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Oliver Pilz, Kulte und Heiligtümer in Elis und Triphylien. Untersuchungen zur Sakraltopographie der westlichen Peloponnes. Berlin/Boston, De Gruyter 2020.

Scharff, Sebastian
In: Historische Zeitschrift, Jg. 316 (2023-04-01), Heft 2, S. 416-419
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Oliver Pilz, Kulte und Heiligtümer in Elis und Triphylien. Untersuchungen zur Sakraltopographie der westlichen Peloponnes. Berlin/Boston, De Gruyter 2020 

Oliver Pilz, Kulte und Heiligtümer in Elis und Triphylien. Untersuchungen zur Sakraltopographie der westlichen Peloponnes. 2020 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston, 978-3-11-060832-8, € 119,95

Demeter und Kore (neben Herakles) als Hauptgottheiten des elischen Gymnasions, Sosipolis als oberste Schwurgottheit, ein Grenzmarkt im Heiligtum der Artemis Limnatis bei Kombothekra – manchmal sind es gerade die unscheinbaren Details, die den Leser direkt in ihren Bann ziehen. Bliebe es in der aus einer Mainzer Habilitationsschrift hervorgegangenen Studie aus der Feder von Oliver Pilz allerdings bei einer summarischen Auflistung solcher Besonderheiten der elischen (und triphylischen) Polisreligion(en), wäre dies zwar im Detail durchaus verdienstvoll, insgesamt aber nicht geeignet, unser Bild wesentlich zu modifizieren. Doch fragt Pilz nach der Bedeutung der elischen Kultpolitik und ordnet diese überzeugend in einen größeren Zusammenhang ein.

Nach der Einleitung (S. 1–25) gibt es je ein Kapitel zur koile Elis (S. 27–202), zur Pisatis (S. 203–225) und zu Triphylien (S. 227–385); das Schlusskapitel (S. 387–401) bietet eine Synthese. Da der Fokus der bisherigen – v. a. der deutschsprachigen – Forschung auf Olympia einen Hauptgrund für die geringe Beachtung von Elis darstelle, sei es folgerichtig, dieses ‚panhellenische' Heiligtum in der Untersuchung zunächst beiseitezulassen und sich stattdessen auf das nähere und weitere kultische Umfeld von Olympia zu beschränken. Dabei geht der Autor von einer „aktiv von den Eleern betriebenen Kultpolitik" (S. 3) aus, weshalb die Beziehungen zwischen Elis und Olympia eben keine Zufallsprodukte darstellten, sondern als Ergebnis politischer Entscheidungen zu deuten sind – ein Ansatz, der durch die Forschung der letzten Dezennien gedeckt ist. Methodisch wird eine kombinatorische Analyse angestrebt, bei der über die longue durée alle einschlägigen Quellen Berücksichtigung finden, auch die Berichte früher Griechenlandreisender. Der Autor thematisiert die Lücken in der Überlieferung wohltuend offen, verweist aber zugleich auf die umfangreiche Feldforschung, die eine Synthese heute erst ermöglicht.

Das erste Kapitel des Hauptteils beschäftigt sich zunächst mit den stadt-elischen Kulten, dann mit denen in der Chora und geht schließlich auf nicht lokalisierte Kulte ein. In Bezug auf die asty gelingt es Pilz nach einer Analyse des nur rudimentär erhaltenen elischen Kalenders, neben Zeus und Hera auch Dionysos und Athena als Hauptgottheiten der Polis Elis auszumachen. Zusammen mit weiteren 15 Gottheiten und einigen Heroen bildeten sie ein elisches Pantheon, von dessen Kulten allerdings keiner vor der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. bezeugt ist ‒ ein weiteres Indiz für das Fehlen einer größeren Siedlung vor dem Synoikismos von 471/70. Daher lässt sich plausibel vermuten, dass die in vielerlei Hinsicht offenbar eigenständigen Demen im unmittelbaren Umkreis der Stadt Elis vor dem Synoikismos über eigene Kulttraditionen verfügten.

