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Wer bietet mehr, oder: Wie eine Vielzahl Signaturen zustande kommt.

Blortz, Ulrich Ch.
In: Bibliotheksdienst, Jg. 57 (2023-05-01), Heft 5, S. 315-319
Online academicJournal

Wer bietet mehr, oder: Wie eine Vielzahl Signaturen zustande kommt  Who Offers More, or: How Differences in Shelf Marking Develop 

Am Beispiel des Bonner Standortes von ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften, der früheren Zentralbibliothek der Landbauwissenschaft (ZBL) wird dargestellt, wie sich eine Vielzahl von verschiedenen Signaturenarten „historisch entwickelt".

The Bonn University library location of ZB MED - Information Centre for Life Sciences – former Central Library of Agricultural Science (ZBL) – is used as an example to illustrate how a host of different types of shelf marks and signatures have "historically evolved".

Keywords: Signatur; Standnummer; Bestandsorganisation; Shelf marking; shelf mark number; library stock organization

Article Note Ulrich Ch. Blortz, Diplom-Bibliothekar, seit 1981 an der früheren ZBL, Bonn, seit 2003 bei ZB MED. Leiter der Retrodigitalisierung, außerdem in der Fachinformation, der Dokumentlieferung und beim hausinternen Wissenstransfer tätig.

ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften hat einen Standort in Bonn, der zwar der kleinere, aber dafür der ältere ist. Die dortige Bibliothek wurde 1847 zusammen mit der „Landwirtschaftlichen Lehranstalt", später „Königlich Preußischen landwirtschaftlichen Akademie" in (Bonn-)Poppelsdorf gegründet, war bis 1934 selbständig, danach Abteilungsbibliothek der Universitätsbibliothek Bonn, und wurde 1962 von der DFG zur „Zentralbibliothek der Landbauwissenschaft" (ZBL) ernannt. 1983 zog sie in einen Neubau, der auch die medizinischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Bestände der Universitätsbibliothek aufnahm und wurde 1992 in die „Blaue Liste", also die gemeinsame Finanzierung durch Bund und Länder aufgenommen. Schon 1999 beschloss jedoch der Wissenschaftsrat, diese Förderung einzustellen, und bis 2003 übernahm dann die damals noch so benannte Deutsche Zentralbibliothek der Medizin in Köln die Sammelgebiete Ernährung, Umwelt- und Agrarwissenschaften und erhielt damit ihren zweiten Standort, denn die Bestände der ehemaligen ZBL blieben, wo sie waren.

Was das mit Signaturen oder Standnummern zu tun hat? Nun, bekanntlich ist ja vieles (und auch gerade im Bibliothekswesen) „historisch gewachsen". Da gab (und gibt) es viel „Selbstgestricktes", man übernimmt zwar auch, ver(schlimm)bessert das aber gerne durch Hausregeln und dergleichen mehr. Von den üblichen „Sachzwängen" ganz zu schweigen. Und so finden sich am Bonner Standort von ZB MED (Bibliothekssigel „98") sage und schreibe 24 verschiedene Signaturenarten.

Wer bietet mehr? Aber vor allem: Wie kommt so etwas zustande?

Angefangen hat es mit einer Poppelsdorf-spezifischen Systematik (denn während des 19. Jahrhunderts waren die Bestände alle in Freihand und systematisch aufgestellt). Mit den römischen Ziffern I bis III unterteilte man die Fachgruppen „Fach-", „Grund-" und „Hilfswissenschaften". Später traten noch IV für „Schriften verschiedenen allgemeinen Inhalts" (oh je, eine „Asylstelle") und V für Nachschlagewerke und Bibliographien hinzu.

I bis III wurden mit a, b, c weiter unterteilt und diese Untergruppen teils mit arabischen Zahlen noch feiner aufgedröselt. Hinzu trat die laufende Nummer der (handgeschriebenen und vollständig erhaltenen!) Zugangsbücher, brav bei 1 angefangen und zunächst bei 15.000 endend. Diese laufenden Nummern springen allerdings in den Systemgruppen hin und her.

Voilà: Bspw. „I a 4, 6160" ist also ein Buch über Melkarbeiten, Nummer 6161 steht aber in der Systemgruppe „II c" und beschäftigt sich mit italienischen Wanderarbeitern. Usw.

Da das denn doch verwirrend war, gab es dann ab Oktober 1957 laufende Nummern für jede Systemgruppe, also bspw. 18005 kann in allen Fachgruppen vorkommen.

Bandanhänge gab es augenscheinlich nach Autopsie, so wie von den Verlagen vorgegeben: schlicht „1", „2" etc., aber auch „Band", „Bd", „Heft", aber auch „H.", „Beil(age)", „Suppl(ement)" usw. usf.

Zunächst erscheinen keine Auflagenbezeichnungen, im späteren 19. Jahrhundert traten zur Grundsignatur dann jedoch ein „+2" für die 2. oder „+4" für eine 4. Auflage.

