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Hans-Werner Goetz / Ian Wood (Eds.), Otherness in the Middle Ages. (International Medieval Research, Vol. 25.) Turnhout, Brepols 2022.

Daniels, Tobias
In: Historische Zeitschrift, Jg. 316 (2023-06-01), Heft 3, S. 704-706
Online review

Hans-Werner Goetz / Ian Wood (Eds.), Otherness in the Middle Ages. (International Medieval Research, Vol. 25.) Turnhout, Brepols 2022 

Hans-Werner Goetz, Otherness in the Middle Ages. International Medieval Research, Vol. 25. 2022 Brepols Publishers Turnhout, 978-2-503-59402-6, £ 125,–

„Bleibt alles anders" war der mehrbödige Titel eines 1998 in London produzierten Albums eines aus dem Ruhrgebiet stammenden Sängers; das kaum übersetzbare Wort „Otherness" dient einem Historikertandem mit ähnlichen Wurzeln als Konzept. Die Analogie ist nicht aus der Luft gegriffen, verankern die Herausgeber den Band doch in der sozialgeschichtlichen Welle der 1980er- und 1990er Jahre zu Fremdheit, Alterität, In-/Exklusion u. a. m., die heute einen erneuten Aufschwung erfährt. H.-W. Goetz und I. Wood haben ihm durch einen Schwerpunkt auf dem International Medieval Congress in Leeds 2017 Rechnung getragen. Eine Auswahl aus 660 (!) Beiträgen – 4 Keynotes und 14 Vorträge – publizieren sie nun, unterlegt durch einen methodischen Grundsatzbeitrag.

Auf der Basis sozialwissenschaftlicher, vor allem postkolonialer und systemtheoretischer Ansätze und einer Diskussion darüber, inwieweit diese auf mittelalterliche Gegebenheiten (nach Paul Freedman) anwendbar sind, entwickeln sie ein in mehreren Graphiken visualisiertes Modell dynamischer „Otherness" für verschiedene Lebensfelder (politisch, ethnisch, sozial, religiös, kulturell) und -kontexte (Herkunft, Glauben, Rang, Gebräuche, Aussehen, Sprache, Gender) wie auch für räumliche, situative, perspektivische Akzentuierungen sowie Institutionalisierungen und Personalisierungen, und sie klären die mittelalterliche Terminologie. Das bewusst offene Modell wird in aktuellen Debatten zweifellos rezipiert werden. Der Band ist als Exploration auf unterschiedlichen Feldern der Mediävistik zu lesen. In der ersten Keynote setzt sich N. Jaspert kritisch mit den Xenologiestudien der 1990er Jahre mit Blick auf die heutige Lage auseinander, wendet das Konzept auf die Mediterranistik an und postuliert eine Abkehr von hauptsächlich religiösen Sichtweisen; in der zweiten befasst sich S. Hout mit Genderambiguitäten in literarischen Quellen; in der dritten E. Manzano Moreno mit dem frühen Islam als einigender Klammer und definitorischer Grenze von Nichtislamischem; in der vierten F. Schmieder mit der europäischen Reaktion auf die Mongolen als dem „völlig Anderen" in Darstellungen auf Weltkarten. Hinzu kommen Studien zu innerer Diversität bei den Juden, die nicht als Randgruppe anzusehen sind (M. Borýsek), „Othering" und „Sameing" als historiographischen Beurteilungskategorien im Süditalien des 9. Jahrhunderts (C. Gantner), in- und exklusivistischen Gruppendynamiken bei den Langobarden (S. Gruber) wie auch zur Konstruktion der Juden als „die Anderen" in theologischen Schriften des 12./13. Jahrhunderts (A. Kelser).

Ferner finden sich Überlegungen zu abgestuften Graden an „Otherness" in byzantinischen Mönchsviten, in denen „das Andere" auch „das Normale" sein konnte (N. Koutrakou), zu kleinen Lebenswelten von Hirten und (fremden) Tieren im venezianischen Korčula (F. Kümmeler), den Sarazenen als den Christen durch perpetuiertes Wissen „bekannten Fremden" auf der Iberischen Halbinsel des 9. Jahrhunderts (P. S. Marschner) und auch zu grundsätzlichen Fragen danach, wie „anders" die „Barbaren" am Ende des Weströmischen Reiches (R. Mathisen) oder die wikingischen Jenseitskonzeptionen im Spiegel der Grabarchäologie (M. Mcginnis) waren. Schließlich wendet man sich Problemkomplexen zu, wie Indien und seine Einwohner in der mittelalterlichen Reiseliteratur als tugendhafte Andere beschrieben wurden (Y. Onuma), mit welchen Darstellungsformen die jüdischen Propheten in den Skulpturen des Domes von Toledo als anders ausgezeichnet wurden (M. Portmann), wie die Wikingerzeit in skandinavischen Rechtstexten als andere Facette der eigenen Vergangenheit gesehen wurde (R. Scheel), wie die muslimische Herrschaft über Teile der Iberischen Halbinsel in genealogischen Konstrukten im Portugal des 14. Jahrhundert zur Herrschaftslegitimation diente (T. Silva), und dann auch zur Präsenz der nomadischen paganen Gruppe der Sámi im mittelalterlichen skandinavischen Recht als „the ‚other' within, both familiar and alien" (S. 451, M. Tveit). Nicht alles bleibt anders, aber das forscherische Konzept erlaubt einen frischen Blick auf eine Epoche in ihrer Diversität, die eben nicht statisch war.

Grundsatzfragen und Großkonzeptionen wie die hier aufgebrachte eignen sich gerade für Tagungen wie den International Medieval Congress oder Forschungsverbünde, aber eignet sich das Konzept auch für weitergehende Forschungen? Der Band zeigt meines Erachtens in vielfacher Hinsicht, dass die Konzepte, die in den 1980er und 1990er Jahren en vogue waren, unter den heutigen Gegebenheiten weiterentwickelt werden können. Und gerade die älteren Epochen werden gut daran tun, sich (nicht nur, aber auch) aktuellen gesellschaftlichen Fragen zu widmen. Insofern unterstreicht der Band die Relevanz von Studien zur sogenannten Vormoderne, und es ist ihm eine breite Rezeption zu wünschen.

By Tobias Daniels

Reported by Author

Titel:
Hans-Werner Goetz / Ian Wood (Eds.), Otherness in the Middle Ages. (International Medieval Research, Vol. 25.) Turnhout, Brepols 2022.
Autor/in / Beteiligte Person: Daniels, Tobias
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 316 (2023-06-01), Heft 3, S. 704-706
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2023-1145
Schlagwort:
  • OTHERNESS in the Middle Ages (Book)
  • GOETZ, Hans-Werner
  • WOOD, Ian
  • MIDDLE age
  • NONFICTION
  • Subjects: OTHERNESS in the Middle Ages (Book) GOETZ, Hans-Werner WOOD, Ian MIDDLE age NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Ludwig-Maximilians-Universität, Historisches Seminar, Mittelalterliche Geschichte, München,, 80539, Germany.
  • Full Text Word Count: 697

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