Josephine van den Bent, Late Antique Responses to the Arab Conquests. Cultural Interactions in the Mediterranean, Vol. 5. 2022 Brill Leiden, 9789004500617, € 110,–
Das hier zu besprechende Werk bietet eine Reihe von Aufsätzen zur Frühgeschichte des Islam. Ein größerer Teil davon war zuvor bereits unter dem Titel „Mohammed en de Late Oudheid" (Hilversum 2018) veröffentlicht worden. Die Aufsätze ordnen sich ein in den in der Forschung der letzten Jahrzehnte zu beobachtenden Trend, die Entstehung des Islam stärker aus ihren spätantiken Kontexten heraus zu verstehen und die Epochengrenze zwischen Antike und Mittelalter aufzulösen – insbesondere für die Regionen im Süden der Mittelmeerwelt. Das heißt freilich nicht, dass mit der islamischen Eroberung keine signifikanten Wandlungsprozesse und Brüche einhergegangen wären. Wie der Beitrag von Joanita Vroom zu Grabungen in Athen und dem heutigen Albanien zeigt, sind die Handelsbeziehungen zwischen diesen Regionen und der Levante und Ägypten nach dem 7. Jahrhundert praktisch zum Erliegen gekommen. Eine andere Art von Austauschbeziehungen untersucht Kevin van Blandel, der versucht, das Tempo der Konversion zum Islam und der sprachlichen Arabisierung aus den jeweils unterschiedlichen Siedlungsmustern der Eroberer heraus zu erklären: Wo diese sich nicht in separaten Heerlagerstädten angesiedelt hätten und gleichzeitig eine stärkere Abwanderung der griechischsprachigen städtischen Eliten zu verzeichnen gewesen sei wie in Syrien, seien diese Prozesse schneller vonstattengegangen. Peter Webbs Beitrag bietet noch einmal eine Zusammenfassung seiner bisherigen Arbeiten zur arabischen Ethnogenese. Diese habe, nehmen wir das weitgehende Fehlen des Ethnonyms „Araber" in der vorislamischen Dichtung zur Grundlage, womöglich erst nach Eroberung und Auswanderung in den Ländern des fruchtbaren Halbmondes stattgefunden. Webbs Ansichten in dieser Frage haben viel für sich, sind aber nach wie vor Gegenstand der wissenschaftlichen Debatte. Gänzlich unstrittig sind dagegen die auf Papyrusfunden beruhenden Untersuchungen von Petra Seijpesteijn zur ägyptischen Verwaltungsgeschichte, die in immer wieder neuen Schlaglichtern die langsamen administrativen und sozialen Wandlungsprozesse im frühislamischen Ägypten beleuchten.
Mehr auf philologische Fragen zielen vier weitere Beiträge ab: Harald Motzki weist in seinem Aufsatz noch einmal nach, dass ein großer Teil der muslimischen Überlieferung zum Leben Muhammads sich mit verlässlichen philologischen Methoden, anders als die hyperkritische Forschung zeitweilig angenommen hat, tatsächlich in das späte 7. Jahrhundert datieren lässt. Ahmad Al-Jallad zeigt, dass auch eine Inschrift, die zum Gebet für „al-Yazīd den König" aufruft, vermutlich in die Zeit des gleichnamigen Kalifen aus den frühen 680er Jahren stammt. Deutlich schwieriger erscheint die Datierung im Zusammenhang mit der von Constanza Cordoni untersuchten jüdischen antiislamischen Polemik Pirqe de Rabbi Eliezer. Johan Weststeijn und Clare Wilde unternehmen den Versuch, zwei zentrale Koranpassagen im Lichte der spätantiken Umwelt des entstehenden Islam neu zu deuten: Weststeijn geht davon aus, dass das Weinverbot sich nicht etwa im Laufe der Offenbarungsgeschichte des Korans erst entwickelt habe. Vielmehr ordne bereits der Vers Q 16:67, dem in der Tradition eine positive Bewertung des Weins zugeschrieben wird, den Wein den unreinen Dingen zu. Weststeijns akribische philologische Argumentation überzeugt mehr als Wildes Versuch, die Sure ar-Rūm (die Römer) nicht, wie bislang üblich, auf die den römisch-persischen Krieg der ersten Jahrzehnte des 7. Jahrhunderts zu beziehen. Ihre Neudeutung ist zwar möglich, bleibt aber letztlich spekulativ. Das macht sie nicht wertlos: Es kommt für den Fortschritt in der Erforschung einer quellenarmen Epoche darauf an, bereit zu sein, Dinge neu zu denken und traditionelle, aber nicht zwingende Deutungen zu hinterfragen. Was auf den ersten Blick nur möglich, aber nicht zwingend erscheint, kann im Zusammenspiel mit anderen Überlegungen dann doch dafür sorgen, dass unser Bild der Geschichte der Mittelmeerwelt um 600 sich verändert und schärft. Dieser Aufsatzband trägt dazu bei.
By Lutz Berger
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