Formate wurden anfänglich nicht berücksichtigt, allerdings Quartbände, wie es sich bei Holzregalen empfiehlt, auf den unteren Regalbrettern untergebracht. Zwischen den Oktavbänden finden sich bis heute kleine rote Stellvertreter-Pappen, die auf Quart verweisen.

Mehrfachexemplare besitzen zusätzlich zur Grundsignatur einen Kleinbuchstaben, das „a" bezeichnet also das 2. Exemplar.

So kommen dann Dinge zustande wie „4° I a 6, 18 926a +3, Bd 1, Teilb. 1, Suppl. 2". Etwas für Spezialisten!

Soweit es sich um Karten handelte, kamen die ursprünglich auf einen Kartentisch und trugen als Signatur uneinheitlich „K", „Kt" oder auch „Karte" plus laufende Nummer.

Auch Zeitschriften sind von Anfang an einfacher gekennzeichnet worden mit einem schlichten „Z" und einer laufenden Nummer, das geht also von der Nummer 1 bis heute über 9.000 so weiter.

Nachdem die Akademie 1919 in eine Landwirtschaftliche Hochschule mit Promotionsrecht umgewandelt wurde, kamen Poppelsdorfer Dissertationen ins Haus, die mit „Diss.Popp." + laufender Nummer versehen wurden. Dissertationen anderer Universitäten waren wie andere Monographien behandelt und mit den geschilderten systematischen Signaturen versehen worden. Dem wurde um 1900 ein Ende bereitet durch Schaffung von Fachgruppen mit den Bezeichnungen „A" („Ackerbau, Düngerlehre") – „X" („Verschiedenes") + laufender Nummer. Seit 1975 wurden dann aber unter, man merke: „AY" + laufende Nummer alle auswärtigen Dissertationen zusammengefasst. Dazu kamen von 1968 bis 1977 US-amerikanische Doktorarbeiten auf Mikrofilm, die aber ihre Bestellnummer (von University Microfilms International) behielten; sie befinden sich von Nummer 68-13.000 bis 77-27.620 weitgehend unbearbeitet in Mikroformenschränken ...

Mit den systematischen Signaturen konnte es auf Dauer nicht weitergehen, schon weil in manchen Systemgruppen sich nach und nach mehr als 1.000 Bände zusammenfanden, überdies der Bestand seit 1907 sowieso nur noch zum Teil unmittelbar zugänglich war. Nach einem Umzug hatte die Poppelsdorfer Bibliothek nämlich Magazinräume bekommen, und Benutzer und Benutzerinnen mussten brav bestellen, was sie brauchten.

Ausschlaggebend für die Beendigung der ursprünglichen Art der Signaturenvergabe war allerdings 1983 der Umzug in ein neues Gebäude, in dem sich die Bibliothek heute noch befindet. Dieses war von Anfang an auch zur Aufnahme der mathematisch-naturwissenschaftlichen und medizinischen Bestände (Bibliothekssigel „5N") der Bonner Universitäts- und Landesbibliothek bestimmt, die schon lange Numerus-currens-Signaturen verwendete. Diese gestalten sich wie oft anzutreffen in der Art: Jahr des Erwerbs / laufende Nummer, also z. B. 65/6565. Zur Unterscheidung der Titel, die nach Poppelsdorf gehen sollten, hatte man für diese allerdings schon ab 1971 bestimmte Zahlenkontingente reserviert, und zwar für die Medizin die Nummern > 10.000 und für die mathematisch-naturwissenschaftlichen Titel > 15.000. Schon zwei Jahre später stellte sich allerdings heraus, dass das nicht reichte, und so werden seitdem die laufenden Nummern > 20.000 bzw. > 25.000 verwendet. Hinzu treten Kontingente für Quartformate: > 2.000 bzw. 5.000.

Zeitschriften-Signaturen sehen ähnlich aus, nur mit dem Zusatz „Z". Allerdings gelangte mit Zeitungen und ihrer Standnummer „Ztg" noch eine weitere Standnummern-Spezies in die stetig wachsende „Familie".

Diese Art von N.-c.-Standnummern modifizierte man, um die Bestände der ZBL unterscheiden zu können. Hier gibt es vorne zwar auch eine Jahreszahl, an die aber unmittelbar die Formatkennung angehängt wird, so daß sich 828 oder 824, seltener auch 822 ergab, was nichts andres bedeutet als das Jahr des Erwerbs + Oktav- oder Quartformat, sporadisch auch Folio (sonst ja oft „2°"). So wird bis heute verfahren, wir sind also mittlerweile bei 238/1 und ff. (die Universitätsbibliothek machte ab 2000 die Jahreszahl vierstellig und ist dementsprechend jetzt bei 2023/25000 ff. Außerdem gibt es seit 2004 noch „W"-Standnummern, das sind „weniger wichtige" Übernahmen und Geschenke älterer Titel, ebenfalls mit laufenden Nummern > 25.000 bzw. 5.000, z. B. also „W 4' 2012/5003").