Dass das folgende Kapitel zur Pisatis deutlich kürzer geraten ist, liegt nicht zuletzt an der Quellenlage: Zur Zeit der Abfassung der literarischen Hauptquellen Strabon und Pausanias war der Landstrich offenbar nur noch spärlich bevölkert. Zudem ist die Zahl der materiellen Zeugnisse äußerst überschaubar: Das einzige archäologisch nachweisbare Heiligtum besteht aus einem Tempel einer nicht identifizierten Gottheit südlich des modernen Dorfes Salmoni. Zahlreiche Keramikfunde deuten auf eine größere Siedlung hin, für die eine Identifizierung mit dem antiken Dyspontion erwogen wird. Indem der Autor alle Zeugnisse minutiös zusammenträgt und eingehend analysiert – unter den Einzelfunden ragt ein Sprunggewicht mit einer spätarchaischen Weihinschrift für Athena aus der Nähe des Dorfes Kavkania heraus –, gelingt ihm eine Dokumentation des Status quo der pisatischen Kulttopographie.

Für das dritte Großkapitel des Hauptteils (Heiligtümer und Kulte Triphyliens) sprudeln die Quellen schon reichlicher, so dass die sakrale Topographie elf verschiedener Siedlungen in Teilen rekonstruiert werden kann. Als Besonderheit wird dabei die kultische Nähe zwischen Demeter und dem sonst mit Ausnahme von Elis überhaupt sehr selten kultisch verehrten Hades herausgearbeitet (Hypana, Samikon). Das aus archäologischer Sicht am besten bezeugte Heiligtum Triphyliens stellt dasjenige der Artemis Limnatis bei Kombothekra dar, für das eine Analyse der Veränderungen in der Weihpraxis im Heiligtum möglich ist.

Das letzte Kapitel „Elis – Olympia – Triphylien" (S. 387–401) ist für Althistoriker von besonderem Interesse, da der Autor hier die Kulttraditionen dieser Landschaften auswertet und die Grundzüge der Kultpolitik der Eleer in den von ihnen unterworfenen Gebieten analysiert. Dabei kommt Olympia dann doch wieder eine zentrale Rolle zu, denn es geht zunächst um eine aktiv von den Eleern betriebene Anbindung des Heiligtums an ihr Gemeinwesen. Dieser Aspekt spiegelt sich auch in der Repräsentation elischer Sieger in Olympia wider, die sich anders als andere Athleten im Rahmen ihrer Selbstdarstellung mit Vorliebe ihrer in der asty ausgeübten Polisämter rühmten (s. Rez., Hellenistic Athletes. Agonistic Cultures and Self-Presentation, Cambridge [im Druck]). Da Olympia ziemlich weit von Elis entfernt lag (über die wichtigsten Verbindungen mehr als 50 km) und wahrscheinlich im ausgehenden 6. Jahrhundert, also vor dem Synoikismos, unter elische Kontrolle geriet, als die Eleer noch nicht über ein entsprechendes urbanes Zentrum verfügten, bedurfte es umso mehr der Mechanismen einer politisch-administrativen Einbindung des Heiligtums in das Gemeinwesen. Solche Mechanismen macht der Verfasser, einem Teil der bisherigen Forschung folgend, in der Aufstellung elischer Dekrete und Staatsverträge in der Altis und der Errichtung von typischen Polisgebäuden – wie Buleuterion und Prytaneion – im Heiligtum aus. Er vermag sakrale Reflexe dieser Bemühungen in der Kultpolitik nachzuweisen: So sind Zeus und Hera eben nicht von Anfang an als die alleinigen Schutzgottheiten der Polis Elis anzusehen – diese Rolle kam zunächst insbesondere Dionysios und wohl auch Athena zu –, sondern sie traten als elische Polisgottheiten am Ende des historischen Prozesses der Anbindung Olympias hervor. Im Zuge dieses Prozesses wurde zudem eine alte elische (Dionysos) mit einer ursprünglich auf Olympia bezogenen Gottheit (Hera) durch ein für beide zuständiges Priesterkollegium (der Sechzehn Frauen) assoziiert. An dieser Stelle gelingt Pilz der Nachweis, dass es sich um eine absichtsvoll betriebene Kultpolitik der Eleer handelte, für die auch andere Beispiele aus dem elischen Pantheon (Sosipolis, Demeter) angeführt werden, die dem Rezensenten allerdings nicht alle gleich plausibel erscheinen. Deutlicher zeigt sich die kultische Anbindung Olympias an Elis im Bereich der Infrastruktur und der Prozessionen, vielleicht auch des Ritus. Mit Recht weist der Autor selbst darauf hin, dass der Verlauf dieses Prozesses kaum zu greifen und fast ausschließlich von dessen Endprodukt her zu fassen ist: einer „kultische(n) Symbiose zwischen Stadt und extraurbanem Heiligtum".

