Caspar Ehlers, „Rechtsräume". Historische und archäologische Annäherungen. Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 323. 2020 Vittorio Klostermann GmbH Frankfurt am Main, 978-3-465-04412-3, € 79,–
Nicht selten geschieht es, dass man einen Sammelband zur Hand nimmt und sich beim Blick in das Inhaltsverzeichnis gleich die Befürchtung einstellt, dass es an inhaltlicher Kohärenz mangeln könnte. Umso schöner ist es, wenn sich diese Erwartung als falsch herausstellt. So auch beim hier zu besprechenden Werk, das unter der Überschrift „Rechtsräume" Beiträge einer Tagung des gleichnamigen Frankfurter Projekts mit der Forschungsstelle „Kaiserpfalz Ingelheim" vereint. Die thematisch und disziplinär weit gestreuten Beiträge etwa über karolingische Baukunst, Paläogenetik, die sich verändernden Raumbezüge von Burgund und den flavischen Palast auf dem Palatin eröffnen ein Panorama, das die Konstruktion von Räumen auf ganz unterschiedlichen Ebenen, sowohl durch die Menschen der Vergangenheit als auch durch die heutige Forschung, sichtbar macht.
Jens Schneider eröffnet die Reihe der Beiträge mit einer Bestandsaufnahme der historischen Raumforschung mit einem besonderen Fokus auf dem früheren Mittelalter. Auf ihn folgen Beiträge von Jessika Nowak und Simon Groth, die die Konstruktion von Herrschaftsräumen im rudolfingischen Burgund (Nowak) und die Forschungen zu karolingischer Staatlichkeit/regna/Herrschaften in den Blick nehmen (Groth). Die zweite Sektion befasst sich mit archäologischen und paläogenomischen Studien, beginnend mit grundlegenden Überlegungen zur Konstruktion von Räumen durch die Kartierung von archäologischen Funden (Peter Haupt). Von Raumkonstruktionen durch paläogenetische Befunde geht der Beitrag von Patrick Geary aus, in dem es hauptsächlich um sein großes europäisches Projekt zu den Langobarden geht. Ebenfalls auf der Untersuchung alter DNA beruht der Beitrag von Johannes Krause, der sich mit den biologischen Veränderungen der prähistorischen europäischen Bevölkerung befasst. Im Folgenden untersuchen Jan Cemper-Kiesslich et al. archäologisch-genetisch zwei Ingelheimer Bestattungen des 11. Jahrhunderts und spekulieren über eine Verwandtschaft der Individuen mit Kaiserin Theophanu.
Die nächste Sektion zu Stadt und Palast vereint Beiträge über den flavischen Kaiserpalast auf dem Palatin (Jens Pflug und Ulrike Wulf-Rheidt), die Topographie von Justizorten in römischen Städten (Roland Färber) und antike Einflüsse auf die in Aachen und Lorsch verwendeten karolingerzeitlichen Handwerkstechniken (Judith Ley und Katarina Papajanni). Unter der Überschrift „Orte und Raum in Zentraleuropa" kommen in der nächsten Sektion Beiträge von Jürgen Strothmann über das Fortbestehen des römischen Reichs im Westen als Kommunikationsraum der neuen Reiche, von Matylda Gierszewska-Noszcyńska zu Ingelheim vor dem Pfalzenbau und von Andreas Schaub zur Topographie von Aachen zusammen.
Die letzte Sektion bündelt Aufsätze zum Raum in der Archäologie Nordeuropas. Alexandra Sanmark behandelt Rechtsräume in Skandinavien im Zeitraum 500–1200 auf der Basis einer Vielzahl von Schriftquellen und archäologischen Befunden. Frode Iversen beleuchtet anschließend die Materialität skandinavischer Thing-Stätten und ihren Wandel im Laufe der Zeit. Ein Beitrag von Marcus C. Blaich zu Zentralorten und Peripherien in Sachsen diagnostiziert eine West-Ost-Verschiebung der politischen Zentren von 8. bis zum 11. Jahrhundert und beschließt diesen Band.
Es liegt eine Veröffentlichung mit vielen gelungenen Beiträgen vor, die in der Gesamtschau einen Einblick in den Stand von Raumkonstruktion nach dem „spatial turn" ergeben. Unklar bleibt jedoch, weshalb diese Beiträge unter der Überschrift „Rechtsräume" versammelt wurden, denn längst nicht alle nehmen Bezug auf die Kategorie des Rechts. Regelrecht irritierend ist dies, wenn man bedenkt, dass mehrere Beiträge mit aDNA arbeiten. Hier könnte der Titel „Rechtsräume" sogar den – völlig falschen – Eindruck erwecken, dass hier versucht wird, rechtliche Territorialität und Populationsgenetik zusammenzubringen oder gar das eine mit dem anderen zu begründen. Ein einordnendes Vorwort und eine Schlusszusammenfassung (sowie ein Register) wären daher hilfreich gewesen.
By Thomas Kohl
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