Erstmals wurde nach 1983 auch eine Lehrbuchsammlung in Poppelsdorf eingerichtet, die dortige Aufstellung nach Fachgebieten erforderte entsprechende „LBS"-Signaturen, hier mit mnemotechnischen Kürzeln, bspw. „Agr" oder „Phys", gefolgt von Buchstaben für Untergruppen (e. g. „Fj") und arabischen Zahlen.

Auch der neu eingerichtete Monographienlesesaal verlangte systematische Aufstellung und dementsprechende Signaturen. Hier werden ebenfalls mnemotechnische Kürzel wie „GART" für Gartenbau oder „ERN" für Ernährung verwendet; arabische Zahlen kennzeichnen Untergruppen; zusammen mit einer zweiten, springend vergebenen arabischen Zahl bildet das Ganze die Individual-Standnummer („ERN 2 – 3333"). Die ehemals im Lesesaal der Universitätsbibliothek aufgestellten Titel sollten eigentlich analog umsigniert werden, wie so oft in Bibliotheken fand sich aber nie Zeit dafür. Daher mag es seltsam scheinen, dass sie nach wie vor einen Teil einer alten Wissenschaftssystematik widerspiegeln, in der „P" für Geographie, „Q" für Mathematik, „R" für Naturwissenschaften und „S" für Medizin stehen (der Rest des Alphabets befindet sich nach wie vor in der Bonner Universitätsbibliothek).

Damit sind wir noch lange nicht am Ende, denn nun folgten in rascher Reihenfolge noch diverseste „Nicht-Buch-Materialien" und dergleichen: LMF („Landbauwissenschaftliche Mikrofilme"), LDS („Landwirtschaftliche Dia-Serien"), LM-Fiches, LVC („Landwirtschaftliche Video-Cassetten"), LCDisk („Landwirtschaftliche Compakt-Disk"), nicht zu verwechseln mit „LDisk", das sind die Floppy Discs seligen Angedenkens; AY/M-Fiche kennzeichnet auswärtige Dissertationen (s. o.) auf Mikrofiches. Die Universitätsbibliothek steuerte hier „nur" „MF" und „CDat" bei.

NB: Bei diesen „Nicht-Buch"-Dingen gibt es – je nach vorliegendem Material – auch nach wie vor ganz „normale" Signaturen, vor allem bei Zeitschriften; es mag also sein, das Band 11 (oder Teile davon) von Z 1111 als Mikrofilm vorliegt, aber keine eigene „LMF"-Nummer bekommen hat.

Wem das noch nicht reicht: Noch bevor die Landwirtschaftskammer (LWK) Rheinland mit der von Westfalen in Münster zusammengelegt wurde, übernahm die ZBL deren Bibliothek. Auch diese war/ist systematisch geordnet und trug/trägt Buchstabenkennungen. Daraus ergeben sich Signaturen wie „LWK Pa 70". Diese Bestände werden nach und nach in den Bestand von ZB MED am Bonner Standort eingearbeitet (und also neue N.-c.-Signaturen bekommen), was sich aber noch länger hinziehen wird.

Und bis 2021 beherbergte das Poppelsdorfer Gebäude auch die Bibliothek des Naturhistorischen Vereins (NHV) der Rheinlande und Westfalens e.V. mit zahlreichen Zeitschriften. Diese haben einfache Nummern, also bspw. „NHV 2222".

Es gibt auch noch kleinere Archivbestände plus handgeschriebenem, systematisch geordnetem Bandkatalog, aber das würde im Rahmen dieser Glosse nun doch zu weit führen.

In Abwandlung des Schlusses von Johann Peter Hebels „Seltsamer Spazierritt": So weit kann's kommen, wenn man es allen Medienarten, Eigentumsverhältnissen, Sonderstandorten usw. will recht machen.

By Ulrich Ch. Blortz

Reported by Author

Titel:
Wer bietet mehr, oder: Wie eine Vielzahl Signaturen zustande kommt.
Autor/in / Beteiligte Person: Blortz, Ulrich Ch.
Link:
Zeitschrift: Bibliotheksdienst, Jg. 57 (2023-05-01), Heft 5, S. 315-319
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: academicJournal
ISSN: 0006-1972 (print)
DOI: 10.1515/bd-2023-0040
Schlagwort:
  • UNIVERSITAT Bonn
  • LIBRARY science
  • LIFE sciences
  • ACADEMIC libraries
  • LIBRARY administration
  • Subjects: UNIVERSITAT Bonn LIBRARY science LIFE sciences ACADEMIC libraries LIBRARY administration
  • Bestandsorganisation
  • library stock organization
  • shelf mark number
  • Shelf marking
  • Signatur
  • Standnummer
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: English
  • Alternate Title: Who Offers More, or: How Differences in Shelf Marking Develop.
  • Document Type: Article
  • Author Affiliations: 1 = ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften, Ernährungs-, Umwelt- und Agrarwissenschaften, Friedrich-Hirzebruch-Allee 4 53115 Bonn, Deutschland
  • Full Text Word Count: 1526

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