Zum Hauptinhalt springen

Reinhard Zöllner, Wahrheitseffekte und Widerstreit. Die »Trostfrauen« und ihre Denkmäler, München: Iudicium 2021, 160 S. (= ERGA. Reihe zur Geschichte Asiens, 20), EUR 18,00 [ISBN 978‑3‑86205‑221‑9].

Krebs, Gerhard
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 82 (2023-04-01), Heft 1, S. 243-246
Online review

Reinhard Zöllner, Wahrheitseffekte und Widerstreit. Die »Trostfrauen« und ihre Denkmäler, München: Iudicium 2021, 160 S. (= ERGA. Reihe zur Geschichte Asiens, 20), EUR 18,00 [ISBN 978‑3‑86205‑221‑9] 

Reinhard Zöllner, Wahrheitseffekte und Widerstreit. Die »Trostfrauen« und ihre Denkmäler, München : Iudicium 2021, 160 S. (= ERGA. Reihe zur Geschichte Asiens, 20), EUR 18,00 [ISBN 978‑3‑86205‑221‑9]

Seit etwa 30 Jahren belastet das Problem der »Trostfrauen« (japanisch: Ianfu), das heißt Zwangsprostituierter für das japanische Militär auf den Kriegsschauplätzen in China und anderen Regionen Asiens 1932–1945, Tokyos Beziehungen zu seinen Nachbarn, besonders zu Südkorea. Etwa ebenso lange beschäftigt sich Reinhard Zöllner mit dem Thema und legt nun eine sorgfältig recherchierte Monografie vor. Hervorzuheben ist vor allem die Auswertung umfangreicher Quellen in japanischer Sprache.

Anfangs leugnete die Tokyoter Regierung, dass die Frauen zu sexuellen Dienstleistungen gezwungen worden waren, und behauptete stattdessen, sie hätten sich aus finanziellen Gründen anwerben lassen und daher freiwillig zur Verfügung gestellt. Die Tatsache, dass die Opfer fast 50 Jahre geschwiegen hatten, nach eigener Aussage aus Scham, machte es zunächst leicht, an ihrer Glaubwürdigkeit Zweifel anzumelden.

Japan begann 1932, für sein in China stationiertes Militär »Troststationen« einzurichten und dafür Frauen aus dem Mutterland, darunter auch dort lebende Koreanerinnen, de jure also japanische Staatsbürgerinnen, heranzuziehen, so dass kein Unterschied gemacht wurde. Nach dem 1937 voll ausgebrochenen Krieg gegen China stieg die Nachfrage, sodass in großem Umfang hauptsächlich die Kolonien Korea und Taiwan sowie besetzte Gebiete in China zur Rekrutierung dienten. Neben dem Ziel, die eigenen Soldaten bei Laune zu halten, stand dahinter die Absicht, eine Gesundheitskontrolle durchzuführen. Die »Troststationen« wurden oft privat unterhalten, u. a. durch Koreaner, die auch für die Entlohnung zuständig waren, sodass die japanische Regierung in den 1990er Jahren über einen längeren Zeitraum den staatlichen Charakter der Einrichtungen zu leugnen und sich von der Betreibung zu distanzieren versuchte. Die Inanspruchnahme der Dienste der Prostituierten war kostenpflichtig, und die Höhe der Bezahlung für die sexuelle Dienstleistung war je nach Rang der Soldaten gestaffelt. Mit der Ausweitung der eroberten und besetzten Gebiete wurden neben den Koreanerinnen, die für die gesamte Kriegsdauer das größte Kontingent stellten, auch Frauen aus Südostasien und China immer stärker einbezogen. Zöllner weist nach, dass im ehemaligen Niederländisch-Ostindien, dem heutigen Indonesien, auch Europäerinnen dazu gehörten.

Die Situation im burmesischen Myitkyna erhält ein eigenes Unterkapitel. Die britische Kolonie war 1942 von japanischen Truppen erobert worden, die aber 1944 durch amerikanisch-chinesische Gegenoffensiven unter Druck gerieten. Der Fall dieser Stadt erregte die besondere Aufmerksamkeit, da dort durch die Sieger erstmals »Trostfrauen« aufgegriffen und befragt wurden. Als Dolmetscher dienten Amerikaner mit Kenntnis der japanischen Sprache, die aber von den vorgefundenen Koreanerinnen kaum beherrscht wurde, sodass wiederum Übersetzer vom Japanischen ins Koreanische erforderlich waren. Nun gelangten Berichte über die Zwangsprostitution in die alliierte Presse und konnten für Propagandazwecke genutzt werden, doch zeigt der Autor auf, dass das Interesse der USA an dem Problem nach Kriegsende schlagartig endete. Den Hauptgrund dafür sieht er darin, dass die Amerikaner in der Besatzungszeit in Japan und Korea auch eine Art »Trostfrauen« »brauchten« und sich mitunter »ins gemachte Nest« setzten, besetzt mit Frauen aus Japan und dessen ehemaligen Kolonien. Die Tokyoter Regierung war mit der Organisierung dieser »Recreation and Amusement Association« beflissen kooperativ und konnte dazu auf alten Erfahrungen aufbauen. Der Aufklärung im Nachkriegsjapan und in der Geschichtsschreibung war diese Tatsache alles andere als förderlich. Parallel dazu, nicht frei von einer gewissen Ironie, zwang die amerikanische Siegermacht den Japanern im Namen der Demokratisierung die Emanzipation der Frau auf.

