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Uwe Danker (Hrsg.), Geteilte Verstrickung: Elitenkontinuitäten in Schleswig-Holstein. 2 Teilbde. Husum, Husum Verlag 2021.

Freund, Nadine
In: Historische Zeitschrift, Jg. 316 (2023-04-01), Heft 2, S. 390-392
Online academicJournal

Uwe Danker (Hrsg.), Geteilte Verstrickung: Elitenkontinuitäten in Schleswig-Holstein. 2 Teilbde. Husum, Husum Verlag 2021 

Uwe Danker, Geteilte Verstrickung: Elitenkontinuitäten in Schleswig-Holstein. 2 Teilbde. 2021 Husum Verlag Husum, 978-3-96717-061-0, € 59,95

2014 erschien der von Uwe Danker und Sebastian Lehmann-Himmel herausgegebenen Sammelband „Landespolitik mit Vergangenheit", der über personelle und strukturelle Kontinuitäten der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive informiert. Das hier rezensierte Werk wurde als Anschlussstudie vom Landtag in Auftrag gegeben und sollte sich an der Methodik der Vorgängerstudie orientieren. Das Team um Danker untersuchte für die vorgestellte Studie verschiedene „Führungsgruppen" der 1950er/60er Jahre auf Kontinuitäten zur NS-Zeit. Referenzrahmen für die Aufsätze der 15 am Projekt beteiligten Forscher*innen war eine zweistufige Typisierung von Biografien mit NS-Bezug in Form von vier „Gruppen", innerhalb derer insgesamt 20 „Typen" ausdifferenziert wurden. Untersucht wurden insgesamt 482 Personen.

Der (nicht rein) quantitative Forschungsansatz der Projektgruppe führt keineswegs zu einem Mangel an Lesbarkeit oder Verständlichkeit der vorgestellten Ergebnisse. Vielmehr bietet der umfangreiche Apparat an Tabellen, Statistiken und Schaubildern erhellende Einblicke, zumal die auf diese Weise veranschaulichten Daten in einer ausführlichen Darstellung der Gesamtergebnisse des Projekts (Abschnitt IV) in ihrer Bedeutung erklärt werden.

Danker macht die verschiedenen Zugänge und Arbeitsanteile der beteiligten Autor*innen transparent und bettet die Einzelbeiträge breit ein. Auf die „Einführenden Hinweise zum Projekt" folgen im Abschnitt I „Rekonstruierte Eliten" gut 270 Seiten Überblick zu den Voraussetzungen und dem Studiendesign. In Abschnitt V sind „Anfügungen" Sebastian Lotto-Kusches und Stephan Alexander Glienkes über den Forschungsstand von NS-Kontinuitätsstudien, über Strategien bezüglich der Erhebung von und dem Umgang mit Personenstandsdaten sowie ein Kapitel über Recherchestrategien in Archiven den Einzelbeiträgen nachgeordnet. Diese Rahmung verleiht dem Band einen lehrbuchartigen Charakter. Er bietet Nachwuchswissenschaftler*innen Hilfestellung für die Operationalisierung von Forschungsfragen und Anregungen für Folgestudien – unabhängig davon, ob man die zu Grunde gelegte Typologie goutiert.

Aus den 15 Einzelstudien stechen einige hervor, die in ihrer Anlage, verglichen mit anderen ‚Aufarbeitungsstudien', ungewöhnlich sind. Die Beiträge im Abschnitt II „Landespolitische Kultur", fragen, wie Regierungen und Landtag in Schleswig-Holstein nach 1945 mit dem Thema NS-Vergangenheit umgingen. Der Aufsatz Jürgen Webers reicht dabei bis in die 1990er Jahre. Diskursanalytisch angelegt ist der Beitrag von Karl Piosecka. Er zeigt, wie sehr der Begriff „Demokratie" noch zu Beginn der 1960er Jahre „ex negativo" (S. 461) in Bezug auf den Nationalsozialismus mit Bedeutung gefüllt wurde und kaum von einem positiven Gehalt an sich geprägt war. Dass Piosecka zu dem Schluss kommt, die Verwendung bestimmter Begriffe durch Landtagsabgeordnete lasse keine Rückschlüsse auf ihre Haltung zum NS-System in seiner Zeit zu, ist bemerkenswert. Viele Begriffe dienten als Hohlformeln, die mit sehr unterschiedlichem Bedeutungsgehalt gefüllt werden konnten. Dieses Ergebnis zeigt auch die Grenzen der Aussagekraft auszählender Verfahren auf.

Erfreulicherweise beschränkt sich der Band nicht auf die Darstellung der Handlungsspielräume von politischen und Verwaltungseliten. Der Großteil der personenspezifischen Untersuchungen („III. Vermessungen" A – D) entfällt auf die Bereiche „Kommunalpolitik" (A) und „Justiz" (B). „Spezifische Gruppen" (C) und „Einzelpersonen" (D) aus den Bereichen Justiz, Medizin, der landwirtschaftlichen Siedlung sowie aus dem Wissenschafts- und Kulturbetrieb sind jedoch ebenfalls Thema.

