsteht. Die Pyrolyse von Plastikabfällen könnte in ferner Zukunft eine Alternative darstellen.

Doch genau diesen grünen Wasserstoff wird es laut einer Prognose des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) nicht geben. Selbst im Jahr 2045 bleibe der Einsatz als Kraftstoff unwirtschaftlich, da eine geringe Preiselastizität vorherrsche. Stahlindustrie und Grundstoffchemie seien alternativlos auf große Mengen an H2-Gas oder wasserstoffbasierten Energieträgern angewiesen, weshalb die Nachfrage bei hohen Preisen konstant und der Preisdruck auf die Produzenten gering bleibt. Weber sieht in der Prämisse hingegen einen Vorteil: „Die Produktion von bezahlbarem Wasserstoff muss sowieso gelingen – und zwar nicht primär für die Mobilität." In Deutschland existieren derzeit knapp 100 Wasserstofftankstellen. Damit ist man hierzulande europäischer Vorreiter, ausreichen wird diese Zahl aber bei Weitem nicht.

Die Kostenfrage ist ebenfalls strittig, vor allem weil parallel der Ausbau der Ladeinfrastruktur zu bewältigen ist. Für Weber ist klar, dass Wasserstoff über den Schwerlastverkehr ohnehin in die Mobilität gelangen wird. Die daraus resultierende Infrastruktur müsste nur Pkw-tauglich sein und sukzessive ausgeweitet werden. Mehrkosten, die seines Erachtens in keinem Verhältnis zu denen des vollständigen Hochlaufs der Elektromobilität stehen. „Das ist ein bisschen gegen die Intuition. Es ist eben nicht günstiger, wenn man bei einem System bleibt", prognostiziert Weber in Einklang mit Studien des Forschungszentrums Jülich und den Beratern von McKinsey. Die Investitionen in den Ausbau des Stromnetzes würden demnach mit der Anzahl der E-Autos nichtlinear ansteigen und für weitaus höhere Gesamtkosten sorgen.

Bleibt die Kritik an der Energieeffizienz. Zweifelsohne, der Wirkungsgrad eines Brennstoffzellenautos liegt aufgrund der Elektrolyse, des Transports und der Umwandlung weit unter dem eines reinen E-Fahrzeugs. Der Vergleich zum Verbrenner fällt je nach Kraftstoff nicht so drastisch aus. Aus Sicht des Autobauers werden die Wandlungsverluste durch den höheren Ertrag bei der Energiegewinnung ausgeglichen. Immerhin erzeugen Windräder und Solarpanels in Deutschland nur einen Bruchteil dessen, was sie unter „e x-tremen" Wetterbedingungen imstande wären. Unter Umständen gehe hierzulande gar Grünstrom verloren, weil das Netz ausgelastet sei, moniert Guldner.

Dies eröffnet Chancen f ür windreiche Regionen wie Nordschweden oder das sonnige Südspanien. Afrika sowie der Nahe und Mittlere Osten würden aus einem Solarpanel gar so viel herausholen, dass die Effizienzdiskrepanz zum E-Auto nahezu aufgehoben sei, folgert Guldner aus einer anderen McKinsey-Studie. Bei derart weiten Distanzen sei allerdings nur der Transport über Wasserstoff möglich, so der Experte. Dies wäre eine der effizientesten Möglichkeiten, erneuerbare Energien zu speichern und zu transportieren, bekräftigt auch BMW-Chef Oliver Zipse. „Wasserstoff ist das fehlende Puzzleteil für emissionsfreie Mobilität, denn eine einzige Technologie wird nicht ausreichen, um klimaneutrale Mobilität weltweit zu ermöglichen." Energieeffizienz sei somit nicht alles.

Es liegt auf der Hand, dass durch Wasserstoffimporte aus Ländern wie Saudi-Arabie n neue Abhängigkeiten entstehen, die von fossilen Rohstoffen allzu gut bekannt sind. Wenngleich die Liste potenzieller Handelspartner wohl wesentlich länger wäre. Betrachtet man nicht nur den Kraftstoff, sondern auch die Produktion, spielt die Brennstoffzelle gegenüber reinen Elektroautos genau in diesem Punkt ihre Stärken aus. „Wie auch immer sie mit der Chemie spielen, bei der Elektromobilität sind hohe Rohstoffeinsätze vonnöten", betont Frank Weber. Um Silizium und Wasser ist es grundsätzlich besser bestellt, was für die Kombination aus Photovoltaik und Brennstoffzelle sprechen könnte. Am komplementären Gedanken mit der Elektromobilität lässt Weber dennoch keinen Zweifel aufkommen: „Es läuft sich besser auf zwei Be inen."

Redakteur: Fabian Pertschy

»Wasserstoff ist das fehlende Puzzleteil für emissionsfreie Mobilität, denn eine einzige Tech...

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Graph: Oliver Zipse, Vorstandsvorsitzender von BMW

Graph: Mit dem iX5 Hydrogen wurde in vier Jahren Entwicklungszeit ein kompletter Serienerprobungsprozess durchlaufen

Graph: Im iX5 Hydrogen werden eine Bodengruppe und zwei Wasserstofftanks verbaut

Graph: Elektro- und Wasserstoffautos müssen sich künftig ergänzen, betont der Vorstand für Entwicklung Frank Weber

Graph: Fotos: BMW

Titel:
Frischzellenkur.
Zeitschrift: Automobil-Produktion, 2023-03-28, S. SH50- (4S.)
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 0934-0394 (print)
Schlagwort:
  • HYDROGEN cars
  • BAYERISCHE Motoren Werke AG
  • GREEN fuels
  • CHEMICAL industry
  • ENERGY consumption
  • FUEL cells
  • ELECTRIC automobiles
  • GERMANY
  • Subjects: HYDROGEN cars BAYERISCHE Motoren Werke AG GREEN fuels CHEMICAL industry ENERGY consumption FUEL cells ELECTRIC automobiles
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Fresh cell treatment.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Geographic Terms: GERMANY
  • Full Text Word Count: 1264

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