Ein eigenes Unterkapitel erhält auch Shanghai, das weitgehend unter internationaler Kontrolle gestanden hatte, aber 1937 von den Japanern erobert worden war. Unverzüglich wurden dort die berüchtigten Etablissements installiert. Eine Besonderheit liegt in der Übernahme der Stadt durch die Kuomintang-Truppen 1945, die den aufgegriffenen Frauen eine gewisse Fürsorge zukommen ließen und ihr Schicksal publik machten. Diese, sämtlich Koreanerinnen, konnten in ihre Heimat zurückgeführt werden. Erst mehr als ein halbes Jahrhundert später machten sie wieder Schlagzeilen, als Namenslisten von ihnen mit über 800 Einträgen auftauchten.

Der Autor führt Beispiele an, dass die »Trostfrauen« in der frühen Nachkriegszeit in Romanen, Filmen und Theaterstücken am Rande auftauchten, behindert aber durch die Zensur der Amerikaner. Denen war das Image der »Geishas des Captain Fisby« lieber, die im Roman und durch Hollywood entsprechend verklärt, romantisiert und verkitscht wurden.

Im Zusammenhang des zäh ausgehandelten japanisch-südkoreanischen Grundlagenvertrags von 1965 zur Normalisierung der Beziehungen musste sich Tokyos Außenminister, übrigens der namentlich nicht genannte Shiina Etsusaburō, zwar eine Entschuldigung für die Leiden unter der Kolonialherrschaft abringen lassen, aber das Schicksal der »Trostfrauen« blieb dabei ausgeklammert. Als wenig später Transportminister Arafune Seijurô von über 140 000 ums Leben gekommenen Zwangsprostituierten sprach, hatte seine politische Karriere nicht mehr lange Bestand.

Die nach Abschluss des Grundlagenvertrags einsetzende boomartige wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern führte zu zahlreichen Reisen japanischer Geschäftsleute in das Nachbarland, deren Besuche auch dem Sex-Tourismus dienten, die Kritik japanischer und koreanischer Frauenverbände hervorriefen und eine Wiederbelebung des Themas »Trostfrauen« zur Folge hatten. Einzelne Journalisten, auch aus Japan, schlossen sich an, doch konnte von einer Massenbewegung noch nicht die Rede sein. Ab etwa 1990 aber taten sich Bürgerbewegungen beider Länder und in Japan lebende Koreanerinnen zusammen, um von der Tokyoter Regierung Entschädigung und Entschuldigung für die Opfer zu verlangen. Einzelne Unterhausabgeordnete schlossen sich an. Die Regierung aber wiegelte ab und brachte zaghaft Argumente vor, die besagten Frauen seien von privaten Unternehmen angeheuert worden und man habe keine belastbaren Quellen zur eventuellen Beteiligung von Staatsorganen finden können. Sie versprach aber Aufklärung und rang sich erste Entschuldigungen ab. Zunehmend outeten sich ehemalige »Trostfrauen« und es kam zu ersten Prozessen um Entschädigungszahlungen, unterstützt von prominenten Autoren, Politikern, Historikern und Menschenrechtlern aus Japan und den USA. Zögerlich räumte die japanische Regierung schließlich in dem Abschlussbericht vom 4. August 1993 ein, die meisten »Troststationen« seien zwar von privaten Unternehmen betrieben worden, aber in einigen Gebieten auch vom Militär direkt. Noch aber wurden Entschädigungen mit Hinweis auf den Grundlagenvertrag von 1965 abgelehnt, wonach die Ansprüche der beiden Unterzeichnerländer vollständig und endgültig geregelt seien. Die unter Druck geratene japanische Regierung, nun unter dem Sozialisten Murayama Tomiichi, gründete im Juli 1995 aber eine ,»Stiftung für die Frauen Asiens«, finanziert vor allem durch den japanischen Staat. Bis 1997 wurden mehr als fünf Milliarden Yen ausgezahlt (ca. 41 Millionen Euro), d. h. jeweils zwei Millionen Yen (16 400 Euro) an 285 Frauen aus Korea, Taiwan und den Philippinen. Außerdem erhielt jede der Frauen einen persönlichen Entschuldigungsbrief des japanischen Premierministers. Aktivistische Koreanerinnen kritisierten allerdings, dass die Zahlungen als Sühnegeld deklariert wurden und nicht als rechtlich zu beanspruchende Entschädigung und dass das Geld nicht von der japanischen Regierung direkt kam. Außerdem erlaubten sich spätere Regierungen Japans einen Rechtsruck und gingen wieder auf Abstand zu der reuigen Haltung, sodass der Streit wieder aufflammte. Ohnehin herrschte – so der Autor – eine gewisse »Entschuldigungsmüdigkeit«, und nationalistische Organisationen nahmen ihre Leugnungskampagnen wieder auf.