Aus Abschnitt C sticht ein Beitrag sämtlicher Frauen (fünf) im Team heraus. Er kommt zu dem Schluss, dass Karrieremöglichkeiten von Frauen während des Nationalsozialismus wesentlich von der prinzipiellen Durchlässigkeit für Frauen in der jeweiligen Berufsgruppe abhingen. Untersucht wurden Biografien aus dem Bereich der Medizin, der Polizei, dem Erziehungswesen, der Justiz und – als Ausreißer – in der Arbeiterbewegung/SPD. Aufgrund der in Frauenerwerbsbiografien üblicheren Brüche (z. B. Hausfrauenzeiten) mangelte es den Autor*innen insgesamt an systematisierbaren Quellen. Ein nach dem Danker'schen Typenmodell „exponiertes" Handeln konnten die Autorinnen dennoch für Frauen in der Weiblichen Kriminalpolizei (WKP) nachweisen. Dass sich keine Frauenbiografien finden ließen, die als „systemtragend/karrieristisch" zu bewerten wären, führen die Autor*innen auf die mangelnden Handlungsspielräume von Frauen im NS zurück. Das Typisierungsmodell erweist sich damit als nicht passgenau, um „Grundorientierungen" von Frauen im Nationalsozialisms zu bewerten.

In der Auseinandersetzung mit Medizinern, Siedlungspersonal und Wissenschafts-/Kultureliten wird deutlich, dass die Untersuchung differenziertere Ergebnisse zu Tage fördert, richtet man den Blick auf Einrichtungen, die schon vor 1933 bestanden. So waren in der „Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation (GFK)", wie Melanie Oertel und Sebastian Lotto-Kusche zeigen, völkisches Gedankengut und Vorurteile gegenüber slawischen Bevölkerungsgruppen schon in den 1920er Jahren virulent. Auch nach 1945 prägten solche Haltungen die Siedlungspolitik.

Insgesamt bleibt zu hoffen, dass Kontinuitätsstudien zukünftig das Thema NS-Belastung stärker aufbrechen und längere Linien antidemokratischen sowie völkischen Denkens zeichnen. Mit Bezug auf letzteren Aspekt leisten dies auch die Aufsätze von Marie-Theres Marx über den Museumsdirektor Kamphausen und von Robert Bohn über den Prähistoriker Jankuhn im hier vorgestellten Werk.

Demgegenüber bergen die Ergebnisse der kollektivbiographischen Studien über Kommunalpolitiker und Juristen in Dankers Band, gemessen an denen anderer Kontinuitätsstudien, kaum Überraschungen. Dass unter Juristen der Grad der NS-Belastung ausgesprochen hoch und die Strategien zur gegenseitigen Entlastung in der Berufsgruppe besonders ausgeprägt waren, ist bekannt. Dass der Anteil NS-belasteter Personen in der Politik in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zunächst weiter anstieg, ist ebenfalls ein vertrauter Befund. Augenfällig sind jedoch die Ergebnisse, die Danker und sein Team aus dem Bereich der Kommunalpolitik liefern: In den Kreisvertretungen Süderdithmarschen 1946/48 und 1955/59 war die NS-Belastung der Kommunalpolitiker hoch – anders als es im Vergleichszeitraum im Flensburger Rat und Magistrat der Fall war. Die Autor*innen führen Letzteres auf „eine eigensinnige dänische Minderheit" sowie ein „selbstbewusstes Bürgertum" zurück (S. 954).

Dass Dankers Forschungszugang vor dem Hintergrund seiner auch vom Politikbetrieb und von der Vermittlungsarbeit geprägten Vita stark normativ geprägt ist, ist nicht kritikabel. Allein die an einigen Stellen stark wertenden Beschreibungen der Erkenntnisse (z. B. „beklemmend", „verstörend", S. 960) wirken störend. Dem Wert des Gesamtwerks tut dies jedoch keinen Abbruch.

By Nadine Freund

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Titel:
Uwe Danker (Hrsg.), Geteilte Verstrickung: Elitenkontinuitäten in Schleswig-Holstein. 2 Teilbde. Husum, Husum Verlag 2021.
Autor/in / Beteiligte Person: Freund, Nadine
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 316 (2023-04-01), Heft 2, S. 390-392
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: academicJournal
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2023-1052
Schlagwort:
  • GETEILTE Verstrickung: Elitenkontinuitaten in Schleswig-Holstein.
  • DANKER, Uwe
  • CONTINUITY
  • NONFICTION
  • SCHLESWIG-Holstein (Germany)
  • Subjects: GETEILTE Verstrickung: Elitenkontinuitaten in Schleswig-Holstein. DANKER, Uwe CONTINUITY NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Uwe Danker (ed.), Shared Entanglement: Elite Continuities in Schleswig-Holstein. 2 part vols. Husum, Husum Verlag 2021.
  • Language: German
  • Document Type: Video Game Review
  • Geographic Terms: SCHLESWIG-Holstein (Germany)
  • Author Affiliations: 1 = Gedenkstätte KZ-Außenlager, Braunschweig-Schillstraße, Braunschweig,, 38102, Germany.

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