Dass die elische Kultpolitik aggressiv gehandhabt wurde, macht Pilz im Bereich der Kulttransfers plausibel: Als Beispiel führt er die aktiv betriebene Einführung der Artemis Eliphaia (anstelle von Artemis Alpheiaia) in Letrinoi an; sie zielte wohl darauf, die Identität der Letrinäer zu schwächen. Wenn zugleich das Kultbild Poseidons aus dem Bundesheiligtum der Triphylier bei Samikon nach Elis überführt wurde, hatte dies wohl ebenfalls eine „repressive Tendenz".

In Bezug auf Triphylien besteht das Verdienst des Autors weniger im Nachweis einer aktiven Kultpolitik als vielmehr darin, die Verbreitung der Verehrung einiger Gottheiten minutiös herausgearbeitet zu haben, die von rein lokal über nord- (Athena) bis pantriphylisch (Poseidon Samios, Zeus, Demeter) reichen konnte. Dass der Verfasser seine Ergebnisse am Ende unter den Vorbehalt ausstehender Publikationen des Antikendienstes stellt, schmälert nicht den Wert der Arbeit, sondern ehrt den Autor, der für seinen souveränen Umgang mit ganz unterschiedlichen Quellenzeugnissen zu loben ist. Leider fehlt eine Bibliographie. Doch aufs Ganze betrachtet hat Oliver Pilz ohne Frage ein wichtiges Werk vorgelegt, das eine Forschungslücke schließt und zugleich Ausdruck und Resultat eines neu erwachten Interesses an Elis darstellt. Wenn man im Einzelfall gelegentlich gerne noch mehr wüsste (wie z. B. in Bezug auf die Fundierung der elischen Kultpolitik im Mythos), ist dies nicht dem Autor anzulasten, sondern der Quellenlage geschuldet. Oliver Pilz' Studie wird in Zukunft ohne Zweifel breit rezipiert werden.

By Sebastian Scharff

Reported by Author

Titel:
Oliver Pilz, Kulte und Heiligtümer in Elis und Triphylien. Untersuchungen zur Sakraltopographie der westlichen Peloponnes. Berlin/Boston, De Gruyter 2020.
Autor/in / Beteiligte Person: Scharff, Sebastian
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 316 (2023-04-01), Heft 2, S. 416-419
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2023-1065
Schlagwort:
  • KULTE und Heiligtumer in Elis und Triphylien: Untersuchungen zur Sakraltopographie der westlichen Peloponnes (Book)
  • PILZ, Oliver
  • TOPOGRAPHY
  • NONFICTION
  • TRIPHYLIA (Greece)
  • Subjects: KULTE und Heiligtumer in Elis und Triphylien: Untersuchungen zur Sakraltopographie der westlichen Peloponnes (Book) PILZ, Oliver TOPOGRAPHY NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Geographic Terms: TRIPHYLIA (Greece)
  • Author Affiliations: 1 = Università di Trento, Trento,, 38122, Italy.

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