Als Unterstützer der »Trostfrauen« 2011 vor der japanischen Botschaft in Seoul die Bronzestatue eines jungen Mädchens aufstellten und der südkoreanische Präsident die Errichtung weiterer Denkmäler androhte, um erneute Entschädigungszahlungen zu erreichen, berief Tokyo seinen Botschafter ab. Ein Jahr später erklärte sich Japan zu zusätzlichen Geldzuwendungen bereit und kaufte gewissermaßen die Statue weg. Als bald darauf ein derartiges Denkmal vor dem japanischen Generalkonsulat in Pusan, einer Stadt ganz im Süden des Landes, auftauchte, rief Tokyo erneut seinen Botschafter und nun auch den Generalkonsul zurück. Ein geradezu inflationärer Boom an aufgestellten Statuen aber ließ sich nicht verhindern. Zöllner zählt bis 2020 in Korea 85 davon, in den USA neun, in Deutschland vier, auf den Philippinen drei, in Japan, China und Taiwan je zwei sowie in Kanada und Australien je eine. Das offizielle Japan drohte in mehreren Fällen mit »Liebesentzug«. Als der Oberbürgermeister von Freiburg/Br., Dieter Salomon von den Grünen, die Aufstellung einer Statue zusagte, drohte die Stadt Matsuyama mit der Beendigung des langjährigen Partnerschaftsverhältnisses und erreichte die Rücknahme des Planes. Genauso verlief die Angelegenheit in Los Angeles auf Druck der Partnerstadt Osaka. Eine für Bonn geplante Statue landete schließlich in Berlin, aufgestellt im Oktober 2020 unweit des Büros des Korea-Verbandes. Nach dem Abschluss von Zöllners Manuskript aber ging die unendliche Geschichte weiter: Japan übte auf den Berliner Senat und das Auswärtige Amt Druck aus, setzte sogar für den Abbau einen kurzfristigen Termin und erreichte, dass das zuständige Bezirksamt die Genehmigung zur Aufstellung des Denkmals kleinlaut zurückzog, um »diplomatische Probleme auszuräumen«. Proteste gegen den Stimmungsumschwung verhallten wirkungslos.

Zöllner folgt bei der Nennung von Namen der japanischen Weise, d. h. der Familienname steht an erster Stelle, verstößt aber selbst mehrmals gegen diese selbst gewählte Regel (S. 5, 77). Man hätte sich vielleicht auch einen Vergleich gewünscht, wie diese Art von »Truppenbetreuung« im Militär anderer kriegführender Nationen im Zweiten Weltkrieg organisiert war.

By Gerhard Krebs

Reported by Author

Titel:
Reinhard Zöllner, Wahrheitseffekte und Widerstreit. Die »Trostfrauen« und ihre Denkmäler, München: Iudicium 2021, 160 S. (= ERGA. Reihe zur Geschichte Asiens, 20), EUR 18,00 [ISBN 978‑3‑86205‑221‑9].
Autor/in / Beteiligte Person: Krebs, Gerhard
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 82 (2023-04-01), Heft 1, S. 243-246
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2023-0046
Schlagwort:
  • ZOLLNER, Reinhard
  • MONUMENTS
  • ARCHITECTURE
  • NONFICTION
  • Subjects: ZOLLNER, Reinhard MONUMENTS ARCHITECTURE NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Berlin, Germany
  • Full Text Word Count: 1437

Klicken Sie ein Format an und speichern Sie dann die Daten oder geben Sie eine Empfänger-Adresse ein und lassen Sie sich per Email zusenden.

oder
oder

Wählen Sie das für Sie passende Zitationsformat und kopieren Sie es dann in die Zwischenablage, lassen es sich per Mail zusenden oder speichern es als PDF-Datei.

oder
oder

Bitte prüfen Sie, ob die Zitation formal korrekt ist, bevor Sie sie in einer Arbeit verwenden. Benutzen Sie gegebenenfalls den "Exportieren"-Dialog, wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden und die Zitat-Angaben selbst formatieren wollen.

xs 0 - 576
sm 576 - 768
md 768 - 992
lg 992 - 1200
xl 1200 - 1366
xxl 1366 -