Edwin Shaw, Sallust and the Fall of the Republic. Historiography and Intellectual Life at Rome. Historiography of Rome and its Empire, Vol. 13. 2022 Brill Leiden, 9789004501713, € 132,–
Bei der zu besprechenden Monographie handelt es sich um die erweiterte und im Bereich des Forschungsstandes aktualisierte Fassung der Dissertation von Edwin Shaw aus dem Jahre 2015. Der in fünf umfangreiche Abschnitte gegliederte Hauptteil (S. 42–424) wird von einer Einleitung in die thematischen, inhaltlichen und methodischen Aspekte der Studie (S. 1–41), einem ausführlichen Literaturverzeichnis (S. 443–487), Stellenindex (S. 488–502) und einem kurzgefassten Register (S. 503–506) gerahmt. Mit Blick auf die beeindruckende Spanne der fünf großen Teiluntersuchungen ist die Formulierung von Teilergebnissen am Ende der jeweiligen Kapitel im Hauptteil äußerst hilfreich. Ebenso verweisen die Teilergebnisse auf die abschließende zusammenfassende Wertung (S. 425–442), die einerseits die von Shaw erarbeiteten Deutungen des Quellenmaterials vertieft und präzisiert und andererseits durch die Zusammenbindung der drei großen Untersuchungsfelder der Monographie die vom Verfasser so bezeichnete neue Sicht auf das historiographische Schaffen Sallusts im Kontext der römischen Geschichtsschreibung mit Blick auf Vorbilder und Vorgänger, Zeitgenossen und Nachfolger plausibel nutzbar macht.
Shaws zentraler Ansatzpunkt seiner Neudeutung sind die Exkurse („digressions") im sallustischen Œuvre. Diese werden traditionell als ein im stilistischen Sinne retardierendes Element in der Erzählung, vor allem in der von Sallust bevorzugten monographischen Form, gedeutet, die darüber hinaus auch die Gelehrsamkeit des Autors unter Beweis stellen und exempla morum der jeweiligen ethnographischen oder zeitlich oder geographisch entfernten Sujets zur schärfenden Gegenüberstellung mit dem jeweiligen römischen Akteur, sei es eine Person oder der populus Romanus, bilden: ut quaeque memoria digna videbantur (Sall. Cat. 4,2). Die ältere Forschung seit dem 19. Jahrhundert behandelte die Exkurse zumeist losgelöst vom Erzählfluss unter dem Aspekt der Quellenforschung. Shaw dagegen interpretiert die Exkurse plausibel als kontextuell eingebettet in Sallusts jeweiligen Werken, wobei sie als Teil der dispositio die argumentative Ordnung der Erzählung unterstützen. Die Beachtung der Kontextgebundenheit der Exkurse im Rahmen ihrer gattungsspezifischen Merkmale lässt ein höheres Maß an Interpretationsplausibilität zu: Als Beispiele seien hier das Konzept der translatio imperii in der Archäologie der „Coniuratio Catilinae" (S. 164–169), das gloria-Konzept in der Synkrisis desselben Werkes (S. 342–363) oder auch die Charakterzeichnungen als exempla mala fehlgeleiteter ambitio (S. 290–323) zu nennen. Der Verfasser stützt und vertieft mit dieser plausiblen Kontextualität die moderne Sicht auf Sallust als einen politischen Denker, der nicht pessimistisch aus Enttäuschung über eine gescheiterte politische Karriere in seinen Werken zum Stand der res publica effeta/dilacerata moralisiert, sondern – wie sein Vorbild Thukydides – eine für seine Zeitgenossen förderliche politische Analyse vorlegt: „coherent model of the malum publicum of partisan strife" (S. 430).
Es ist das große Verdienst dieser Studie, eine Neubewertung des Autors Sallust vorzulegen. Dies geschieht auf Grundlage einer hervorragenden Kenntnis des Quellenmaterials zur griechischen und römischen Historiographie und der luziden Positionierung Shaws innerhalb der überwiegend kontroversen Forschungsdiskussionen der letzten 150 Jahre. Er entwirft und belegt das Bild von Sallust als einem Autor, der fest im historiographischen und gesellschaftlich/politischen Kontext seiner Zeit eingebettet ist und seine Nachfolger, wie z. B. Tacitus, inspiriert hat (S. 431–441). Sallusts Geschichtsbild ist weit anspruchsvoller und komplexer als die fixe Idee eines in Form und Inhalt rückwärtsgewandten Sonderlings: Die Verknüpfung der zeitgenössischen Wertediskussion mit der Wahl seiner Sujets, die in seiner eigenen Erfahrungszeit zu verorten sind, machte seine politische Analyse für die Zeitgenossen hochaktuell (S. 62 f., 441 f.) und betont darüber hinaus die Eigenständigkeit der sogenannten transitorischen Epoche zwischen Republik und Prinzipat.
By Iris Samotta
Reported by Author